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Neonazidemo am 14.12. in Berlin – Rechte Vernetzung mit Bundesmitteln?

Am 14. Dezember 2024 soll in Berlin unter dem Motto „Für Recht und Ordnung: gegen Linksextremismus und politisch motivierte Gewalt“ eine extrem rechte Demonstration stattfinden. Der Aufruf dazu kommt von einem sogenannten „Aktionsbündnis Berlin-Brandenburg“. Wer dahinter steht, ist nicht offiziell bekannt, da sich bisher nur wenige Personen öffentlich zu dieser Struktur bekannt haben. Neben „Junge Alternative“ (JA) Mitgliedern aus unterschiedlichen Teilen der Bundesrepublik tauchen auch Neonazis aus Berlin und Brandenburg im Rahmen der Demonstration auf. Die Verbindung zwischen diesen regional sehr unterschiedlichen Akteuren könnte der Bundestagsabgeordnete Matthias Helferich sein. Recherchen legen nahe, dass sich die Struktur um den 14. Dezember auf einer von Helferich angebotenen Berlinfahrt vernetzt haben könnte. Hat der Abgeordnete aus Bundesmitteln ein extrem rechtes Treffen finanzieren lassen?

Die AfD lädt nach Berlin…

Matthias Helferich ist das „freundliche Gesicht des NS“. So zumindest bezeichnete sich der Dortmunder Bundestagsabgeordnete und AfD-Politiker in internen Chats. Dennoch konnte er 2021 über die Landesliste der Partei in Nordrhein-Westfalen in den Deutschen Bundestag einziehen. Allerdings löste er mit seiner extrem rechten Ausrichtung eine Kontroverse aus, in deren Verlauf er auf die Aufnahme in die AfD-Fraktion verzichtete. Trotzdem nominierte ihn sein Kreisverband der AfD erneut zum Direktkandidaten. Helferich zeigt sich gerne als Mitglied und Fürsprecher der extrem rechten Parteijugend. Somit ist Helferich ein bundesweit wichtiger Schnittpunkt zwischen offen völkischen Teilen der AfD, unterschiedlichen Verbänden der JA und Strukturen der außerparlamentarischen extremen Rechten. Allein 2024 organisierte er zwei Veranstaltungen mit dem völkischen Publizisten Götz Kubitschek (zuletzt am 4. Dezember 2024 im Bundestag). Zudem spendete er im November öffentlichkeitswirksam eine vierstellige Summe an das extrem rechte Kampagnen-Netzwerk „Ein Prozent“.

Obwohl Matthias Helferich fraktionslos ist, genießt er die regulären Privilegien eines Bundestagsabgeordneten. Dazu gehört unter anderem die Möglichkeit über das Bundespresseamt mehrmals im Jahr „politisch interessierte Bürger“ kostenlos für mehrere Tage nach Berlin einzuladen. Diese sogenannten BPA-Fahrten umfassen Besuche von Museen, Gedenkstätten und politischen Institutionen sowie ein kleines Rahmenprogramm mit Restaurant- und Kneipenabende. Matthias Helferich nutzte dieses Angebot in der Vergangenheit regelmäßig. Seine dritte BPA-Fahrt im Jahr 2024 fand vom 10. bis zum 12. Oktober statt. Nur wenige Tage zuvor wurde der Account „Aktives Berlin“ auf Telegram erstellt und eine erste Aktion angekündigt.

