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Aktuelle Einschätzung zur Neonazigruppe DJV und Informationen zum Aufmarsch in Oranienburg

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Am 21. September 2024 kam es im brandenburgischen Oranienburg nördlich von Berlin erneut zu einem Neonazi-Aufmarsch gegen eine CSD-Veranstaltung. Organisiert wurde der Protest maßgeblich von der Gruppe „Deutsche Jugend Voran“ (DJV) aus Berlin. Dem Aufruf folgten rund 52 Neonazis. Wir haben aus öffentlichen Fotos eine Übersicht der Teilnehmenden erstellt, da viele aus Berlin und Brandenburg kamen. Zudem wollen wir den neuerlichen Aufmarsch nutzen, um die Aktivitäten von DJV in Berlin insgesamt etwas detaillierter zu bewerten.

Seit der ersten Aktion von DJV in Berlin am 27. Juli 2024 sind fast zwei Monate vergangen. Damals versuchten rund drei Dutzend Neonazis den CSD in Berlin zu stören und wurden dabei von der Polizei eingekesselt. Danach waren Personen aus dem DJV-Spektrum wöchentlich auf Neonazi-Protesten gegen CSD-Demonstrationen in unterschiedlichen Städten in Sachsen und Sachsen-Anhalt anwesend. Außer beim Aufmarsch von „Der III. Weg“ in Zwickau am 31. August 2024 übernahmen DJV-Mitglieder auch stets strukturelle Aufgaben, wie den Ordnungsdienst. Die Neonazi-Proteste am 24. August 2024 in Magdeburg organisierte die Gruppe sogar maßgeblich. Der Aufmarsch in Oranienburg ist somit die dritte eigene öffentliche Aktion der Gruppe und die erste in Berlin und Brandenburg nach dem Störversuch am Potsdamer Platz. Es ist somit davon auszugehen, dass viele Personen, die sich DJV in Berlin und Brandenburg zugehörig fühlen, teilgenommen haben. Eine Übersicht der Teilnehmenden soll eine Identifizierung der zumeist jungen Neonazis aus diesem noch neuen Spektrum erleichtern. Zum anderen erlaubt ein Blick auf den Aufmarsch in Oranienburg eine erneuerte Einschätzung zum Mobilisierungs- und Mitgliederpotenzial von DJV in den beiden Bundesländern.

In Oranienburg fanden sich letztendlich rund 52 Neonazis ein. Das sind zwar mehr als noch im Juli am Potsdamer Platz. Dennoch nahmen auch einzelne Neonazis aus anderen Bundesländern, wie Thüringen, am Aufmarsch teil. Sie können nicht zum engeren Kreis von DJV in Berlin und Brandenburg gezählt werden. In den vergangenen zwei Monaten hat sich das Mobilisierungspotential von DJV trotz wöchentlicher Teilnahme an bundesweiten Aufmärschen, einer aktiven Rekrutierungsarbeit auf Social Media sowie zahlreichen Vernetzungsversuchen somit kaum signifikant erhöht. Bei vergleichbaren Neonazi-Protesten gegen CSD-Veranstaltungen in Sachsen waren teilweise spektrenübergreifende Mobilisierungen mit mehreren hundert Teilnehmenden zu beobachten. Demgegenüber blieb DJV Berlin-Brandenburg in Oranienburg weitestgehend unter sich. Auch die meisten der Neonazis, die am Potsdamer Platz von der Polizei festgehalten wurden, waren bei späteren Aufmärschen kaum noch zu sehen. Dementsprechend scheint DJV auf lokaler Ebene wenig Zulauf zu finden und kann nur einen vergleichsweise kleinen und stetig wechselnden Kreis von Neonazis mobilisieren. Darüber hinaus waren auch viele Personen, die in der Vergangenheit als Mitglieder von DJV auftraten, in Oranienburg nicht anwesend. Das verweist auf Probleme in der Gruppe.

