In den vergangenen Wochen hat sich gezeigt, dass der „III. Weg“ in Berlin an zahlreichen Orten öffentliche Kampfsporttrainings anbietet. Mal handelt es sich um klandestin organisierte Treffen mit mehreren dutzend Neonazis aus verschiedenen Bundesländern, wie in der Lichtenberger Parkaue.[1] Ein anderes Mal um regelmäßige Sportangebote für eine vergleichsweise feste Trainingsgruppe, wie im Sportkomplex Rennbahnstraße in Weißensee.[2] Doch auch über Kampfsport hinaus spielt sportliche Betätigung in der neonazistischen Ideologie der Partei eine wichtige Rolle.[3] Zuletzt haben wir darüber berichtet, wie Mitglieder vom „III. Weg“ an öffentlichen Sportangeboten, wie Laufveranstaltungen, teilnehmen, um ihre Fitness zu testen. Im nächsten Teil unserer Artikel-Serie geht es um die Duldung von gewaltbereiten Neonazis in Vereinen des Breitensports. Momentan spielen mindestens zwei Mitglieder der Jugendorganisation vom „III. Weg“ (der „Nationalrevolutionären Jugend“, kurz: NRJ) in Brandenburger Vereinen regelmäßig Liga-Fußball. Hierbei handelt es sich um die Neonazis Luca Böttcher und Enrico Rehling.
* Update: Nach der Veröffentlichung der Recherchen vom „Antifaschistischen Monitor Berlin“ trennten sich sowohl der SVM Gosen als auch der SV Hertha 1923 Neutrebbin von ihren Spielern Enrico Rehling bzw. Luca Böttcher.
Der Neonazi Luca Böttcher bei Hertha Neutrebbin
Seit Jahren ist der 21-jährige Luca Böttcher (geb. am 26. Juni 2003) aus Neutrebbin (Landkreis Märkisch-Oderland) ein fester Bestandteil der gewaltbereiten Neonazigruppe NRJ. Zum ersten Mal trat Böttcher am 9. Dezember 2022 als Teilnehmer an einer Demonstration vom „III. Weg“ in Wittstock öffentlich in Erscheinung.[4] Inzwischen ist er in Berlin und Brandenburg regelmäßig bei den Aktivitäten der Jugendgruppe anzutreffen. Zuletzt nahm er am Kampfsporttraining in Berlin-Lichtenberg teil und unterstützte den Wahlkampf der Partei in Brandenburg.[5] Neben diesen offenen Parteiaktivitäten ist Luca Böttcher in der Vergangenheit mehrfach als Beteiligter bei Angriffen auf politische Gegner*innen wiedererkannt worden. Am 27. Juli 2023 war er Teil der Neonazi-Gruppe, die versuchte Teilnehmende des Berliner „Christopher Street Day“ anzugreifen.[6]
Knapp drei Monate später, am 14. Oktober 2023, bedrohte Böttcher mit rund einem Dutzend weiterer Neonazis eine antifaschistische Demonstration in Pankow.[7] Laut Augenzeug*innen war er ebenfalls dabei als eine Gruppe der NRJ am 21. Januar 2024 Menschen in der U-Bahn in Hellersdorf bedrohte.[8] Später am gleichen Tag griffen Teile der Gruppe, die bereits in Hellersdorf auffällig wurde, eine Person in Prenzlauer Berg wegen ihrer antifaschistischen Aufnäher am Rucksack an. Aufgrund dieses Angriffs sowie dem Neonazi-Überfall auf den Anreisetreffpunkt zu einer antifaschistischen Demonstration in Berlin-Hellersdorf am 6. Juli 2024 kam es am 18. Juli 2024 zu einer Großrazzia der Polizei gegen vermeintlich beteiligte Neonazis in Berlin (Pankow, Weißensee, Marzahn und Spandau) sowie in Brandenburg und Sachsen. Auch Luca Böttcher wurde dabei in Neutrebbin durchsucht.
Nach zahlreichen antifaschistischen Veröffentlichungen zu Luca Böttchers Aktivitäten sollte seine Gesinnung spätestens mit der Hausdurchsuchung in Neutrebbin bekannt sein. Dennoch steht Böttcher auch in der kommenden Saison im Kader der ersten und zweiten Herren vom lokalen Fußballverein „SV Hertha 1923 Neutrebbin“. Dort tritt er als Abwehrspieler in der „Ostbrandenburgliga“ (Kreisoberliga) an. Im Verein ist Böttcher kein Bankdrücker. In der zurückliegenden Saison kam er auf neun Einsätze in der ersten und vier Einsätze in der zweiten Mannschaft. Er kann somit als fester Teil des Vereins angesehen werden. Der Verein gibt somit einem bekannten und enorm gewaltbereiten Neonazi einen Raum. Durch die unhinterfragte Akzeptanz des Neonazis wird seine Ideologie normalisiert. Zugleich stellt er auf und neben dem Platz eine Gefahr für Gegenspieler und Fans dar. Aufgrund der weiterhin fehlenden Distanzierung des Vereins von Böttcher kann davon ausgegangen werden, dass es für Hertha Neutrebbin kein Problem ist, wenn Neonazis für das Team antreten. Mit dieser Einstellung ist der Verein leider nicht alleine.