Der Fahrt-Zeitraum war gezielt gewählt. Am 10. Oktober hielt Helferich als selbsternannter „Bundestags-Talahon“ eine rassistische Rede im Parlament. In Jogging-Anzug und mit Goldkettchen trat er ans Podium, um mit der Karnevalsnummer Klickzahlen auf Social Media zu generieren. Im Anschluss an seine Rede traf sich Helferich in voller Verkleidung mit den Teilnehmenden der Fahrt und ließ sich von ihnen für die rassistische Provokation feiern. Neben der schamlosen Selbstvermarktung von Matthias Helferich stand unter anderem noch ein Besuch beim Bundesnachrichtendienst auf dem Programm. Am 11. Oktober ging es für die Teilnehmenden der Fahrt in den Bundestag für eine Diskussionsrunde mit Helferich, Roger Beckamp und Eugen Schmidt (alle AfD). Anschließend erfolgte ein Besuch ins Berliner Abgeordnetenhaus, wohin die extrem rechte Reisegesellschaft aus NRW von Thorsten Weiß eingeladen wurde. Weiß, ein enger Freund von Björn Höcke, ist der ehemalige Obmann vom völkischen „Flügel“ in Berlin und eine profilierte Figur am völkischen Rand der AfD. In diesem Sinne scheint Helferich seine BPA-Fahrten gezielt für eine Vernetzung von extrem rechten Kräften in der AfD zu nutzen, um so deren Einfluss in der Partei auszubauen.

und die extreme Rechte kommt zusammen

Dementsprechend lohnt sich auch ein Blick auf die Teilnehmenden der BPA-Fahrt. Unter ihnen fällt besonders Ferhat Sentürk auf. Wenig Wochen nach dem Berlin-Besuch wird der extrem rechte Möchtegern-Influencer als erste Person öffentlich in einem Video für das „Aktionsbündnis Berlin-Brandenburg“ auftreten.

Diese Parteinahme verwundert, da der Aktionsschwerpunkt des politischen Selbstdarstellers zuvor vor allem im Raum Aachen lag. Dort engagierte sich Sentürk seit Anfang 2024 in der lokalen AfD und stieg schnell als Beisitzer in den Vorstand des Stadtverbandes auf. Parallel bemühte er sich um eine starke Anbindung an die Strukturen der JA in Nordrhein-Westfalen, ohne jedoch zu deren engerem Führungskreis zu gehören. In diesem Zusammenhang dürfte auch der persönliche Kontakt zu Matthias Helferich zustande gekommen sein. Im Rahmen der BPA-Fahrt im Oktober scheint Sentürk sogar der Ansprechpartner für die Teilnehmenden aus dem Raum Aachen gewesen zu sein.

Doch wie Helferich ist auch Sentürk in der AfD nicht unumstritten. Anfang Oktober organisierte er einen Stammtisch der JA in Aachen. Als rund 40 Antifaschist*innen versuchten die Veranstaltung zu blockieren, griff Sentürk diese körperlich an. Im Anschluss distanzierte sich der AfD-Kreisverband Aachen von ihm und brachte sogar ein Parteiausschlussverfahren ins Spiel. Am 1. Dezember eskalierte der parteiinterne Streit öffentlich. Als Sentürk von einer Sitzung des Kreisverbandes ausgeschlossen werden sollte, lieferte sich eine Rangelei mit dem anwesenden Sicherheitsdienst. Inzwischen gibt er an, selbst aus der AfD ausgetreten zu sein und eine neue rechte Partei gründen zu wollen. Dennoch bewirbt Sentürk weiterhin die Demonstration vom 14. Dezember. Vor diesem Hintergrund erscheint diese einerseits wie der Versuch eines politischen Egomanen, sich mit einem Schlag einen Namen innerhalb der extremen Rechten bundesweit machen zu wollen, und andererseits auch als beleidigte Rache an linken Strukturen nach der antifaschistischen Blockade von Sentürks JA-Stammtisch in Aachen.

Extrem rechtes Vernetzungstreffen in Berlin

Doch Ferhat Sentürk war nicht der einzige Akteur der extrem rechten Demonstration in Berlin, der im Rahmen von Helferichs BPA-Fahrt auffiel. So veröffentlichte der Eberswalder AfD-Lokalpolitiker Maximilian Fritsche ein Foto, das ihn mit Helferich in gemütlicher Bierrunde im „Valentin“ an der Hasenheide in Neukölln zeigt. Der Brandenburger Neonazi Luka Zechel teilte ebenfalls ein Foto von sich und Helferich, das ebenfalls in dem Neuköllner Restaurant aufgenommen wurde. Auf beiden Fotos trägt Helferich eine hellgraue Anzugjacke mit schwarzem Einstecktuch, ein weißes Hemd und eine blaue Krawatte mit hellem Muster.

