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Neonazis und Identitäre beim AfD-Rechtsrockkonzert

Autor:innen: anonym

Erstveröffentlichung unter Indymedia

Am 29.12.2023 organisierte die Junge Alternative Brandenburg eine sogenannte „Jahresabschlussparty“. Aufgrund der angekündigten Musik-Acts und Kooperationspartner war allerdings klar, dass es sich hierbei um ein reines Rechtsrockkonzert handelte. Der Ort der Veranstaltung wurde bis zum Schluss geheim gehalten. Die „Party“ stieg letztendlich im AfD-Treffpunkt „Mittelpunkt der Erde“ in Hönow bei Berlin. Gekommen ist eine bunte Mischung aus Jung-AfD’ler:innen, Neonazis vom III. Weg und der NPD sowie Identitäre und Rechtsrock-Fans. Ein Dreivierteljahr vor der Landtagswahl in Brandenburg präsentiert sich die Jugendorganisation der AfD als Sammelbecken für sämtliche Spektren der extremen Rechten.

Wer steckt hinter der „Jahresabschlussparty“?

Bereits knapp zwei Monate vor dem 29.12.2023 begann die Mobilisierung für die „Jahresabschlussparty“ der Jungen Alternative Brandenburg. Der Ort wurde im Stil von Neonazi-Konzerten geheim gehalten. Zu groß war wohl die Angst vor Gegenprotesten oder staatlichen Interventionen. Als Kooperationspartner trat „Sub:version Production“ auf. Das Label und Musikvertrieb ist tief in die Neonazi-Strukturen um Cottbus und Umgebung verstrickt. [1] Ursprünglich aus dem Umfeld von Nazirapper „Bloody32“ gegründet, bietet „Sub:version“ heutzutage alles an, was das rechte Herz begehrt: vom Hooligan-Rock von „Kategorie C“ bis Rap des „Neuen Deutschen Standard“ um „Chris Ares“. Auch die Acts für den 29.12. sind allesamt aus dem Portfolio des Südbrandenburger Vertriebs.

Die Acts der „Jahresabschlussparty“

Ganz oben auf dem Flyer stand die Neonaziband „Sacha Korn“.[2] Bereits am 6.11.2021 spielten sie für die AfD Brandenburg im „Mittelpunkt der Erde“.[3] Frontmann Sascha Korn aus Teltow ist seit über einem Jahrzehnt in der internationalen Rechtsrock-Szene aktiv und Bassist Jan-Michael Keller war jahrelang Politiker der NPD in Berlin-Lichtenberg. Trotzdem stellt sich die Band gerne als vermeintlich unpolitischer „Deutschrock“ dar. Doch ihre Verbindungen zu unterschiedlichen Szenen der extremen Rechten sind offensichtlich. Kooperationspartner von „Sacha Korn“ ist die völkische Kampagne „1 Prozent“. Das neurechte COMPACT-Magazin filmte eine kurze Dokumentation zum AfD-“Patrioten“-Konzert mit „Sacha Korn“.

Im Jahr 2022 sollten „Sacha Korn“ auf dem internationalen Neonazi-Festival „Frontnacht“ im belgischen Ieper auftreten; zusammen mit einschlägigen Bands wie die „Casa Pound“-Hausband „Bronson“ aus Italien oder dem Liedermacher Philipp „Flak“ Neumann aus Deutschland, der Mitglied der mittlerweile verbotenen Hammerskins war. [4] Das Festival wurde letztendlich verboten, wie auch viele Konzerte von „Sacha Korn“ in Deutschland in den letzten Jahren.

Der zweite Act war Andy Habermann. Der Sänger der Rechtsrock-Band „Wutbürger“ [5] saß für die AfD bis 2020 in der Stadtverordnetenversammlung Werneuchen. Er musste seinen Posten räumen, nachdem die Aktivitäten seiner Band bekannt wurden. Wie „Sacha Korn“ geben sich auch „Wutbürger“ als „Deutschrock“-Projekt, doch sind tief in die extreme Rechte verstrickt. Zu den ehemaligen Mitgliedern zählte unter anderem Nigel Brown. Der Neonazi aus dem „Combat 18“-Umfeld spielte zuvor bei „No Remorse“. [6] Gegenwärtig bedient ein ebenso bekannter Rechtsrocker bei „Wutbürger“ den Bass: Alexander Gast von der Neonazi-Band „Spreegeschwader“. Demzufolge ist es nicht verwunderlich, dass die Band über enge persönliche Kontakte zu Neonazis, wie dem Liedermacher Marcel Martens („F.i.e.L.“), verfügt oder 2022 beispielsweise mit Hannes Ostendorf von „Kategorie C“ kooperierte.