Enrico Rehling beim SVM Gosen
Kurz hinter der Berliner Stadtgrenze spielt Enrico Rehling als Stammtorwart der A-Jugend des SVM Gosen (Landkreis Oder-Spree). Wie Luca Böttcher ist auch Rehling ein bekanntes Mitglied der NRJ. Das erste Mal trat er am 1. Mai 2023 als Teil der Delegation aus Berliner und Brandenburg Neonazis bei einer Veranstaltung im Parteibüro vom „III. Weg“ im thüringischen Ohrdruf öffentlich in Erscheinung.[9] Seitdem ist er regelmäßig bei NRJ-Aktivitäten anwesend. Stets vermummt posierte er beispielsweise am 17. Oktober 2023 und am 21. Januar 2024 vor frischen Neonazi-Graffiti in Hellersdorf. Auch beim Kampfsporttraining am 13. Juli 2024 in Lichtenberg war er anwesend.[10]
Daneben war Enrico Rehling mehrfach an Neonazi-Angriffen in Berlin und Brandenburg beteiligt. Zusammen mit Böttcher war er unter den Neonazis, die 2023 versuchten Teilnehmenden auf dem CSD 2023 in Berlin anzugreifen (damals aufgeführt als „Unbekannt 3“) sowie die antifaschistische Demonstration im Oktober des gleichen Jahres in Pankow bedrohten (in der Veröffentlichung 2. Reihe, 3. Person von links). Am 27. Januar 2024 hielt sich Rehling erneut im Umfeld einer antifaschistischen Demonstration auf. Nachdem er erst aus der Wohnung von Erik Storch heraus die Versammlung beobachtete, wurde er später als Teil einer Neonazigruppe von der Polizei festgesetzt.[11] Doch nicht nur in Berlin fällt Enrico Rehling durch seine Neonazi-Aktivitäten auf. Auch in seinem Heimatort Gosen ist Rehling bereits polizeibekannt. Hier kam es zu rechtsmotivierten Angriffen und Bedrohungen durch ihn.
Obwohl Rehling in Gosen als Neonazi bekannt ist, versucht er seine Aktivitäten zu verschleiern. Er leugnet die Beteiligung an Neonazi-Veranstaltungen und versucht auf Fotos stets vermummt aufzutreten. Für den SVM Gosen scheint diese notdürftigen Maskerade auszureichen. Auch in der kommenden Saison wird Rehling wieder für die A-Junioren des Vereins in der Kreisliga im Tor stehen. Auf Bildern von Vereinsfeierlichkeiten ist er freudig unter vielen anderen Mitgliedern und Spielern zu sehen. Seine Neonazi-Ideologie trifft hier nicht auf Widerspruch.
Neonazis in (Fußball-)Vereinen
Die Beispiele Luca Böttcher und Enrico Rehling zeigen, dass die Gefahr von Neonazis im Fußball nicht nur von rechten Hooligan- oder Ultra-Gruppen ausgeht. Auch außerhalb von expliziten Neonazivereinen und Fankurven können junge Rechte in Breitensportvereinen aktiv werden. Teilweise wissen die Vereine nichts von den Aktivitäten ihrer Spieler*innen. Bei Enrico Rehling und Luca Böttcher handelt es sich jedoch um exponierte Mitglieder der NRJ. Es ist nahezu unmöglich, dass ihren Stammvereinen die jeweilige Gesinnung der beiden entgangen ist. Beide sind gewaltbereite Neonazis, die in der Vergangenheit mehrfach an Angriffen beteiligt waren. Ihre neonazistische Aktivität ist das Gegenteil von sportlicher Fairness. Daher ist zu vermuten, dass Hertha Neutrebbin und der SVM Gosen bewusst wegschauen. Leider ist eine solche Ignoranz weit verbreitet, da gerade kleine Vereine Angst haben, Spieler*innen zu verlieren bzw. den „Vereinsfrieden“ zu gefährden. Durch das Wegschauen öffnen sich aber Räume für extrem rechte Akteur*innen, um trotz ihrer Ansichten in neue gesellschaftliche Bereiche vorzudringen. Durch ihre sportliche Aktivität können sie über Jahre das Klima in den Vereinen in ihrem Sinne beeinflussen. Gleihzeitig schließen sie mit ihrer Präsenz in den Vereinen die Sportangebote für diejenigen, die von rechter Gewalt betroffen sind.
