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Der harte Kern der Neonazigruppen DJV & JS (Outingplakat, aktuelle Einschätzung, Razzien und nächste Neonazidemo)

Stand Dezember 2024. Einige Informationen wurden aktualisiert.

Für die neuen Neonazivernetzungen „Deutsche Jugend Voran“ (DJV) und „Jung & Stark“ (JS) war der vergangene Monat ziemlich turbulent. Zuerst hatten beide Zusammenschlüsse am 19. Oktober 2024 den ersten Neonaziaufmarsch in Berlin seit 2020 organisiert. Auf diese Weise versuchten sie, eine parallel stattfindende feministische Antifa-Demonstration zu stören. Trotz bundesweiter Mobilisierung kamen jedoch nur circa 150 Neonazis nach Berlin-Marzahn. Wenige Tage später folgte dann am 23. Oktober eine Reihe an Razzien gegen DJV, JS und ihre Umfelder. Hintergrund waren vornehmlich polizeiliche Ermittlungen zu mehreren Übergriffen in der Vergangenheit. In Rahmen der Geschehnisse sind einige neue Informationen ans Tageslicht gekommen, die wir im folgenden Übersichtsartikel zusammengefasst haben. Mittlerweile hat sich ein konstanter personeller Kern beider Gruppen herauskristallisiert. Mit einem Outingplakat sollen die gewalttätigen Neonazis bekannt gemacht werden und Personen für die von ihnen ausgehenden Gefahren sensibilisiert werden. Weiterhin soll der Übersichtsartikel eine kurze Einschätzung über aktuelle Verbindungen von DJV zu anderen Gruppierungen geben und eine Einschätzung zu deren Beteiligung bei der angekündigten rechten Demonstration am 14.12.2024 in Berlin-Friedrichshain.

 Die Köpfe der Demonstration am 19. Oktober 2024

Nachdem für den 19. Oktober 2024 eine feministische Antifa-Demo in Berlin-Marzahn angekündigt wurde, begannen die Kreise um DJV und JS mit einer Gegenmobilisierung. Ihre Strategie erinnerte dabei an die neonazistischen Proteste gegen CSD-Veranstaltungen in den letzten Monaten. Mit einem eigenen Aufmarsch wollten die Neonazis Dominanz auf den Straße ausstellen und so andere Meinungen und Lebensentwürfe unsichtbar machen. Zu diesem Zweck mobilisierten beide Gruppen bundesweit und konnten unter anderem eine kleinere Delegation von „Revolte Chemnitz“ nach Berlin locken. Insgesamt blieb der Neonazi-Aufmarsch mit rund 150 Teilnehmenden deutlich hinter den Erwartungen der Organisierenden zurück. Auch die gewählte Taktik, mehrere hundert Meter hinter der antifaschistischen Demonstration zu laufen, hat nicht zur Attraktivität der Neonaziversammlung beigetragen. Dennoch kam es im Vorfeld und im Umfeld des Aufmarsches zu verstärkten Neonazi-Aktivitäten, was sich auch in körperlichen Übergriffen äußerte.

Als organisatorischer Kern des Neonaziaufmarsches traten größtenteils die aus den letzten Monaten bekannten Gesichter auf. Geleitet wurde die Versammlung erwartungsgemäß von Julian Milz, dem Kopf von DJV in Berlin. Als Anmelder trat jedoch Erik Franke auf, wohnhaft in Berlin-Hellersdorf, gemeldet in Berlin-Lichtenrade (bei seiner Mutter Yvonne Franke). Eine weitere Person aus dem Kreis der Mitorganisatoren war Leon. Der Fan von Hertha BSC in der Vergangenheit schon bei vielen Neonaziversammlungen gegen CSD-Veranstaltungen aufgefallen. Zuletzt versuchte er unter dem Namen „Hauptstadtrevolte“ eine Ortsgruppe der „Jungen Nationalisten“ (JN) in Berlin zu gründen. Allerdings kam dieser Ansatz bisher nicht über den virtuellen Raum hinaus.