Auch mit Julia Götz alias „Julia Juls“ haben „Wutbürger“ bereits einen gemeinsamen Song aufgenommen. Die Liedermacherin ist bekannte Aktivistin der rassistischen Kampagne „Frauenbündnis Kandel“ aus Rheinland-Pfalz. Zu „Subver:sion“ kam Julia Götz über eine Kollaboration mit „Bloody32“. Letztendlich gehören alle drei Acts vom AfD-Konzert am 29.12. zum gleichen Netzwerk und kennen sich auch persönlich. So stand „Julia Juls“ mit Andy Habermann auf der Bühne und unterstützte auch „Sacha Korn“ am Mikrofon.

Bereits 2019 sollten alle drei Acts zusammen in Zehdenick für die Rocker-Bruderschaften „Sons of Future“ und „Burgunden“ auftreten. Das Konzert wurde damals verboten. Nun erfolgte also mit der Parteijugend der AfD im Rücken ein neuer Anlauf. [7] Die Veranstaltung fungierte damit wohl auch als eine Art „Testballon“, wie weit die AfD gehen kann ohne auf staatlichen Widerstand zu stoßen. Die offene Akzeptanz der Behörden zeigt: ziemlich weit.

Von der AfD…

Insgesamt kamen rund 80 Personen aus unterschiedlichen Teilen Ostdeutschlands zu der Veranstaltung. Aus der AfD waren jedoch fast ausschließlich Mitglieder der „Jungen Alternative“ (JA) aus Brandenburg anwesend. Darunter der gesamte Vorstand [8] mit den Vorsitzenden Anna Leisten und Franz Dusatko (zusammen mit seiner Verlobten Lisa S.), dem stellvertretenden Vorsitzenden Stefan Pfau sowie Lisa Wölfert und Matze Albrecht. Weiterhin waren einige Aktivist:innen der Thüringer JA in Hönow. Andere Parteimitglieder, vor allem aus Berlin und Brandenburg, blieben der Veranstaltung jedoch fern. Obwohl die lokalen Verbände aus Marzahn-Hellersdorf oder Märkisch-Oderland den „Mittelpunkt der Erde“ regelmäßig nutzen und selbst dem völkischen Parteiflügel zuzurechnen sind, war ihnen die Kooperation der „Jahresabschlussparty“ mit klaren Neonazi-Strukturen vielleicht zu offensichtlich.

Sicherlich hatten sich die Veranstaltenden mehr von dem Konzert versprochen, für das es bis zuletzt noch Karten zu kaufen gab. Im Vergleich dazu war die Begleitung der Veranstaltung durch „alternative Medien“ enorm. So war das COMPACT-Magazin offizieller Kooperationspartner der Veranstaltung und hatte dort einen eigenen Informationsstand. Allerdings kam nur die „zweite Garde“ um den Identitären Paul Klemm und Roy Grassmann nach Hönow. Aus dem gleichen Umfeld war auch der ehemalige COMPACT-TV-Verantwortliche Martin Müller-Mertens vor Ort, der momentan für den verschwörungsideologischen Sender „AUF1“ arbeitet. Auch Mario Nieswandt vom AfD-affinen Sender „Seelow TV“ durfte in der Reihe der Medienschaffenden mitmischen. Daneben filmten auch Aktivist:innen vom sogenannten „Filmkunstkollektiv“ um Simon Kaupert aus Dresden auf der Veranstaltung – wahrscheinlich in Vorbereitung für den anstehenden Wahlkampf.