In seinen online-Auftritten ist er in diesem Outfit bei genau zwei Veranstaltungen zu sehen. Das ist einmal die Diskussionsveranstaltung im Bundestag am 11. Oktober und der Besuch im Abgeordnetenhaus am gleichen Tag (siehe Bild 3). Es ist somit davon auszugehen, dass die Kneipen-Fotos ebenfalls am 11. Oktober und damit im Zeitraum der BPA-Fahrt aufgenommen worden sind. Aufgrund der gut gefüllten Tische im Hintergrund könnte der Besuch im „Valentin“ sogar ein offizieller Punkt der vom Bundespresseamt organisierten Fahrt gewesen sein.

Einige Zeit später tauchten Maximilian Fritsche und Luka Zechel dann ebenfalls im Kontext der extrem rechten Demonstration am 14. Dezember auf. So wurde Fritsche in einer Veröffentlichung vom „Aktionsbündnis Berlin-Brandenburg“als Organisator angeführt.

Der Tischler Fritsche aus Eberswalde sitzt für die AfD in der Stadtverordnetenversammlung und ist Beisitzer im Barnimer Kreisvorstand. Zudem ist er in der JA Brandenburg aktiv, ohne dort im Vordergrund zu agieren. Bei öffentlichen Aktionen tauchte er zum Beispiel am 8. und 15. Januar 2024 mit einer JA-Delegation bei den „Bauernprotesten“ in Berlin auf. Am 22. April 2024 nahm er an einer AfD-Kleinstkundgebung gegen einen geplanten Solarpark in Falkenberg/Mark teil und am 16. Juli 2024 besuchte die Versammlung gegen das Verbot des extrem rechten Medienunternehmens „COMPACT“ in Falkensee. Insgesamt verfügt Fritsche wie auch Sentürk über ein ausgeprägtes Sendungsbewusstsein, ist in der AfD jedoch politisch eher unbedeutend. Nichtsdestotrotz ist er in die Strukturen der JA eingebunden und gut mit Akteuren der außerparlamentarischen Rechten vernetzt.

Wahrscheinlich kam über ihn auch der Kontakt zu Luka Zechel zustande. Dieser lebt unweit von Eberswalde in Bad Freienwalde. Bis zum Frühjahr 2024 war Zechel vorwiegend aus einer rechtsoffenen Szene bekannt, die sich rund um den örtlichen Bahnhof trifft. Im Juli tauchte er im Kontext des versuchten Neonazi-Angriffs auf den CSD in Berlin auf. Zuletzt nahm er am Neonaziaufmarsch der beiden Gruppen „Deutsche Jugend Voran“ und „Jung & Stark“ am 19. Oktober 2024 in Berlin-Marzahn teil. Zechel sucht sowohl Kontakt zur AfD, beispielsweise auf deren „Familienfest“ in Bad Freienwalde, als auch zu den neueren jugendlichen Neonazivernetzungen. Es ist somit möglich, dass während der BPA-Fahrt von Matthias Helferich nicht nur der völkische Rand der AfD zusammenkam, sondern ebenso die Vernetzung mit gewaltbereiten Neonazis betrieben wurde. Kurz nach dem Bekanntwerden der Demonstrationsanmeldung in Friedrichshain begann Zechel jedenfalls, die Veranstaltung massiv auf seinen Social-Media-Seiten zu bewerben und damit zielgerichtet in das Spektrum der neuen Neonazizusammenschlüsse zu pushen.

Julia Ender und Luka Zechel auf dem „Familienfest“ der AfD am 14.09.2024 in Bad Freienwalde, Foto: Pressefuchs

Hofiert ein Bundestagsabgeordneter Neonazis?