Die größten personellen Konstanten in den letzten Monaten sind Julian Milz, Nick Thomas Christopher Wetzels und „Sven“. Zum engeren Kern scheinen darüber hinaus nur noch weitere fünf bis sieben Personen zu gehören. Sie treffen sich auch außerhalb von Protesten zu gemeinsamen Kneipenabenden. Zudem werden ihnen Übergriffe auf Antifaschist*innen in Berlin–Marzahn zugeordnet. Dennoch sind auch in diesem kleinen Führungszirkel gewisse Austauschprozesse zu beobachten. So distanziert sich „Vivi“, die anfangs bei allen Aktivitäten von DJV anwesend war und nach wie vor der neonazistischen Szene angehört, inzwischen öffentlich von der Gruppe. Stattdessen war in Magdeburg und Zwickau eine „Michelle“ tonangebend, die jedoch in Oranienburg nicht auftauchte.

In diesem Sinne scheint DJV weniger wie eine politische Gruppe und eher wie ein neonazistischer FreundInnenkreis zu funktionieren: Streit inklusive. Der Zusammenhalt scheint vor allem über persönliche Kontakte sowie einen ausgiebigen Alkohol- und Drogenkonsum gestiftet zu werden. Zudem ist zu beobachten, dass sich insbesondere Julian Milz und Christopher Wetzels als Führungspersonen darstellen. So inszeniert sich Milz stets am Kopf von Aufmärschen mit einem Megaphon als Leitfigur. Wetzels gibt sich hingegen im Interview mit dem „Spiegel“ als Kern von DJV aus. Dementsprechend scheint es beiden kaum um eine dauerhafte Organisierungsarbeit zu gehen und mehr darum sich selbst zu profilieren. Insbesondere Wetzels hat über seine Aktivitäten bei DJV wieder stärkeren Anschluss an die Berliner NRJ, die „Nationalrevolutionäre Jugend“ vom „III. Weg“, gefunden. Im „Spiegel“-Bericht prahlt er mit seinen Kontakten zur Partei. So zeigt er auf seinen persönlichen Social-Media-Seiten Bilder von einem Training mit NRJ-Mitgliedern sowie von seiner Beteiligung bei einer Flyer-Tour für den „III. Weg“ in Hohenschönhausen in der vergangenen Woche. Bislang scheint „Der III. Weg“ als neonazistische Kaderpartei die Selbstdarstellung von Wetzels zumindest zu tolerieren.

Zu einer engeren Zusammenarbeit beider Neonazigruppierungen trug dies hingegen nicht bei. Zwar nahmen Personen von DJV Berlin beim Aufmarsch von „Der III. Weg“ am 31. August 2024 in Zwickau teil. Dort übernahmen sie jedoch keine Aufgaben. Zudem wurde eine Person aus dem DJV-Spektrum aufgrund ihrer Hautfarbe an das Ende des Aufmarsches verbannt. Eine Woche später in Freiberg beschwerten sich viele Neonazis außerdem über das geregelte Auftreten beim „III. Weg“ und das Alkoholverbot beim Aufmarsch.

Auch die Vernetzung von DJV mit anderen Neonazi-Gruppe scheint kaum Früchte zu tragen. Anfangs waren gewisse Annäherungen an „Elblandrevolte“ (ELR) aus Dresden, einer Ortsgruppe der „Jungen Nationalisten“ (JN), zu erkennen. Inzwischen scheinen die Kontakte in die Sächsische Landeshauptstand unverbindlicher zu werden. Beim Aufmarsch der JN gegen den CSD in Halle am 14. September 2024 waren keine Personen von DJV Berlin anwesend. Auch eine erhöhte Anbindung von DJV an den Berliner Landeverband der Partei „Die Heimat“ ist nicht zu erkennen. Die engste Zusammenarbeit gab es zwischenzeitlich mit der Berliner Gruppierung von „Jung und Stark“ (JS). Inzwischen distanzieren sich jedoch JS-Mitglieder wie „Unbekannt 40“ von DJV und deren Aktionen. Statt nach Oranienburg fuhr er mit „Tom“ zu den Protesten gegen den CSD ins sächsische Döbeln. Dort trug er ein Shirt der JN. In der Woche zuvor war beide Ordner bei den Neonazi-Protesten gegen den CSD in Wismar. Auch bekannte JS-Mitglieder wie Carsten Grasse waren länger nicht im Kontext von DJV wahrzunehmen. Die ausbleibende politische Vernetzung kann das Ergebnis der fehlenden Organisationsstruktur bei DJV sein. Zudem dürften sich die Egos der selbsternannten Führungsfiguren nur schlecht mit anderen Ansprüchen vertragen.