… für Neonazis und rechte Rocker

Der Hauptteil der Besuchenden speiste sich vorwiegend aus den Fanszenen der angekündigten Musik-Acts, sodass Rechtsrockfreund:innen über 50 die Veranstaltung bestimmten. Dazu zählten auch die weiteren Bandmitglieder von „Wutbürger“, wie der Gitarrist Maik Langner und Drummer Andreas Rosenthal, und der Bandfreund Nick Lajow, vom Neonazi-Tattoostudio „Ordo Tatto“ in Teltow [9]. Nur Bassist Alexander Gast blieb zuhause in seinem neuen Wohnort nahe Bayreuth. Dennoch waren unter den Besuchenden auch einige bekannte Neonazi-Aktivist:innen. Vor allem ehemalige Mitglieder der NPD sind aus der politischen Versenkung aufgetaucht, um ihren „alten Kameraden“ Jan-Michael Keller zu sehen. Dazu zählten unter anderem Jan Sturm, Danny Matschke oder Dietmar Hömke. Doch auch vom III. Weg, der im angrenzenden Marzahn-Hellersdorf sehr aktiv ist, waren einige bekannte Gesichter vertreten, in einem Fall sogar in Bekleidung der Partei. Neben Parteiumfeld aus dem Bezirk, unter anderem René Uttke, war u.a. der III.Weg-Aktivist Kai Milde anwesend.

Extrem rechte Mischszenen

Bei der „Jahresabschlussparty“ der „Jungen Alternative Brandenburg“ konnten unter dem Deckmantel der Partei unterschiedliche Szenen der extremen Rechten zusammenkommen. Während privat organisierte Nazi-Konzerte, beispielsweise in Rocker-Clubs, häufiger das Ziel staatlicher Verbote sind, könnte sich hier ein neues Business-Modell entwickeln. Dabei werden die Kontakte der AfD zur militanten Neonazi-Szene offen zur Schau getragen. Die Zukunft wird zeigen, inwieweit sich dieses Konzept innerhalb der Partei durchsetzen kann.


[1] Informationen und Hintergründe zu „Sub:version“: https://identitaereinbochum.noblogs.org/bloody32/

[2] Informationen zu „Sacha Korn“: https://rechtemedieninfo.blogspot.com/2019/12/sacha-korn.html

[3] AfD organisiert Rechtsrock-Konzert mit „Sacha Korn“ https://keinraumderafd.info/2021/11/08/brandenburger-afd-organisiert-ext…

[4] „Sacha Korn“ auf der „Frontnacht“: https://www.bellingcat.com/news/2022/07/28/our-songs-are-manifestos-why-…

[5] Mehr Informationen zu „Wutbürger“: https://rechtemedieninfo.blogspot.com/2020/06/wutburger-die-band.html

[6] Zu Nigel Brown: https://twitter.com/SHornchen/status/1324635949997973504

[7] Verbotenes Konzert von „Sacha Korn“, „Wutbürger“ und „Julia Juls“: https://inforiot.de/zehdenick-rocker-veranstalten-rechtsrock-event/

[8] Hintergründe zum Vorstand der Brandenburger JA: https://pressefuchsbrandenburg.wordpress.com/2023/11/17/rechtsextreme-ei…

[9] Zu Nick Lajow und seinen Kontakten in die Rechtsrockszene: https://inforiot.de/rechtsrock-konzert-in-potsdam-geplant/

III. Weg und weitere Neonazis bei Antifa-Demonstration in Pankow

Autor:innen: anonym

Erstveröffentlichung unter Indymedia

Gestern fand eine Demonstration gegen Neonazis in Pankow statt. Am Rand der Demonstration tauchten ca. 21 Rechte auf, darunter mindestens 11 Personen aus dem Spektrum des III. Wegs.

Im folgenden veröffentlichen wir die Gesichter der anwesenden Neonazis vom III. Weg.
Für Hinweise zu den abgebildeten Personen könnt ihr uns eine Email schicken an:
dritterwegrecherche@riseup.net

Die Demonstration führte u.a. am Wohnhaus der Neonazis Ivonne, Robert und Erik Storch entlang. Ivonne und Robert Storch sind die Eltern des Neonazis Erik Storch und gehören ebenfalls der rechten Szene an. Am 4. Dezember 2021 flyerte Ivonne Storch bei einem Infostand des III. Wegs am Einkaufszentrum Eastgate in Marzahn. Am 9. September betreute sie einen Verpflegungsstand beim „Tag der Heimattreue“ des III. Wegs im Nordrhein-Westfälischen Hilchenbach. Neben ihr ist auch ihr Sohn Erik Storch aus Berlin angereist.