Es ist zu vermuten, dass es sich bei Luca Böttcher und Enrico Rehling nicht um die einzigen beiden Mitglieder der NRJ und vom „III. Weg“ in Breitensportvereinen handelt. Wer Informationen zu weiteren Neonazis im Fußball und anderen Sportarten hat, kann eine E-Mail an dritterwegrecherche@riseup.net senden.
Die Aktivitäten der Neonazi-Partei „III. Weg“ haben in Berlin in letzter Zeit drastisch zugenommen. Dabei fallen weniger die altbekannten Kader auf. Vielmehr tritt die Parteijugend „NRJ“ (kurz für „Nationalrevolutionäre Jugend“) verstärkt in Erscheinung. Neben identitärer Selbstbestätigung, durch Graffiti oder Verteil-Aktionen, treten die jungen Neonazis immer öfter auch gewalttätig auf. Sie bedrohen beispielsweise linke Orte oder greifen wahllos Menschen an, die nicht ihrem menschenverachtenden Weltbild entsprechen. Das ist eine neue Qualität von Neonazi-Gewalt, die vor allem in bestimmten Teilen Ost-Berlins auftritt. Zur Veranschaulichung dieser Entwicklung haben wir eine Chronik zu den Aktivitäten vom „III. Weg“ im Januar 2024 erstellt. (Chronik am Ende des Artikels) Wir haben dabei sowohl öffentlich verfügbare Informationen verwendet, als auch auf Meldungen per Mail zurückgegriffen. Wir haben unsere Recherchen mit der Meldeplattform 2101pankow@riseup.net zusammengeführt. In der Gesamtheit ergibt sich ein Bild, bei dem sich bestimmte Muster erkennen lassen, nach denen die Partei und ihre Jugendorganisation operiert. Das kann Antifaschist*innen helfen, gezielt aktiv zu werden und den antifaschistischen Selbstschutz zu planen. Wer mithelfen möchte, die Aktivitäten vom „III. Weg“ auch in den folgenden Monaten detailliert nachzuzeichnen, kann Meldungen anonym einreichen an: dritterwegrecherche@riseup.net.
Zusammenfassung Januar 2024
Beim Blick auf die zusammengetragenen Vorfälle ist zuerst die Dichte der Parteiaktivitäten erstaunlich. In jeder Woche gibt es mehrere unterschiedliche Aktionen mit wechselnden Beteiligten. Zudem gehen wir davon aus, dass wir in der Chronik nicht alles erfasst haben und beispielsweise Kampfsporttrainings außerhalb der Wahrnehmung stattfinden. Gerade an den Wochenenden – überwiegend samstags – erhöht sich die Dichte der Aktionen vom „III. Weg“ teilweise nochmal deutlich. Wenn sich die Jugendorganisation des „III. Weg“ einmal getroffen hat, sind die Neonazis bereit, den ganzen Tag über in unterschiedlichen Stadtteilen von Berlin aktiv zu werden. Es folgen regelmäßige Bedrohungen, Beleidigungen und Körperverletzungen durch die Neonazis. Beim Umherziehen am Wochenende scheinen die Neonazis von der NRJ weitestgehend unabhängig von den älteren Kadern vom „III. Weg“ zu agieren. Auf der Erfahrung der Kader greifen sie vor allem zu bestimmten Anlässen, wie Kampfsporttrainings oder Graffiti-Aktionen, zurück.