Diese ausgestellte Begeisterung könnte auch damit zusammenhängen, dass Jannik D. Giese, der mutmaßliche Leiter der Demonstration am 14. Dezember, ein enger Freund von Zechel ist. Darüber hinaus ist zu Giese relativ wenig bekannt. Zuletzt nahm er am Neonaziaufmarsch am 19. Oktober in Berlin teil. Auch Jannik D. Giese tauchte im Zusammenhang mit der BPA-Fahrt vom Abgeordneten Matthias Helferich auf. Es existieren gemeinsame Fotos von Giese, Fritsche und Zechel an einem unbekannten Ort, die aufgrund der Kleidung höchstwahrscheinlichaus dem Zeitraum der Berlinfahrt stammen. Zudem prahlte Giese im Anschluss an das Wochenende damit, am 10. Oktober im Bundestag gewesen zu sein.

Wer außer Ferhat Sentürk von den Organisatoren des Neonaziaufmarsches in Berlin regulärer Teilnehmer der Fahrt von Helferich war, kann momentan nicht abschließend geklärt werden. Zumindest kamen auch andere Berlin-Gäste von Helferich nicht aus seinem Wahlkreis. Letztendlich ist es auch wenig relevant, wo sich Fritsche, Zechel und Giese getroffen haben und ob sie dies bereits während des offiziellen Programms taten. Sicher ist, dass sie sich später mit Matthias Helferich (und wahrscheinlich auch Ferhat Sentürk) trafen, um ihre Pläne bei einem Bier im „Valentin“ zu konkretisieren. Somit konnten erst durch die von Helferich organisierte Fahrt alle zentralen Akteure der extrem rechten Demonstration vom 14. Dezember in Berlin zusammenkommen. Der Bundestagsabgeordnete hat damit aller Wahrscheinlichkeit seine aus Bundesmitteln finanzierten Privilegien genutzt, um im Kontext einer vom Bundespresseamt finanzierten Fahrt extrem rechte Strukturen außerhalb der AfD miteinander zu vernetzen. Höchstwahrscheinlich hat er dabei sogar bekannten Neonazis einen kostenlosen Berlinaufenthalt bei Essen und Getränken ermöglicht. Hier zeigt sich exemplarisch, wie von der AfD aufgestellte Abgeordnete die Spielräume ihrer Mandate ausnutzen, um auch außerparlamentarisch politische Wirkungen zu entfalten.

Der harte Kern der Neonazigruppen DJV & JS (Outingplakat, aktuelle Einschätzung, Razzien und nächste Neonazidemo)

Stand Dezember 2024. Einige Informationen wurden aktualisiert.

Für die neuen Neonazivernetzungen „Deutsche Jugend Voran“ (DJV) und „Jung & Stark“ (JS) war der vergangene Monat ziemlich turbulent. Zuerst hatten beide Zusammenschlüsse am 19. Oktober 2024 den ersten Neonaziaufmarsch in Berlin seit 2020 organisiert. Auf diese Weise versuchten sie, eine parallel stattfindende feministische Antifa-Demonstration zu stören. Trotz bundesweiter Mobilisierung kamen jedoch nur circa 150 Neonazis nach Berlin-Marzahn. Wenige Tage später folgte dann am 23. Oktober eine Reihe an Razzien gegen DJV, JS und ihre Umfelder. Hintergrund waren vornehmlich polizeiliche Ermittlungen zu mehreren Übergriffen in der Vergangenheit. In Rahmen der Geschehnisse sind einige neue Informationen ans Tageslicht gekommen, die wir im folgenden Übersichtsartikel zusammengefasst haben. Mittlerweile hat sich ein konstanter personeller Kern beider Gruppen herauskristallisiert. Mit einem Outingplakat sollen die gewalttätigen Neonazis bekannt gemacht werden und Personen für die von ihnen ausgehenden Gefahren sensibilisiert werden. Weiterhin soll der Übersichtsartikel eine kurze Einschätzung über aktuelle Verbindungen von DJV zu anderen Gruppierungen geben und eine Einschätzung zu deren Beteiligung bei der angekündigten rechten Demonstration am 14.12.2024 in Berlin-Friedrichshain.