Insgesamt bleibt abzuwarten, wie sich DJV in Berlin mit dem Abflachen der Neonazi-Mobilisierungen gegen die CSD-Demonstrationen entwickeln wird. Momentan sieht es so aus, als ob die Gruppe zwar konstant viele junge Personen ansprechen kann, aber nicht in der Lage ist, diese dauerhaft zu mobilisieren bzw. an sich zu binden. Auch eine politische Vernetzungsarbeit mit anderen Gruppen ist nicht zu erkennen. Zudem verändert sich der engere Kreis von DJV weiterhin merklich. Nur wenige Personen bleiben konstant dabei. Um sie herum bildet sich jedoch eine durchaus gefährliche Kerngruppe, die sich dem Führungsanspruch der Leitfiguren unterordnet. Diese Kleinstgruppe ist inzwischen in der Lage, eigene Mobilisierungen anzustoßen, auch wenn diese nur eine geringe Resonanz innerhalb der Neonaziszene von Berlin und Brandenburg zu entfalten. Allerdings geht von dieser Kleingruppe selbst eine erhöhte Gefahr aus, da sie auch vor Angriffen (bisher vor allem auf politische Gegner*innen) nicht zurückschreckt.

Informationen zu Neonazigruppen und -aktivitäten können jederzeit an monitorberlin@riseup.net gesendet werden.


Neonaziangriff von DJV aus Kneipe „Zum Zapfhahn“

Seit Ende Juli 2024 sind in Berlin zwei neue Gruppen vorwiegend junger Neonazis besonders aktiv. Die Zusammenschlüsse „Deutsche Jugend Voran“ (DJV) sowie „Jung und Stark“ (JS) sind vor allem durch ihre regelmäßige Beteiligung an den extrem rechten Mobilisierungen gegen CSD-Demonstrationen in Ostdeutschland aufgefallen. Dennoch gab es in der Vergangenheit auch in Berlin schon Bedrohungen durch die Neonazis, die so versuchen, Räume zu vereinnahmen. Am 13. September 2024 kam es nun vermutlich zu einem ersten Angriff von DJV in Berlin-Marzahn. Ausgangspunkt und Rückzugsort war dabei die Kneipe „Zum Zapfhahn“, die sich zu einem regelmäßigen Treffpunkt für Neonazis entwickelt hat.

Für den Abend vom 13. September 2024 ist in der Vorfallschronik vom „Berliner Register“ ein „neonazistisch motivierter Angriff und Raub“ auf der Mehrower Allee in Berlin-Marzahn eingetragen. Gegen 21:40 hätten schätzungsweise sieben Neonazis eine Person beschimpft, bedroht und geschlagen. Im Anschluss sollen sie der betroffenen Person ein Kleidungsstück entwendet haben. Die Angreifer wären zwischen 18 und 40 Jahre alt gewesen und aufgrund der Kleidung, zum Beispiel eines Shirts von „Der III. Weg“, als Neonazis zu erkennen gewesen. Über die weiteren Hintergründe der Tat ist auf der Homepage der Register nichts zu lesen. Allerdings veröffentlichte ein Instagram-Account, der der Gruppe DJV in Berlin zugeschrieben werden kann, ein Foto, das neue Hinweise liefert. Auf diesem Bild sind sieben Neonazis zu sehen, wie sie ein Shirt mit dem Logo der „Antifaschistischen Aktion“ präsentieren. Aufgenommen wurde das Bild in der Kneipe „Zum Zapfhahn“ in der Max-Herrmann-Straße 4 in Berlin-Marzahn, die sich nur wenige Gehminuten von der Mehrower Allee befindet. Aufgrund der zeitlichen und örtlichen Nähe ist davon auszugehen, dass es sich bei den Neonazis auf dem Foto um die Angreifer aus der Register-Meldung handelt. Diese sind keine Unbekannten.