Insgesamt zeigte sich beim Aufmarsch am 19. Oktober, dass DJV und JS nicht mit etablierten Neonazistrukturen verbunden sind. So nahmen zwar bekannte Akteure aus dem Spektrum von „Die Heimat“ (u.a. Andreas Storr, Andreas Käfer), aus dem Spektrum des „III. Wegs“ (u.a. Andi Körner) sowie lokale Neonazis (René Uttke, Kai Milde und Katrin Körner) zu Beginn an der Demonstration teil. Doch blieben sie insgesamt im Hintergrund. Auf der Versammlung waren ebenfalls Kleidungsstücke der Neonazi-Organisationen „Die Heimat“ und „III. Weg“ bzw. ihrer jeweiligen Jugendgruppen anzutreffen. Diese wirkten jedoch eher wie modische Accessoires und weniger als explizite Zugehörigkeitsbekenntnisse.

Neonazi-Razzien am 23. Oktober 2024

Am 23. Oktober 2024 folgte dann ein polizeilicher Großeinsatz gegen Akteure aus dem Spektrum von DJV und JS. Hintergrund waren jedoch nicht die Aktivitäten rund um die Demonstration vom 19. Oktober. Stattdessen erfolgten die Durchsuchungen aufgrund mehrerer Übergriffe auf Antifaschist*innen in den vergangenen Monaten, mit denen sich die beteiligten Neonazis breit im Internet brüsteten. Insgesamt wurden am 23. Oktober neun männliche Personen im Alter zwischen 16 und 23 Jahren durchsucht. Die Durchsuchungen fanden in Hellersdorf, Köpenick, Marzahn und Neu-Hohenschönhausen sowie im brandenburgischen Letschin und Wandlitz statt. Bestätigt sind dabei Razzien bei den folgenden Neonazis:

Nick Thomas Christopher Wetzels aus Marzahn

Hendrik Boutry (bisher „Unbekannt 42“) aus Marzahn

Aron (bisher „Unbekannt 39“) aus Köpenick

Philippe Beneke (Spitzname: „Calle“) aus Marzahn

Julian Milz, bei dem gewaltbereiten Polizistensohn wurde sein elterliches Wohnhaus in Wandlitz durchsucht

Vincent Gutjahr (Spitzname: „Svenny“) aus Marzahn

„Felix“, der in der Vergangenheit vor allem als regelmäßiger Teilnehmer von Aufmärschen und Aktivitäten aus dem Spektrum von DJV und JS aufgefallen ist

– sowie Anthony (bisher „Unbekannt 46“), der öffentlich bisher vor allem als Ordner bei der Neonaziversammlung im Leipziger Hauptbahnhof sowie bei Aktivitäten außerhalb von Demonstrationen auftrat

Zudem wurde der Maler Janeck Wolfgang G. aus Marzahn-Hellersdorf durchsucht. Bei ihm sind keine engen Verbindungen zum politischen Spektrum um DJV oder JS zu erkennen. Laut Medienberichten geriet er vor allem wegen Fotos in den sozialen Medien ins Visier der Ermittlungsbehörden. Dort posierte er mit Polizeiweste und Schusswaffen. Aufgrund seiner offenen rechten Weltanschauung dürften die Razzien gegen die Neonazigruppen eher ein Anlass gewesen sein, um G. mit zu durchsuchen.

Zur Identität der neunten durchsuchten Person konnten wir keine öffentlich verfügbaren Belege finden.