Personen der NRJ
Ausgehend von den Beobachtungen der letzten Monate kann die Berliner NRJ und ihr Umfeld auf eine personelle Stärke von rund 20-25 Personen geschätzt werden. Von diesen sind jedoch nicht alle im gleichen Maße aktiv. Vielmehr gibt es eine Kerngruppe von ungefähr 10-15 zumeist männlichen Jugendlichen, die in leicht veränderter Zusammensetzung an vielen Aktivitäten beteiligt sind. Zentrum der Jugendarbeit der Partei ist dabei der Jung-Nazi Erik Storch, der bei fast allen Aktivitäten wiedererkannt werden konnte. Weitere bekannte Aktivisten sind Franz-Richard Schrandt und Larsen Aslan. Der letztere ist seit Jahren in der Berliner Neonaziszene aktiv und dürfte deshalb als Bindeglied zwischen der NRJ und den Alt-Kadern des „III. Wegs“ fungieren. Aslan betätigt sich gegenwärtig vor allem als Anti-Antifa-Fotograf am Rande von linken Aktionen. Einige Personen, die in den letzten Monaten kontinuierlich im Rahmen der NRJ-Aktivitäten aufgetreten sind, wurden hier auf einem Foto zusammengestellt. Auf dem Foto befinden sich die Daten, an denen die Neonazis durch Aktionen in Erscheinung getreten sind. (Vergleiche Chronik am Ende des Textes)
Aktionsschwerpunkte
Die NRJ ist in vielen Teilen von Berlin aktiv. Die meisten Aktivitäten sind jedoch in den Ost-Berliner Randbezirken zu beobachten, vor allem in Marzahn-Hellersdorf und Pankow, aber auch in Lichtenberg und Treptow-Köpenick. Zumeist handelt es sich um einen Alltagsaktivismus, wie das Verkleben von Stickern und kleinere Graffiti-Tags. Dazu kommen über das Jahr verteilt koordinierte Aktionen, wie Infostände oder das Verteilen von Flyern. Bei den Aktionen sind klare Schwerpunktregionen der NRJ auszumachen. In Marzahn-Hellersdorf probiert die Parteijugend beispielsweise bevorzugt verschiedene Aktionsformen aktivistischer Politik aus. Am 21. Januar sprühten sie ein großflächiges Graffiti an einer öffentlichen Hall. In den vergangenen Jahren traf sich die NRJ häufig für Graffiti-Aktionen in Hellersdorf. Weiterhin wurden wiederholt Transparente im öffentlichen Raum aufgehangen und Flyer verteilt. Da sie sich oftmals ungestört im Bezirk ausprobieren können, kommen junge Neonazis aus ganz Berlin nach Marzahn-Hellersdorf. Weiterhin haben die älteren Mitglieder des „III. Wegs“ durch jahrelange Aktivitäten in Hellersdorf einen starken Bezug zur Region, weshalb gemeinsame Aktivitäten der NRJ und älterer Kader, wie Oliver Oeltze und Andreas Thomä, im Bezirk stattfinden.
In Pankow haben die Aktionen der NRJ hingegen einen stärkeren lebensweltlichen Bezug. Angelpunkt ist dabei die elterliche Wohnung von Erik Storch in der Thulestraße 8, in der sich die NRJ bevorzugt vor gemeinsamen Aktionen trifft und sammelt (z.B. am 20. und 27. Januar 2024). Ein weiterer Treffpunkt in der Nähe ist der „StarBurger“ (Ostseestraße 3), an dem sich die Neonazis beispielsweise am 21. Januar sammelten, um danach gewalttätige Übergriffe auszuüben. In diesem „Dreiländereck“ zwischen Pankow, Prenzlauer Berg und Weißensee ist ausgehend von der Wohnung Storchs eine ganz konkrete Taktik der neonazistischen Raumaneignung zu beobachten. Dazu zählen regelmäßige kleine Graffitis und kontinuierliche Plakat-Aktionen ebenso wie gewalttätige Übergriffe. Insbesondere nach dem vermeintlichen Angriff auf Eriks Vater, Robert Storch, vor der Thulestraße 8 am 21. Januar 2024 und der anschließenden Straßengewalt der NRJ ist klar, dass die Gruppe einen Anspruch auf die Dominanz im Kiez hegt und diesen mit allen Mitteln aufrecht erhalten will.
Überfälle auf antifaschistische Strukturen
Zu Anfang des Jahres 2023 beschränkte sich die NRJ noch verstärkt auf Formen der symbolischen Raumnahme, wie Sticker oder Graffiti. Allerdings ist in den letzten Monate eine steigende Gewaltbereitschaft der Gruppe zu verzeichnen. Ein Schwerpunkt sind dabei Übergriffe auf alternative Jugendzentren oder explizit linksradikale Strukturen. Allein im Januar 2024 gab es zwei Angriffsversuche auf das JUP in der Florastraße (am 6. und 27. Januar 2024), einen Übergriff auf das Hausprojekt AJZ Kita in Hellersdorf (am 27. Januar 2024) sowie mehrere explizite Drohungen gegen die Jugend-Antifagruppe „La Rage“. So versammelten sich am 6. Januar 2024 rund 10 Personen aus der NRJ vor dem „Bandito Rosso“ in der Lottumstraße im Prenzlauer Berg, wo wenige Tage später ein Tresenabend der Jugend-Antifa stattfinden sollte. Zudem wurde am 20. Januar 2024 eine größere Gruppe der NRJ in der Nähe des Stadtteilladens „Zielona Gora“ beobachtet, in dem zur gleichen Zeit eine Soliparty von „La Rage“ stattfand. Obwohl es an den beiden Tagen nicht zu Neonazi-Übergriffen kam, zeigen sie eine klare Bereitschaft zum gewalttätigen Kampf gegen antifaschistisch engagierte Strukturen. Hierfür sind die Neonazis der NRJ auch bereit ihre Stammkieze zu verlassen und selbst im „linken Szenekiez“ Friedrichshain die Auseinandersetzung zu suchen. Daneben kam es im Januar zweimal zu Bedrohungen antifaschistischer Versammlungen; einmal am Rande einer antirassistischen Kundgebung am 6. Januar in Hellersdorf und einmal im Rahmen der Antifa-Demo von „La Rage“ zum 27. Januar 2024. Einerseits versucht die NRJ am Rande der antifaschistischen Aktionen Präsenz zu zeigen und offensiv Anti-Antifa-Arbeit zu betreiben. Daneben gibt es jedoch immer noch Gruppen, die um die Versammlungen im Kiez unterwegs sind und versuchen, vor und nach den Versammlungen Teilnehmende anzugreifen bzw. einzuschüchtern.