Neben dem Leiter von DJV in Berlin, Julian Milz, ist auch das bekennende DJV-Mitglied Nick Thomas Christopher Wetzels eindeutig auf dem Foto zu erkennen. Letzterer versuchte zuletzt am 4. September erfolglos eine antifaschistische Kundgebung in Prenzlauer Berg zu stören. Auch die meisten der anderen Abgebildeten sind in der Vergangenheit bereits bei Aktionen von DJV aufgefallen. So übernahmen „Unbekannt 41“ und „Unbekannt 42regelmäßig Ordner-Aufgaben bei Neonaziaufmärschen gegen CSD-Demonstrationen. Auch „Unbekannt 46“ war als Ordner mit einer größeren Gruppe von DJV Berlin in Leipzig. Obwohl er regelmäßig ein Shirt von „Der III. Weg“ trägt, ist er nie im Kontext der Berliner Strukturen der Neonazipartei aufgefallen. Eine Mitgliedschaft ist somit eher unwahrscheinlich. Aufgrund der Verlinkungen ist es wahrscheinlich, dass auch „Unbekannt 43“ auf dem Foto zu sehen ist. Eine zweifelsfreie Identifikation ist allerdings genauso wie bei der siebten Person nicht möglich.

Ein körperlicher Angriff auf eine Person, weil sie von DJV als Antifaschist*in wahrgenommen wird, wäre eine neue Qualität der neonazistischen Gewalt der Gruppe. Es ist zu befürchten, dass DJV gezielt versucht, im Kiez rund um die Mehrower Allee präsent zu sein und dabei auch zunehmend gewaltbereit agiert. Einen Dreh- und Angelpunkt der neonazistischen Aktivitäten bildet dabei die Kneipe „Zum Zapfhahn“. Das Bild vom vergangenen Wochenende ist nicht das erste, das DJV aus der Lokalität postete. So kam es dort bereits im August zu einem Vernetzungstreffen zwischen DJV und JS.

Somit spricht zumindest in der Vergangenheit vieles für regelmäßige Treffen von DJV in der Kneipe, die vermutlich auch nach Aufmärschen besucht wurde. So zogen mehrere Neonazis von DJV und JS nach der CSD-Störaktion in Leipzig am 17. August 2024 um den S-Bahnhof Raoul-Wallenberg-Straße umher. Zudem ist zu vermuten, dass mehrere Mitglieder im Umfeld des „Zum Zapfhahn“ wohnen. So veröffentlichte Christopher Wetzels ein Foto von einem Balkon des darüber liegenden Wohnhauses. Da in Berlin keine eigenen Räumlichkeiten von DJV bekannt sind, dürfte „Zum Zapfhahn“ der wichtigste Rückzugsraum der neuen Neonazigruppen gewesen sein. Inzwischen hat sich der vermeintliche Kneipenbetreiber gegenüber dem „Antifaschistischen Monitor Berlin“ von DJV distanziert und gibt an, allen aus der Gruppe Hausverbote erteilt zu haben. Warum dennoch unter den Augen von Barkeeper Florian Schmidt (wohnhaft in der Marzahner Promenade 49, 12679 Berlin) wochenlang Treffen offensichtlicher Neonazis in seinem Lokal stattfanden, konnte er jedoch nicht erklären.

Insgesamt ist eine weitere Verschärfung der politischen Aktivität von DJV und JS in Berlin zu beobachten. Mitglieder beider Gruppen versuchen verstärkt öffentliche Räume in der Stadt zu besetzen und wenden dabei auch zunehmend Gewalt an. Von ihnen geht somit eine nicht zu unterschätzende Gefahr aus. Insbesondere mit dem Abflachen von Neonazi-Mobilisierungen gegen CSD-Demonstrationen könnten sich diese Aktivitäten in der Zukunft weiter verstärken. Rückzugorte, wo sich die Neonazis ungestört versammeln können, spielen in diesem Zusammenhang eine wichtige Rolle. Sie geben die neuen Gruppierungen organisatorischen Rückhalt. Nachdem DJV den Treffpunkt im „Zum Zapfhahn“ verloren zu haben scheint, werden sie neue Räumlichkeiten im Kiez suchen.

Wer mehr Informationen zu ihnen oder weiteren Mitgliedern von DJV sowie JS hat, kann diese gerne bei monitorberlin@riseup.net melden.


* In einer ersten Version des Artikels wurde geschrieben, dass Florian Schmidt der Betreiber von „Zum Zapfhahn“ wäre. Im Anschluss meldete sich der vermeintliche Betreiber beim „Antifaschistischen Monitor Berlin“ und bekundete, Neonazis abzulehnen und der DJV Hausverbot erteilt zu haben. Ob das Hausverbot bestehen bleibt, wird die Zukunft zeigen. Einige Informationen wurden im Artikel nachträglich ergänzt.