Neben der genannten Adresse in Wandlitz wurden von Julian Milz noch mindestens eine weitere Anschrift durchsucht. Zuletzt hielt er sich regelmäßig in Marzahn-Hellersdorf auf. Die unklaren Wohnverhältnisse dienten den Ermittlungsbehörden als ein Grund, um eine Untersuchungshaft anzuordnen. Obwohl Julian Milz seit den Razzien inhaftiert ist, hält sich die öffentlich wahrnehmbare Solidarität mit den durchsuchten Neonazis in Grenzen. Eher sind aus den Umfeldern von DJV und JS in den sozialen Medien Distanzierungen von Gewalt zu lesen, die aufgrund der Gewaltbereitschaft vieler Mitglieder allerdings vor allem mit dem Repressionsdruck zusammenhängen. Zugleich haben die Durchsuchungen den Kern der Gruppen näher zusammengebracht. Insgesamt sind JS und DJV nach dem Versammlungsmarathon im Sommer und Herbst inzwischen in die Phase der Konsolidierung eingetreten. Neben den Durchsuchten tauchen nur wenige weitere Personen regelmäßig im Kontext der Gruppen auf. Eine Konstante ist u.a. „Unbekannt 39“ (Rufname „Aaron“) aus Köpenick, zu dem bisher keine weiteren Informationen vorliegen.

Auch abseits der Razzien steigt der Repressionsdruck gegenüber DJV und JS gerade merklich. So musste kürzlich Kevin Taylor Hennig (Spitzname: „Nesto“) für zwei Wochen in den Jugendarrest. Der 18-Jährige Neonazi ist der kleinere Bruder vom Steve Mike Hennig, der um 2010 in der Kameradschaft „FN Mitte“ aktiv war und inzwischen fleißig die AfD unterstützt. Taylor Hennig war in den zurückliegenden Monaten an zahlreichen Störversuchen gegen CSD-Demonstrationen beteiligt und nahm ebenfalls an einer Versammlung der AfD in Berlin-Hohenschönhausen teil.

Einschätzung DJV – III. Weg

Im Zuge der Razzien wurde bei mindestens zwei Neonazis Material vom „III. Weg“ sichergestellt. So sind auf den Fotos der Dursuchungen ein T-Shirt und Flyer der Neonazipartei zu sehen. Zudem waren unter anderem Carsten Grasse, „Unbekannt 46“ sowie Christopher Wetzels in der Vergangenheit mit Bekleidung vom „III. Weg“ ausgestattet. Diese wenigen Anhaltspunkte wurden in der Presseberichterstattung genutzt, um Verbindungen zwischen DJV, JS und dem „III. Weg“ herzustellen. Dieser distanzierte sich umgehend von den durchsuchten Neonazis und stellte klar, dass sie niemals in der Partei oder deren Jugendorganisation aktiv gewesen wären. Hierbei dürfte es sich nicht nur um einen strategischen Schachzug handeln. So gab es zwar in der Vergangenheit durchaus Kontakte zwischen Personen aus dem Spektrum von DJV und JS und dem „III. Weg“. Es ist bekannt, dass Christopher Wetzels an Propagandaaktionen in Berlin-Hohenschönhausen sowie in Erkner beteiligt war. Zudem verteilte er eigenständig Parteiflyer in seiner Nachbarschaft und nahm an mindestens einem Kampfsporttraining vom „III. Weg“ teil. Auch Carsten Grasse stellt sich gerne in die Nähe der Partei, indem er beispielsweise regelmäßig deren offizielle Kleidung trägt und ebenfalls an einem Training teilnahm. Zudem war er mit seinem kleinen Bruder beim Wahlkampfabschlusses in Cottbus und verteilte dort Flyer mit dem „III. Weg“.

Bei all diesen Verbindungen handelte es sich jedoch vornehmlich um punktuelle Kontakte. Es ist davon auszugehen, dass der „III. Weg“ mit solchen niedrigschwelligen Aktivitäten versuchte, die Eignung der Neonazis für eine weitergehende Parteiarbeit zu testen. Darüber hinaus gibt es keine Belege für eine engere Zusammenarbeit mit den durchsuchten Neonazis. Das zeigte sich auch auf Versammlungen, die von beiden Spektren besucht wurden. Während Carsten Grasse und sein Bruder beim Aufmarsch vom „III. Weg“ gegen den CSD in Zwickau zwar kurz zwischen den Berliner Parteimitgliedern zu sehen sind, übernahmen sie keine besondere Aufgabe auf der Versammlung. Grasses Bruder trug lediglich gegen Ende ein Plakat. Demgegenüber besuchten einige Mitglieder vom Berliner Stützpunkt des „III. Wegs“ den von DJV mitgestalteten Aufmarsch gegen den CSD in Görlitz. Auch dort sind keine Kontakte zwischen den unterschiedlichen Gruppierungen belegt. Einzig Grasse bewegte sich kurzzeitig in der Nähe der Berliner „III. Weg“-Mitglieder. Die jeweiligen Akteur*innen blieben allerdings bei der An- und Abreise in ihren eigenen Kreisen; so reiste Grasse mit mindestens 12 weiteren Neonazis aus dem Spektrum DJV und JS mit der Bahn vom Berliner Ostkreuz nach Görlitz.