Übergriffe auf Personen
Doch die NRJ greift nicht nur alternative Orten und antifaschistische Strukturen an. Ihre Gewalt richtet sich potentiell gegen alle Menschen, die nicht dem neonazistischen Weltbild entsprechen. Wenn Gruppen der Parteijugend unterwegs sind, kommt es nicht selten zu wahllosen Übergriffen. Diese haben oftmals das Ziel, bestimmte „Trophäen“, wie Aufnäher, Fahnen oder Patches, zu erlangen, die anschließend im Internet präsentiert werden. Allein im Januar 2024 gab es mehrere Pöbeleien und Bedrohungen von Personen, die aufgrund äußerer Merkmale als politische Gegner*innen wahrgenommen wurden (z.B. am 20. und 21. Januar 2024) und einen Angriff aufgrund eines linken Aufnähers am Rucksack (am 21. Januar 2024). Zudem gerieten Personen auch aufgrund der zugeschriebenen sexuellen oder gender-Identität in den Fokus der NRJ (z.B. am 6. Januar 2024). Insbesondere für queere oder trans Personen entsteht so eine erhöhte Bedrohungslage. Insgesamt ist eine besorgniserregende Professionalisierung der Neonazigewalt zu beobachten.
Wenn die NRJ loszieht, handelt es sich zumeist um eine oder mehrere größere Gruppen. Dabei führen sie offensichtlich Waffen, wie Schlagstöcke, Pfefferspray, Protektorenhandschuhe oder Glasflaschen mit sich. Zudem sind die Neonazis in der Regel vermummt – meist mit Schlauchtüchern vom „III. Weg“. Gerade bei Aktionen gegen politische Gegner*innen sind oftmals mehrere Neonazi-Gruppen im gleichen Gebiet unterwegs. Ein solches planvolles Vorgehen zur Begehung von gewalttätigen Übergriffen deutet darauf hin, dass die NRJ momentan versucht, explizite Straßenkampftaktiken auszuprobieren, um so mit Gewalt eine Dominanz in bestimmten Kiezen herzustellen.
Chronik
Die Informationen stammen zum Teil aus öffentlich verfügbaren Quellen, teilweise sind (zusätzlich) Hinweise per Mail eingegangen.
Samstag, 06.01.2024
11:00 (Lichtenberg)
Gegen 11:00 Uhr wurde eine Person in der U5 Richtung Hellersdorf zwischen den Stationen Rathaus Lichtenberg und Tierpark von Neonazis mit körperlicher Gewalt bedroht, weil sie einen Button mit einer Regenbogenflagge trug. Die drei Täter waren zwischen 18- 21 Jahre alt und aufgrund der Kleidung als Sympathisanten des „III. Wegs“ zu erkennen. Unter den Tätern befand sich der Neonazi Erik Storch, der als einer der Wortführer auftrat.
Drei Mitglieder vom „III. Weg“ (u.a. Erik Storch und Larsen Aslan) bedrohten eine antifaschistische Kundgebung am Cecilienplatz in Hellersdorf. Sie hielten sich im Nahbereich der Versammlung am Büro der Linkspartei auf und trugen offen Pfefferspray und Protektorenhandschuhe. Aslan versuchte zudem mit einer Kamera Fotos von Antifaschist*innen aufzunehmen.
Darüber hinaus waren mindestens sieben weitere Neonazis im Umfeld der Versammlung unterwegs und versuchten Kundgebungsteilehmende bei der An- und Abreise abzufangen. Die Gruppe war mit Schlagstöcken und Glasflaschen bewaffnet.
Neonazis der NRJ nach einer antifaschistischen Kundgebung in Hellersdorf. Unten mittig mit olivgrüner Hose: Erik Storch
Uhrzeit nicht bekannt (Prenzlauer Berg)
An der Lottumstraße 10A in Prenzlauer Berg bemerkten Anwohner*innen gegen Abend eine Gruppe von rund 10 vermummten Personen. Später tauchte aus dem Umfeld vom „III. Weg“ ein Bild von mindestens neun Neonazis in der Nähe der Vereinskneipe „Bandito Rosso“ auf. Es handelte sich augenscheinlich um die gleiche Gruppe, wie in Hellersdorf am Nachmittag. Die Neonazis präsentierten erneut Schlagstöcke und Glasflaschen als Bewaffnung. Dazu drohten sie in einer Bildunterschrift „Wir kriegen euch La Rage“. Drei Tage später sollte im „Bandito Rosso“ ein antifaschistischer Vernetzungsabend der Antifa-Gruppe „La Rage“ stattfinden. Die Veranstaltung verlief ungestört.