 Die Köpfe der Demonstration am 19. Oktober 2024

Nachdem für den 19. Oktober 2024 eine feministische Antifa-Demo in Berlin-Marzahn angekündigt wurde, begannen die Kreise um DJV und JS mit einer Gegenmobilisierung. Ihre Strategie erinnerte dabei an die neonazistischen Proteste gegen CSD-Veranstaltungen in den letzten Monaten. Mit einem eigenen Aufmarsch wollten die Neonazis Dominanz auf den Straße ausstellen und so andere Meinungen und Lebensentwürfe unsichtbar machen. Zu diesem Zweck mobilisierten beide Gruppen bundesweit und konnten unter anderem eine kleinere Delegation von „Revolte Chemnitz“ nach Berlin locken. Insgesamt blieb der Neonazi-Aufmarsch mit rund 150 Teilnehmenden deutlich hinter den Erwartungen der Organisierenden zurück. Auch die gewählte Taktik, mehrere hundert Meter hinter der antifaschistischen Demonstration zu laufen, hat nicht zur Attraktivität der Neonaziversammlung beigetragen. Dennoch kam es im Vorfeld und im Umfeld des Aufmarsches zu verstärkten Neonazi-Aktivitäten, was sich auch in körperlichen Übergriffen äußerte.

Als organisatorischer Kern des Neonaziaufmarsches traten größtenteils die aus den letzten Monaten bekannten Gesichter auf. Geleitet wurde die Versammlung erwartungsgemäß von Julian Milz, dem Kopf von DJV in Berlin. Als Anmelder trat jedoch Erik Franke auf, wohnhaft in Berlin-Hellersdorf, gemeldet in Berlin-Lichtenrade (bei seiner Mutter Yvonne Franke). Eine weitere Person aus dem Kreis der Mitorganisatoren war Leon. Der Fan von Hertha BSC in der Vergangenheit schon bei vielen Neonaziversammlungen gegen CSD-Veranstaltungen aufgefallen. Zuletzt versuchte er unter dem Namen „Hauptstadtrevolte“ eine Ortsgruppe der „Jungen Nationalisten“ (JN) in Berlin zu gründen. Allerdings kam dieser Ansatz bisher nicht über den virtuellen Raum hinaus.

Insgesamt zeigte sich beim Aufmarsch am 19. Oktober, dass DJV und JS nicht mit etablierten Neonazistrukturen verbunden sind. So nahmen zwar bekannte Akteure aus dem Spektrum von „Die Heimat“ (u.a. Andreas Storr, Andreas Käfer), aus dem Spektrum des „III. Wegs“ (u.a. Andi Körner) sowie lokale Neonazis (René Uttke, Kai Milde und Katrin Körner) zu Beginn an der Demonstration teil. Doch blieben sie insgesamt im Hintergrund. Auf der Versammlung waren ebenfalls Kleidungsstücke der Neonazi-Organisationen „Die Heimat“ und „III. Weg“ bzw. ihrer jeweiligen Jugendgruppen anzutreffen. Diese wirkten jedoch eher wie modische Accessoires und weniger als explizite Zugehörigkeitsbekenntnisse.

Neonazi-Razzien am 23. Oktober 2024

Am 23. Oktober 2024 folgte dann ein polizeilicher Großeinsatz gegen Akteure aus dem Spektrum von DJV und JS. Hintergrund waren jedoch nicht die Aktivitäten rund um die Demonstration vom 19. Oktober. Stattdessen erfolgten die Durchsuchungen aufgrund mehrerer Übergriffe auf Antifaschist*innen in den vergangenen Monaten, mit denen sich die beteiligten Neonazis breit im Internet brüsteten. Insgesamt wurden am 23. Oktober neun männliche Personen im Alter zwischen 16 und 23 Jahren durchsucht. Die Durchsuchungen fanden in Hellersdorf, Köpenick, Marzahn und Neu-Hohenschönhausen sowie im brandenburgischen Letschin und Wandlitz statt. Bestätigt sind dabei Razzien bei den folgenden Neonazis:

Nick Thomas Christopher Wetzels aus Marzahn

Hendrik Boutry (bisher „Unbekannt 42“) aus Marzahn

Aaron (bisher „Unbekannt 39“) aus Köpenick

Philippe Beneke (Spitzname: „Calle“) aus Marzahn

Julian Milz, bei dem gewaltbereiten Polizistensohn wurde sein elterliches Wohnhaus in Wandlitz durchsucht

Vincent Gutjahr (Spitzname: „Svenny“) aus Marzahn

„Felix“, der in der Vergangenheit vor allem als regelmäßiger Teilnehmer von Aufmärschen und Aktivitäten aus dem Spektrum von DJV und JS aufgefallen ist

– sowie Anthony (bisher „Unbekannt 46“), der öffentlich bisher vor allem als Ordner bei der Neonaziversammlung im Leipziger Hauptbahnhof sowie bei Aktivitäten außerhalb von Demonstrationen auftrat

Zudem wurde der Maler Janeck Wolfgang G. aus Marzahn-Hellersdorf durchsucht. Bei ihm sind keine engen Verbindungen zum politischen Spektrum um DJV oder JS zu erkennen. Laut Medienberichten geriet er vor allem wegen Fotos in den sozialen Medien ins Visier der Ermittlungsbehörden. Dort posierte er mit Polizeiweste und Schusswaffen. Aufgrund seiner offenen rechten Weltanschauung dürften die Razzien gegen die Neonazigruppen eher ein Anlass gewesen sein, um G. mit zu durchsuchen.

Zur Identität der neunten durchsuchten Person konnten wir keine öffentlich verfügbaren Belege finden.

Neben der genannten Adresse in Wandlitz wurden von Julian Milz noch mindestens eine weitere Anschrift durchsucht. Zuletzt hielt er sich regelmäßig in Marzahn-Hellersdorf auf. Die unklaren Wohnverhältnisse dienten den Ermittlungsbehörden als ein Grund, um eine Untersuchungshaft anzuordnen. Obwohl Julian Milz seit den Razzien inhaftiert ist, hält sich die öffentlich wahrnehmbare Solidarität mit den durchsuchten Neonazis in Grenzen. Eher sind aus den Umfeldern von DJV und JS in den sozialen Medien Distanzierungen von Gewalt zu lesen, die aufgrund der Gewaltbereitschaft vieler Mitglieder allerdings vor allem mit dem Repressionsdruck zusammenhängen. Zugleich haben die Durchsuchungen den Kern der Gruppen näher zusammengebracht. Insgesamt sind JS und DJV nach dem Versammlungsmarathon im Sommer und Herbst inzwischen in die Phase der Konsolidierung eingetreten. Neben den Durchsuchten tauchen nur wenige weitere Personen regelmäßig im Kontext der Gruppen auf. Eine Konstante ist u.a. „Unbekannt 39“ (Rufname „Aaron“) aus Köpenick, zu dem bisher keine weiteren Informationen vorliegen.

Auch abseits der Razzien steigt der Repressionsdruck gegenüber DJV und JS gerade merklich. So musste kürzlich Kevin Taylor Hennig (Spitzname: „Nesto“) für zwei Wochen in den Jugendarrest. Der 18-Jährige Neonazi ist der kleinere Bruder vom Steve Mike Hennig, der um 2010 in der Kameradschaft „FN Mitte“ aktiv war und inzwischen fleißig die AfD unterstützt. Taylor Hennig war in den zurückliegenden Monaten an zahlreichen Störversuchen gegen CSD-Demonstrationen beteiligt und nahm ebenfalls an einer Versammlung der AfD in Berlin-Hohenschönhausen teil.