Alles in allem haben Einzelmitglieder von DJV und JS also durchaus eine Nähe zum „III. Weg“ gesucht. Doch die Kontakte waren eher oberflächlich. Zu einer Aufnahme in die Partei oder ihre Jugendorganisation dürfte es nie gekommen sein. Ob Wetzels oder Grasse überhaupt Anwärter auf eine Mitgliedschaft waren, muss spekulativ bleiben. Zudem dürfte der von massivem Drogen- und Alkoholkonsum geprägte Lebenswandel der Neonazis Grasse und Wetzels kaum dem Selbstverständnis vom „III. Weg“ als neonazistischer Kaderpartei entsprechen. In diesem Sinne waren auch die festgestellten Flyer oder Kleidungsstücke, die die DJV-Neonazis bei sich trugen, größtenteils über den offiziellen Onlineshop („Materialvertrieb“) vom „III. Weg“ erhältlich und damit ohne Mitgliedschaft in der Partei zu erwerben. Trotz der Nähe von einigen Personen zum „III. Weg“ sind DJV und JS kaum auf eine Organissation festgelegt. In der Vergangenheit warben die einzelnen Mitglieder für die Junge Alternative, die Jungen Nationalisten und für den „III. Weg“ im regelmäßigen Wechsel. Auch Wetzels fertigte ein Foto an, auf dem er alle Parteilogos vom „III. Weg“ mit den Buchstaben JN (Junge Nationalisten) übermalte. In den Führungsebenen der entsprechenden Organisationen dürfte diese Beliebigkeit auf keine Gegenliebe treffen.

Die nächste Neonazidemo am 14. Dezember

Am 14. Dezember 2024 ruft ein sogenanntes „Aktionsbündnis Berlin“ zu einer Demonstration auf, die sehr anschlussfähig für neonazistische Mobilisierungen zu sein scheint. Unter dem Motto „Für Recht und Ordnung: gegen Linksextremismus und politisch motivierte Gewalt“ soll der rechte Aufmarsch durch Berlin-Friedrichshain laufen. Wer sich genau hinter diesem „Aktionsbündnis“ verbirgt, ist bisher noch nicht vollständig bekannt. In der Öffentlichkeit positioniert sich vor allem Ferhat Sentürk für die Versammlung. Gegen das AfD-Mitglied aus Aachen ist momentan ein Parteiausschlussverfahren anhängig, sodass er verstärkt den Kontakt zu anderen Gruppierungen der extremen Rechten sucht. Weitere Personen, die neben Sentürk bisher als Organisatoren bzw. Redner auf dem Aufmarsch angeführt werden, sind der rechte Social Media-Kanal „Der Fürst“, der junge AfD-Politiker Maximilian Fritsche aus Eberswalde sowie Jannik D. Giese. Letzterer soll auch Leiter der Versammlung sein. Zudem ist Giese eine personelle Verbindung zum jugendlichen Neonazi-Spektrum um DJV und JS. Jannik D. Giese nahm beispielsweise am 19. Oktober am Neonaziaufmarsch in Berlin-Marzahn teil (Fotos auf dem Plakat). Zudem scheinen Giese und Fritsche mit Luka Zechel befreundet zu sein. Der Neonazi aus Bad Freienwalde wurde bereits beim ersten Störversuch von DJV auf den Berliner CSD von der Polizei festgesetzt. Auch Zechel nahm zuletzt am Marzahner Neonaziaufmarsch teil. Er kann somit weiterhin im Umfeld von DJV verortet werden. Trotz mehrerer öffentlicher Kontaktversuche wurde Zechel jedoch nie als Mitglied der Neonazigruppe aufgenommen. Stattdessen scheint er mittlerweile verstärkt Kontakte im Spektrum der AfD zu suchen, während er online seine Zustimmung zum Nationalsozialismus bekundet.