Neonazis der NRJ vor dem „Bandito Rosso“ im Prenzlauer Berg
21:00 (Pankow)
Am Abend bewegte sich eine Gruppe von rund 20 Personen, die alle vermummt waren, auf der Görschestraße in Pankow. Kurze Zeit später wurden ungefähr acht Personen dabei beobachtet, wie sie Aufkleber vom „III. Weg“ an die Terrassentür vom Jugendzentrum JUP klebten. Anschließend rissen sie mit anderen, die in der Gegend warteten, noch Plakate von der Litfaßsäule vor dem JUP. Danach entfernte sich die Großgruppe geschlossen in Richtung S Pankow. Später wurden auch an der Hintertür des Jugendzentrums mehrere Aufkleber vom „III. Weg“ sowie ein Tag „NRJ“ (für „Nationalrevolutionäre Jugend“; die Jugendorganisation vom „III. Weg“) festgestellt. Unter den Neonazis befand sich mit hoher Wahrscheinlichkeit der Neonazi Franz-Richard Schrandt.
Montag, 08.01.2024
13:15 (Mitte)
Mindestens neun Neonazis vom „III. Weg“ und dem Parteiumfeld (u.a. Erik Storch, Franz Schrandt, Sarah Schrandt, Unbekannt 1 und Unbekannt 2) verteilten Flyer am Rande der „Bauernproteste“ auf der Straße des 17. Juni. Sie waren teilweise mit weißen Schlauchtüchern vermummt. Später wurde die Gruppe von der Versammlung ausgeschlossen.
Mehrere Mitglieder vom „III. Weg“ aus Berlin nahmen an einer Demonstration der Partei in Wittstock/Dosse (Landkreis Ostprignitz-Ruppin) teil. Dort trugen sie das Frontbanner „Bauernstand Revolutionieren“. Unter den Anwesenden befanden sich u.a. Christian Schmidt, Erik Storch, Oliver Oeltze und Unbekannt 2.
Vom „III. Weg“ beteiligten sich Oliver Oeltze und Andreas Thomä an den Bauernprotesten auf der Straße des 17. Juni. Sie waren nicht als Aktivisten der Neonazipartei zu erkennen.
Samstag, 20.01.2024
Uhrzeit unbekannt (Charlottenburg)
Mindestens drei Neonazis vom „III. Weg“ haben am Samstag Flyer vor der Landwirtschaftsmesse „Grüne Woche“ verteilt. Eine der Personen ist Unbekannt 3.
Eine Gruppe junger Männer, die erkennbar Kleidungsstücke vom III. Weg trugen (z.B. Schlauchtücher), wurde im „Hansa Center“ an der Hansastraße in Neu-Hohenschönhausen beobachtet. Dort näherten sie sich mindestens einer Person bedrohlich, weil sie diese als „links“ ansahen.
13:30 (Hohenschönhausen)
Der III. Weg berichtete auf seiner Internetseite von einem „Neujahrstreffen“ der Jugendorganisation NRJ. Auf Bildern sind um die zwanzig Personen mit offen getragener Parteikleidung und anderen Neonazikleidungsstücken im Bowling Center „Kangaroos Land“ im „Hansa Center“ in Neu-Hohenschönhausen zu erkennen.
Fünf bis sieben Neonazis mit hellen Schlauchtüchern vom „III. Weg“ stiegen an der Haltestelle „Woelckpromenade“ in Weißensee in den Bus 255 Richtung Osloer Straße. Einer von ihnen war Erik Storch. Ein anderer trug eine „Thor Steinar“-Wintermütze. Die Neonazis verließen den Bus an der Haltestelle „Prenzlauer Promenade/Am Steinberg“ in Pankow. Beim Aussteigen verklebten sie Sticker an der Ampel.
21:30 (Friedrichshain)
An der Tram-Station „Holteistraße“ in Friedrichshain wurden am frühen Abend rund acht junge Neonazis gesehen. Sie trugen u.a. Mützen vom „III. Weg“ und „Thor Steinar“. Mindestens zwei waren mit Protektorenhandschuhe bewaffnet. Um die Ecke fand in der Grünberger Straße im Stadtteilladen „Zielona Gora“ an dem Abend eine Informationsveranstaltung zum „III. Weg“ und eine antifaschistische Soliparty statt der Antifa-Gruppe „La Rage“ statt.