Einschätzung DJV – III. Weg

Im Zuge der Razzien wurde bei mindestens zwei Neonazis Material vom „III. Weg“ sichergestellt. So sind auf den Fotos der Dursuchungen ein T-Shirt und Flyer der Neonazipartei zu sehen. Zudem waren unter anderem Carsten Grasse, „Unbekannt 46“ sowie Christopher Wetzels in der Vergangenheit mit Bekleidung vom „III. Weg“ ausgestattet. Diese wenigen Anhaltspunkte wurden in der Presseberichterstattung genutzt, um Verbindungen zwischen DJV, JS und dem „III. Weg“ herzustellen. Dieser distanzierte sich umgehend von den durchsuchten Neonazis und stellte klar, dass sie niemals in der Partei oder deren Jugendorganisation aktiv gewesen wären. Hierbei dürfte es sich nicht nur um einen strategischen Schachzug handeln. So gab es zwar in der Vergangenheit durchaus Kontakte zwischen Personen aus dem Spektrum von DJV und JS und dem „III. Weg“. Es ist bekannt, dass Christopher Wetzels an Propagandaaktionen in Berlin-Hohenschönhausen sowie in Erkner beteiligt war. Zudem verteilte er eigenständig Parteiflyer in seiner Nachbarschaft und nahm an mindestens einem Kampfsporttraining vom „III. Weg“ teil. Auch Carsten Grasse stellt sich gerne in die Nähe der Partei, indem er beispielsweise regelmäßig deren offizielle Kleidung trägt und ebenfalls an einem Training teilnahm. Zudem war er mit seinem kleinen Bruder beim Wahlkampfabschlusses in Cottbus und verteilte dort Flyer mit dem „III. Weg“.

Bei all diesen Verbindungen handelte es sich jedoch vornehmlich um punktuelle Kontakte. Es ist davon auszugehen, dass der „III. Weg“ mit solchen niedrigschwelligen Aktivitäten versuchte, die Eignung der Neonazis für eine weitergehende Parteiarbeit zu testen. Darüber hinaus gibt es keine Belege für eine engere Zusammenarbeit mit den durchsuchten Neonazis. Das zeigte sich auch auf Versammlungen, die von beiden Spektren besucht wurden. Während Carsten Grasse und sein Bruder beim Aufmarsch vom „III. Weg“ gegen den CSD in Zwickau zwar kurz zwischen den Berliner Parteimitgliedern zu sehen sind, übernahmen sie keine besondere Aufgabe auf der Versammlung. Grasses Bruder trug lediglich gegen Ende ein Plakat. Demgegenüber besuchten einige Mitglieder vom Berliner Stützpunkt des „III. Wegs“ den von DJV mitgestalteten Aufmarsch gegen den CSD in Görlitz. Auch dort sind keine Kontakte zwischen den unterschiedlichen Gruppierungen belegt. Einzig Grasse bewegte sich kurzzeitig in der Nähe der Berliner „III. Weg“-Mitglieder. Die jeweiligen Akteur*innen blieben allerdings bei der An- und Abreise in ihren eigenen Kreisen; so reiste Grasse mit mindestens 12 weiteren Neonazis aus dem Spektrum DJV und JS mit der Bahn vom Berliner Ostkreuz nach Görlitz.

Alles in allem haben Einzelmitglieder von DJV und JS also durchaus eine Nähe zum „III. Weg“ gesucht. Doch die Kontakte waren eher oberflächlich. Zu einer Aufnahme in die Partei oder ihre Jugendorganisation dürfte es nie gekommen sein. Ob Wetzels oder Grasse überhaupt Anwärter auf eine Mitgliedschaft waren, muss spekulativ bleiben. Zudem dürfte der von massivem Drogen- und Alkoholkonsum geprägte Lebenswandel der Neonazis Grasse und Wetzels kaum dem Selbstverständnis vom „III. Weg“ als neonazistischer Kaderpartei entsprechen. In diesem Sinne waren auch die festgestellten Flyer oder Kleidungsstücke, die die DJV-Neonazis bei sich trugen, größtenteils über den offiziellen Onlineshop („Materialvertrieb“) vom „III. Weg“ erhältlich und damit ohne Mitgliedschaft in der Partei zu erwerben. Trotz der Nähe von einigen Personen zum „III. Weg“ sind DJV und JS kaum auf eine Organissation festgelegt. In der Vergangenheit warben die einzelnen Mitglieder für die Junge Alternative, die Jungen Nationalisten und für den „III. Weg“ im regelmäßigen Wechsel. Auch Wetzels fertigte ein Foto an, auf dem er alle Parteilogos vom „III. Weg“ mit den Buchstaben JN (Junge Nationalisten) übermalte. In den Führungsebenen der entsprechenden Organisationen dürfte diese Beliebigkeit auf keine Gegenliebe treffen.