Durch die benannten direkten Verbindung zum Umfeld von DJV und JS kann der Aufmarsch vom „Aktionsbündnis Berlin“ klar als extrem rechtes Szeneevent eingeschätzt werden und richtet sich auch explizit an dieses Klientel. Dennoch sind die Reaktionen aus den beiden Neonazizusammenschlüssen bezüglich des 14. Dezembers bisher eher gemischt. Während beispielsweise Luka Zechel fleißig die Werbetrommel für seinen Kumpel Jannick rührt, distanzieren sich andere Neonazis von dem vermeintlichen „Selbstmordkommando“.

Fazit

Momentan hat das politische Spektrum um die Gruppen DJV und JS in Berlin mit vielen Problemen zu kämpfen. Dennoch haben sich aus den losen Netzwerken in den vergangenen Monaten kleine aber gefestigte Neonazistrukturen gebildet, die gerade auch durch Straßengewalt auffallen. Mit ihren Aktivitäten und der öffentlichen Präsenz öffnen sie anderen Akteuren der extremen Rechten die Tür, die sich so auch in Berlin einen erhöhten Resonanzraum für eigene Aktionen versprechen. Aus diesem Grund haben wir uns entschieden, zentrale Akteure aus diesem politischen Mischspektrum auf einem Plakat zu sammeln. Dabei handelt es sich um jene Personen, die in den vergangenen Monaten durch eine verstärkte Aktivität oder Gewaltbereitschaft aufgefallen sind bzw. im Kontext vom Aufmarsch am 14. Dezember sowie zukünftigen Terminen aktiver werden könnten.

Luca Böttcher und Enrico Rehling – Gewalttätige Neonazis vom „III. Weg“ in Brandenburger Fußballvereinen

In den vergangenen Wochen hat sich gezeigt, dass der „III. Weg“ in Berlin an zahlreichen Orten öffentliche Kampfsporttrainings anbietet. Mal handelt es sich um klandestin organisierte Treffen mit mehreren dutzend Neonazis aus verschiedenen Bundesländern, wie in der Lichtenberger Parkaue.[1] Ein anderes Mal um regelmäßige Sportangebote für eine vergleichsweise feste Trainingsgruppe, wie im Sportkomplex Rennbahnstraße in Weißensee.[2] Doch auch über Kampfsport hinaus spielt sportliche Betätigung in der neonazistischen Ideologie der Partei eine wichtige Rolle.[3] Zuletzt haben wir darüber berichtet, wie Mitglieder vom „III. Weg“ an öffentlichen Sportangeboten, wie Laufveranstaltungen, teilnehmen, um ihre Fitness zu testen. Im nächsten Teil unserer Artikel-Serie geht es um die Duldung von gewaltbereiten Neonazis in Vereinen des Breitensports. Momentan spielen mindestens zwei Mitglieder der Jugendorganisation vom „III. Weg“ (der „Nationalrevolutionären Jugend“, kurz: NRJ) in Brandenburger Vereinen regelmäßig Liga-Fußball. Hierbei handelt es sich um die Neonazis Luca Böttcher und Enrico Rehling.

* Update: Nach der Veröffentlichung der Recherchen vom „Antifaschistischen Monitor Berlin“ trennten sich sowohl der SVM Gosen als auch der SV Hertha 1923 Neutrebbin von ihren Spielern Enrico Rehling bzw. Luca Böttcher.