22:00 (Friedrichshain)
Gegen 22 Uhr fiel eine Gruppe von acht bis zehn vermummten Personen, die u.a. weiße Schlauchtücher vom „III. Weg“ trugen, an der Krossener Straße Ecke Boxhagener Platz auf. Sie blickten auf den Eingang des „Zielona Gora“. Kurze Zeit später verschwand die Gruppe in Richtung Wühlischstraße. Der weitere Abend verlief ruhig.
Sonntag, 21.01.2024
12:00 (Hellersdorf)
Ein Passant bemerkte an der Graffitiwand im Beerenpfuhlgraben in Hellersdorf ein Graffiti vom „III. Weg“. Ein paar Tage später veröffentlichte die Partei ein Gruppenfoto vor der Graffitiwand. Unter den mindestens elf Neonazis sind u.a. Erik Storch, Andreas Thomä, Unbekannt 1, Unbekannt 2, Unbekannt 3 und Unbekannt 5.
Neonazis vom „III. Weg“ am Beerenpfuhlgraben in Hellersdorf. Links mit „North Face“-Jacke Erik Storch, darunter knieend mit „Lyle&Scott“ Jacke Unbekannt 1, hinten mittig mit schwarzer Kleidung und „NRJ“-Shirt Unbekannt 2, darunter links am Schild Unbekannt 3, rechts am Schild Unbekannt 5
13:30 (Hellersdorf)
Eine Gruppe männlicher Neonazis stieg in Hellersdorf in die U5 Richtung Hauptbahnhof. Es handelte sich um fünf bis sieben Personen in sportlicher Kleidung, die teilweise weiße Schlauchtücher trugen. Einer von ihnen war Erik Storch. Unter Umständen war auch Luca Böttcher Teil der Gruppe. Weitere Beschreibungen passen zu den Neonazis, die sich zuvor an der Graffitiwand aufhielten. Kurz nach dem Einstieg begann Erik Storch Personen als „scheiß Zecken“ zu beschimpfen, weil er sie aufgrund der Kleidung als „links“ ansah. Außerdem drohte er ihnen mit körperlicher Gewalt. Eine Person aus der U-Bahn rief die Polizei. Ein Polizeieinsatz erfolgte dennoch nicht.
14:15 (Friedrichshain/Mitte)
Ab der Haltestelle Samariterstraße berichteten Fahrgäste in der U5 von einer Gruppe Neonazis, die in Richtung Hauptbahnhof fuhren. Zwei Neonazis trugen weiße „III. Weg“-Schlauchtücher über Nase und Mund. Unter den insgesamt vier bis fünf Personen befand sich der Neonazi Erik Storch. Während der Fahrt telefonierte er aufgebracht und forderte mehrere Personen auf, schnellstmöglich zu ihm nach Hause zu kommen. Die Neonazigruppe verließ die U5 am Alexanderplatz.
Grund für das aufgebrachte Telefonat von Storch war wahrscheinlich, dass sein Vater, der Neonazi Robert Storch, gegen 14 Uhr vor seiner Wohnungstür in der Thulestraße 8 in Pankow angegriffen worden sein soll.
Gegen 15 Uhr fiel eine vermummte Personengruppe in der Paul-Grasse-Straße in Pankow auf. Die Gruppe wirkte aufgebracht und aggressiv als sie in Richtung Osten lief. Am Ende der Straße bogen sie in die Hosemannstraße ein und liefen nach Süden. Sie hielten sich kurze Zeit an der südöstlichen Ecke Hosemannstraße/Ostseestraße auf.
15:30 (Prenzlauer Berg)
Um 15:30 Uhr umzingelte eine Gruppe von vier bis fünf jungen Neonazis eine Person an der Greifswalder Straße Ecke Erich-Weinert-Straße. Wegen eines linken Aufnähers am Rucksack des Betrofffenen schlugen sie auf ihn ein. Sie waren dabei mit mindestens einer Schlagwaffe ausgerüstet, die aber nicht eingesetzt wurde. Zudem beschimpften die Angreifer die betroffene Person immer wieder als „scheiß Zecke“. Die körperliche Gewalt ging ausschließlich von den männlichen Mitglieder der Neonazigruppe aus. Drei bis vier weibliche Neonazis, die zu der Gruppe gehörten, beteiligten sich nicht daran. Nachdem eine Zeugin drohte, die Polizei zu rufen, rannten die Angreifer los. Die Polizei nahm gegen 15:50 Uhr in der näheren Umgebung einen 14- und einen 15-Jährigen fest. Einer von ihnen trug erkennbar Kleidung vom „III. Weg“. Beide waren bereits am Vormittag in Hellersdorf bei einer Graffiti-Aktion des „III. Wegs“ anwesend. Es handelt sich bei den Festgenommenen um die Personen Unbekannt 1 und Unbekannt 3.