Die nächste Neonazidemo am 14. Dezember

Am 14. Dezember 2024 ruft ein sogenanntes „Aktionsbündnis Berlin“ zu einer Demonstration auf, die sehr anschlussfähig für neonazistische Mobilisierungen zu sein scheint. Unter dem Motto „Für Recht und Ordnung: gegen Linksextremismus und politisch motivierte Gewalt“ soll der rechte Aufmarsch durch Berlin-Friedrichshain laufen. Wer sich genau hinter diesem „Aktionsbündnis“ verbirgt, ist bisher noch nicht vollständig bekannt. In der Öffentlichkeit positioniert sich vor allem Ferhat Sentürk für die Versammlung. Gegen das AfD-Mitglied aus Aachen ist momentan ein Parteiausschlussverfahren anhängig, sodass er verstärkt den Kontakt zu anderen Gruppierungen der extremen Rechten sucht. Weitere Personen, die neben Sentürk bisher als Organisatoren bzw. Redner auf dem Aufmarsch angeführt werden, sind der rechte Social Media-Kanal „Der Fürst“, der junge AfD-Politiker Maximilian Fritsche aus Eberswalde sowie Jannik D. Giese. Letzterer soll auch Leiter der Versammlung sein. Zudem ist Giese eine personelle Verbindung zum jugendlichen Neonazi-Spektrum um DJV und JS. Jannik D. Giese nahm beispielsweise am 19. Oktober am Neonaziaufmarsch in Berlin-Marzahn teil (Fotos auf dem Plakat). Zudem scheinen Giese und Fritsche mit Luka Zechel befreundet zu sein. Der Neonazi aus Bad Freienwalde wurde bereits beim ersten Störversuch von DJV auf den Berliner CSD von der Polizei festgesetzt. Auch Zechel nahm zuletzt am Marzahner Neonaziaufmarsch teil. Er kann somit weiterhin im Umfeld von DJV verortet werden. Trotz mehrerer öffentlicher Kontaktversuche wurde Zechel jedoch nie als Mitglied der Neonazigruppe aufgenommen. Stattdessen scheint er mittlerweile verstärkt Kontakte im Spektrum der AfD zu suchen, während er online seine Zustimmung zum Nationalsozialismus bekundet.

Durch die benannten direkten Verbindung zum Umfeld von DJV und JS kann der Aufmarsch vom „Aktionsbündnis Berlin“ klar als extrem rechtes Szeneevent eingeschätzt werden und richtet sich auch explizit an dieses Klientel. Dennoch sind die Reaktionen aus den beiden Neonazizusammenschlüssen bezüglich des 14. Dezembers bisher eher gemischt. Während beispielsweise Luka Zechel fleißig die Werbetrommel für seinen Kumpel Jannick rührt, distanzieren sich andere Neonazis von dem vermeintlichen „Selbstmordkommando“.

Fazit

Momentan hat das politische Spektrum um die Gruppen DJV und JS in Berlin mit vielen Problemen zu kämpfen. Dennoch haben sich aus den losen Netzwerken in den vergangenen Monaten kleine aber gefestigte Neonazistrukturen gebildet, die gerade auch durch Straßengewalt auffallen. Mit ihren Aktivitäten und der öffentlichen Präsenz öffnen sie anderen Akteuren der extremen Rechten die Tür, die sich so auch in Berlin einen erhöhten Resonanzraum für eigene Aktionen versprechen. Aus diesem Grund haben wir uns entschieden, zentrale Akteure aus diesem politischen Mischspektrum auf einem Plakat zu sammeln. Dabei handelt es sich um jene Personen, die in den vergangenen Monaten durch eine verstärkte Aktivität oder Gewaltbereitschaft aufgefallen sind bzw. im Kontext vom Aufmarsch am 14. Dezember sowie zukünftigen Terminen aktiver werden könnten.