Der Neonazi Luca Böttcher bei Hertha Neutrebbin

Seit Jahren ist der 21-jährige Luca Böttcher (geb. am 26. Juni 2003) aus Neutrebbin (Landkreis Märkisch-Oderland) ein fester Bestandteil der gewaltbereiten Neonazigruppe NRJ. Zum ersten Mal trat Böttcher am 9. Dezember 2022 als Teilnehmer an einer Demonstration vom „III. Weg“ in Wittstock öffentlich in Erscheinung.[4] Inzwischen ist er in Berlin und Brandenburg regelmäßig bei den Aktivitäten der Jugendgruppe anzutreffen. Zuletzt nahm er am Kampfsporttraining in Berlin-Lichtenberg teil und unterstützte den Wahlkampf der Partei in Brandenburg.[5] Neben diesen offenen Parteiaktivitäten ist Luca Böttcher in der Vergangenheit mehrfach als Beteiligter bei Angriffen auf politische Gegner*innen wiedererkannt worden. Am 27. Juli 2023 war er Teil der Neonazi-Gruppe, die versuchte Teilnehmende des Berliner „Christopher Street Day“ anzugreifen.[6]

Knapp drei Monate später, am 14. Oktober 2023, bedrohte Böttcher mit rund einem Dutzend weiterer Neonazis eine antifaschistische Demonstration in Pankow.[7] Laut Augenzeug*innen war er ebenfalls dabei als eine Gruppe der NRJ am 21. Januar 2024 Menschen in der U-Bahn in Hellersdorf bedrohte.[8] Später am gleichen Tag griffen Teile der Gruppe, die bereits in Hellersdorf auffällig wurde, eine Person in Prenzlauer Berg wegen ihrer antifaschistischen Aufnäher am Rucksack an. Aufgrund dieses Angriffs sowie dem Neonazi-Überfall auf den Anreisetreffpunkt zu einer antifaschistischen Demonstration in Berlin-Hellersdorf am 6. Juli 2024 kam es am 18. Juli 2024 zu einer Großrazzia der Polizei gegen vermeintlich beteiligte Neonazis in Berlin (Pankow, Weißensee, Marzahn und Spandau) sowie in Brandenburg und Sachsen. Auch Luca Böttcher wurde dabei in Neutrebbin durchsucht.

Nach zahlreichen antifaschistischen Veröffentlichungen zu Luca Böttchers Aktivitäten sollte seine Gesinnung spätestens mit der Hausdurchsuchung in Neutrebbin bekannt sein. Dennoch steht Böttcher auch in der kommenden Saison im Kader der ersten und zweiten Herren vom lokalen Fußballverein „SV Hertha 1923 Neutrebbin“. Dort tritt er als Abwehrspieler in der „Ostbrandenburgliga“ (Kreisoberliga) an. Im Verein ist Böttcher kein Bankdrücker. In der zurückliegenden Saison kam er auf neun Einsätze in der ersten und vier Einsätze in der zweiten Mannschaft. Er kann somit als fester Teil des Vereins angesehen werden. Der Verein gibt somit einem bekannten und enorm gewaltbereiten Neonazi einen Raum. Durch die unhinterfragte Akzeptanz des Neonazis wird seine Ideologie normalisiert. Zugleich stellt er auf und neben dem Platz eine Gefahr für Gegenspieler und Fans dar. Aufgrund der weiterhin fehlenden Distanzierung des Vereins von Böttcher kann davon ausgegangen werden, dass es für Hertha Neutrebbin kein Problem ist, wenn Neonazis für das Team antreten. Mit dieser Einstellung ist der Verein leider nicht alleine.

Luca Böttcher beim SV Hertha 1923 Neutrebbin
Luca Böttcher beim SV Hertha 1923 Neutrebbin

Enrico Rehling beim SVM Gosen

Kurz hinter der Berliner Stadtgrenze spielt Enrico Rehling als Stammtorwart der A-Jugend des SVM Gosen (Landkreis Oder-Spree). Wie Luca Böttcher ist auch Rehling ein bekanntes Mitglied der NRJ. Das erste Mal trat er am 1. Mai 2023 als Teil der Delegation aus Berliner und Brandenburg Neonazis bei einer Veranstaltung im Parteibüro vom „III. Weg“ im thüringischen Ohrdruf öffentlich in Erscheinung.[9] Seitdem ist er regelmäßig bei NRJ-Aktivitäten anwesend. Stets vermummt posierte er beispielsweise am 17. Oktober 2023 und am 21. Januar 2024 vor frischen Neonazi-Graffiti in Hellersdorf. Auch beim Kampfsporttraining am 13. Juli 2024 in Lichtenberg war er anwesend.[10]