19:50 (PrenzlauerBerg/Pankow/Weißensee)
Kurz vor Acht wurden sieben Neonazis beim Essen vor dem StarBurger (Ostseestraße 3) beobachtet. In der Gruppe befand sich u.a. der „III. Weg“-Aktivist Larsen Aslan und ein Neonazi mit „Thor Steinar“-Mütze. Mindestens zwei von ihnen trugen weiße Schlauchtücher vom „III. Weg“. Gegen 20:30 Uhr ging die Gruppe schnellen Schrittes die Prenzlauer Promenade Richtung Brotfabrik entlang. Dabei waren sie mit Flaschen bewaffnet und trugen teilweise offen Knüppel vor sich her. Im Laufe des Abends kam es zu mehreren Großeinsätzen der Polizei im Kiez, unter anderem im Veranstaltungssaal Delphi und in der Ostseestraße, wo ein Krankenwagen eine verletzte Person versorgen musste. Ein Zusammenhang der Einsätze mit der Neonazigruppe ist anzunehmen.
Drei teilweise vermummte Neonazis beobachteten aus einem Fenster im Erdgeschoss der Thulestraße 8 die antifaschistische Demonstration „Kein Vergessen ‑ Kein Vergeben“. Unter ihnen ist der in der Wohnung wohnhafte Erik Storch sowie Unbekannt 4, der im vergangenen Jahr bereits durch einen Angriff auf Teilnehmende des CSD aufgefallen ist.
In der Talstraße wurde eine Gruppe von acht bis zehn vermummten Neonazis von der Polizei festgehalten und in eine erkennungsdienstliche Maßnahme genommen. Die Neonazis waren teilweise vermummt und trugen Kleidungsstücke vom „III. Weg“. Unter ihnen befand sich Erik Storch.
20:00 (Hellersdorf)
Am Hausprojekt AJZ KiTa/La Casa wurden zwei vermummte Personen gesehen, die hastig aus dem Garten flohen. Etwa eine Stunde später hat eine vermummte Personengruppe mehrere Raketen und Böller direkt auf das Haus geschossen. Im Umfeld des Hauses waren in der Nacht mehrere auffällige Personengruppen unterwegs. Es kam zu keinem weiteren Angriff. Eine unmittelbare Verbindung des Angriffs zum „III. Weg“ ist nicht mit Sicherheit zu bestätigen, kann aber angenommen werden.
Gegen zehn Uhr abends liefen ungefähr zehn vermummte Neonazis durch die Görschestraße in Pankow. Sie trugen schwarz-weiß-rote Sturmhauben. Sie waren in zwei Gruppen aufgeteilt und gingen von Haustür zu Haustür, möglicherweise verteilten sie dort Propaganda. Sie wirkten dabei aggressiv und gewaltbereit. Als sie von Passant*innen angesprochen wurden, sagten sie, sie würden „Zecken“ suchen. Als beobachtende Personen die Polizei anriefen, verließ die Neonazigruppe fluchtartig die Straße. In der Nähe fand ein „Konzert gegen rechts“ statt.
23:30 (Pankow)
Eine Gruppe von rund zehn Neonazis, die mit schwarz-weiß-roten Sturmhauben vermummt waren, wurde in der Heynstraße gesehen. Kurze Zeit später wurde die Gruppe erneut gesehen, wie sie die Heynstraße nach Süden lief.
Am 22.7. versuchten Neonazis vom III. Weg Teilnehmenden vom CSD bei der Abreise in Berlin-Mitte aufzulauern. Unter der gewaltbereiten Gruppe befanden sich Erik Storch (1), Luca Böttcher (2) und Franz-Richard Schrandt (7). Neben der, teilweise mit Glasflaschen bewaffneten, Kerngruppe gab es mindestens zwei abgesetzt laufende Späher, die die Aktion absichern sollten (unter anderen Nummer 5).
Bereits vor drei Wochen gab es Einschüchterungsversuche vom III. Weg am Rand einer antifaschistischen Demonstration in Hellersdorf und einen Angriff auf das alternative Wohnprojekt AJZ Kita. Der III. Weg und seine Jugendorganisation NRJ treten in Berlin zunehmend konfrontativ auf. Sie scheuen sich nicht davor, Menschen anzugreifen, die sie als politische Gegner:innen wahrnehmen. Darauf müssen wir uns einstellen und den antifaschistischen Selbstschutz organisieren.
Hinweise zu den abgebildeten Personen können an dritterwegrecherche[at]riseup.net gemeldet werden.
Erik Storch (1) und Luca Böttcher (2) beim versuchten Angriff auf Teilnehmende des CSD Berlin