Daneben war Enrico Rehling mehrfach an Neonazi-Angriffen in Berlin und Brandenburg beteiligt. Zusammen mit Böttcher war er unter den Neonazis, die 2023 versuchten Teilnehmenden auf dem CSD 2023 in Berlin anzugreifen (damals aufgeführt als „Unbekannt 3“) sowie die antifaschistische Demonstration im Oktober des gleichen Jahres in Pankow bedrohten (in der Veröffentlichung 2. Reihe, 3. Person von links). Am 27. Januar 2024 hielt sich Rehling erneut im Umfeld einer antifaschistischen Demonstration auf. Nachdem er erst aus der Wohnung von Erik Storch heraus die Versammlung beobachtete, wurde er später als Teil einer Neonazigruppe von der Polizei festgesetzt.[11] Doch nicht nur in Berlin fällt Enrico Rehling durch seine Neonazi-Aktivitäten auf. Auch in seinem Heimatort Gosen ist Rehling bereits polizeibekannt. Hier kam es zu rechtsmotivierten Angriffen und Bedrohungen durch ihn.

Enrico Rehling („Unbekannt 3″) beim versuchen Angriff auf Teilnehmende des CSD Berlin am 27. Juli 2023
Enrico Rehling beim versuchen Angriff auf Teilnehmende des CSD Berlin am 27. Juli 2023
Enrico Rehling (mittig mit schwarzem Tuch) und Luca Böttcher (rechts mit weißem Tuch) am 14.10.2023 in Pankow, Foto: PM Cheung

Obwohl Rehling in Gosen als Neonazi bekannt ist, versucht er seine Aktivitäten zu verschleiern. Er leugnet die Beteiligung an Neonazi-Veranstaltungen und versucht auf Fotos stets vermummt aufzutreten. Für den SVM Gosen scheint diese notdürftigen Maskerade auszureichen. Auch in der kommenden Saison wird Rehling wieder für die A-Junioren des Vereins in der Kreisliga im Tor stehen. Auf Bildern von Vereinsfeierlichkeiten ist er freudig unter vielen anderen Mitgliedern und Spielern zu sehen. Seine Neonazi-Ideologie trifft hier nicht auf Widerspruch.

Enrico Rehling beim SVM Gosen
Enrico Rehling beim SVM Gosen
Enrico Rehling beim SVM Gosen

Neonazis in (Fußball-)Vereinen

Die Beispiele Luca Böttcher und Enrico Rehling zeigen, dass die Gefahr von Neonazis im Fußball nicht nur von rechten Hooligan- oder Ultra-Gruppen ausgeht. Auch außerhalb von expliziten Neonazivereinen und Fankurven können junge Rechte in Breitensportvereinen aktiv werden. Teilweise wissen die Vereine nichts von den Aktivitäten ihrer Spieler*innen. Bei Enrico Rehling und Luca Böttcher handelt es sich jedoch um exponierte Mitglieder der NRJ. Es ist nahezu unmöglich, dass ihren Stammvereinen die jeweilige Gesinnung der beiden entgangen ist. Beide sind gewaltbereite Neonazis, die in der Vergangenheit mehrfach an Angriffen beteiligt waren. Ihre neonazistische Aktivität ist das Gegenteil von sportlicher Fairness. Daher ist zu vermuten, dass Hertha Neutrebbin und der SVM Gosen bewusst wegschauen. Leider ist eine solche Ignoranz weit verbreitet, da gerade kleine Vereine Angst haben, Spieler*innen zu verlieren bzw. den „Vereinsfrieden“ zu gefährden. Durch das Wegschauen öffnen sich aber Räume für extrem rechte Akteur*innen, um trotz ihrer Ansichten in neue gesellschaftliche Bereiche vorzudringen. Durch ihre sportliche Aktivität können sie über Jahre das Klima in den Vereinen in ihrem Sinne beeinflussen. Gleihzeitig schließen sie mit ihrer Präsenz in den Vereinen die Sportangebote für diejenigen, die von rechter Gewalt betroffen sind.

Es ist zu vermuten, dass es sich bei Luca Böttcher und Enrico Rehling nicht um die einzigen beiden Mitglieder der NRJ und vom „III. Weg“ in Breitensportvereinen handelt. Wer Informationen zu weiteren Neonazis im Fußball und anderen Sportarten hat, kann eine E-Mail an dritterwegrecherche@riseup.net senden.


Neonazis vom „III. Weg“ bei antirassistischer Kundgebung in Berlin-Hellersdorf

Autor:innen: anonym

Erstveröffentlichung unter Indymedia

Am 6. Januar 2024 fand auf dem Hellersdorfer Cecilienplatz die antifaschistische Kundgebung „Solidarität mit den Betroffenen rechter Gewalt“ statt, um rassistische Übergriffe in der Region zu thematisieren. Während der Versammlung bewegten sich ca. 6-7 Neonazis vom „III. Weg“ sowie weitere Rechte im Nahfeld der Versammlung, um Antifaschist:innen einzuschüchtern. Durch die Entschlossenheit der Kundgebungsteilnehmer:innen scheiterte ihr Vorhaben.

Eine Dreiergruppe vom „III. Weg“ postierte sich direkt vor dem Büro der Linkspartei am Cecilienplatz. Darunter war der bekannte Neonazi-Aktivist Erik Storch, der sich mit einem Pfefferspray neben der Kundgebung aufstellte. Ein weiterer Neonazi vom „III. Weg“ stand neben ihm mit angelegten Protektorenhandschuhen („Unbekannt 1“). Als Dritter versuchte sich Larsen Aslan erneut als „Anti-Antifa-Fotograf“. Bereits in den vergangenen Monaten wurde Aslan mehrfach dabei beobachtet, wie er in verschiedenen Bezirken Antifa-Demonstrationen abfotografierte. Die Bilder dienen der Einschüchterung und Erkenntnisgewinnung über politische Gegner:innen. Neben den dreien war noch mindestens eine weitere Gruppe aus dem Spektrum des „III. Wegs“ in der Umgebung unterwegs.

Zudem wurde die antirassistische Kundgebung unabhängig von mehreren lokalen Neonazis beobachtet. Während „Unbekannt 2“ und „Unbekannt 3“ zusammenstanden, war „Unbekannt 4“ alleine mit seinem Schäferhund vor Ort. Er ist bereits einschlägig durch rechte Übergriffe vor Ort bekannt.

Es ist offensichtlich, dass sich zumindest die Neonazis vom „III. Weg“ auf eine mögliche Auseinandersetzung mit Antifaschist:innen vorbereitet hatten und entsprechend mit Pfefferspray und Protektorenhandschuhen ausgerüstet waren. Ob sie vielleicht sogar einen Angriff auf die Kundgebung geplant hatten, ist unklar. Zudem deutet die weitere Neonazi-Gruppe aus dem Parteiumfeld darauf hin, dass an- und abreisende Antifaschist:innen ausgespäht wurden oder vielleicht sogar überfallen werden sollten. In dieser Situation ließen die anwesenden Cops die Neonazis gewähren. Es ist nicht das erste Mal, dass die Cops der örtlichen Abschnitte Neonazis hofieren. Aber etwas Anderes erwarten wir von den Handlangern des kapitalistischen Systems auch nicht. In Anbetracht der beschriebenen Entwicklungen ist es wichtiger denn je, den antifaschistischen Selbstschutz in Zukunft auch bei kleineren Kundgebungen konsequent zu organisieren! Schon bevor Nazis uns auflauern und bedrohen wollen, müssen wir sie zurückschlagen.

Hinweise über die unbekannten Personen können an folgende Emailadresse gesendet werden: dritterwegrecherche@riseup.net