Der Neonazi Erik Storch von der Jugendorganisation des III. Wegs (NRJ) ist trotz seines jungen Alters ideologisch gefestigt. Er ist für eine Reihe körperlicher Übergriffe gegen politische Gegner:innen verantwortlich. Zuletzt fiel er durch einen versuchten Angriff auf Teilnehmende des CSD Berlin auf.

Mit Storch am versuchten Angriff beim CSD beteiligt war u.a. Luca Böttcher, der ebenfalls gestern durch die Bedrohung von Demonstrationsteilnehmer:innen auffiel. (Im Bericht zum CSD aufgeführt als Nummer 2, siehe https://kontrapolis.info/10917/)
Auch Böttcher stellt seine Gewaltbereitschaft offen zur Schau und ist fester Bestandteil des III. Wegs.

Erik Storch war darüber hinaus an zwei versuchten Angriffen auf das alternative Hausprojekt AJZ KiTa/La Casa in Hellersdorf beteiligt. Am 8. Juli 2022 tauchte er zusammen mit 12 weiteren vermummten Neonazis, u.a. mit den Neonazis Malwig Stelter und Franz Schrandt, aus dem Spektrum des III. Wegs vor dem Hausprojekt auf. Die vermummten Neonazis versuchten Menschen zu bedrohen und einzuschüchtern. Genau ein Jahr später, in der Nacht vom 8. auf den 9. Juli 2023, tauchten Storch und rund ein Dutzend weiterer Neonazis erneut vor dem Projekt auf und schmissen Feuerwerkskörper.

Ebenfalls bei der gestrigen Demonstration in Pankow war der Neonazi Larsen Aslan, der sich sowohl gestern als auch bei einer antifaschistischen Demonstration im Juli diesen Jahres in Hellersdorf als Anti-Antifa-Fotograf versuchte. Aslan, der wie Storch Fan des Berliner Fußballclubs (BFC) ist, hat bereits eine lange Vita in der Neonaziszene. Neben langjähriger Aktivität bei rassistischen Mobilisierungen in Marzahn-Hellersdorf fiel er ebenfalls durch überregionale Aktivitäten auf, wie dem Ordnungsdienst beim Heß-Aufmarsch 2018 in Berlin.

Daneben tauchte Dennis Caspar gestern in Pankow auf. In den 00er Jahren war er Teil der Lichtenberger Neonazi-Kameradschaft Tor, später gehörte er zum Umfeld der NPD Pankow. Nach dem Verbot der Kameradschaft Tor im Jahr 2005 blieben neue Versuche der Neonazis sich zu reorganisieren vorerst erfolglos. Mit dem III. Weg haben Teile der früheren Kameradschaft eine neue politische Heimat gefunden, in der sie sich wieder größer aufstellen und legal organisieren können.

Die Einschüchterungsversuche von Neonazis des III. Wegs nehmen weiter zu. Dabei ist festzustellen, dass stets die gleichen Personen beteiligt sind, die sich scheinbar unbehelligt fühlen.

Für uns bleibt klar: Nazis haben Namen und Adressen. Organisiert den antifaschistischen Selbstschutz!
Sendet uns Hinweise an dritterwegrecherche@riseup.net

Versuchter Angriff vom III. Weg auf Teilnehmende des Berliner CSD

Autor:innen: anonym

Erstveröffentlichung unter Indymedia

Am 22.7. versuchten Neonazis vom III. Weg Teilnehmenden vom CSD bei der Abreise in Berlin-Mitte aufzulauern. Unter der gewaltbereiten Gruppe befanden sich Erik Storch (1), Luca Böttcher (2) und Franz-Richard Schrandt (7). Neben der, teilweise mit Glasflaschen bewaffneten, Kerngruppe gab es mindestens zwei abgesetzt laufende Späher, die die Aktion absichern sollten (unter anderen Nummer 5).

Bereits vor drei Wochen gab es Einschüchterungsversuche vom III. Weg am Rand einer antifaschistischen Demonstration in Hellersdorf und einen Angriff auf das alternative Wohnprojekt AJZ Kita. Der III. Weg und seine Jugendorganisation NRJ treten in Berlin zunehmend konfrontativ auf. Sie scheuen sich nicht davor, Menschen anzugreifen, die sie als politische Gegner:innen wahrnehmen. Darauf müssen wir uns einstellen und den antifaschistischen Selbstschutz organisieren.

Hinweise zu den abgebildeten Personen können an dritterwegrecherche[at]riseup.net gemeldet werden.

Die AfD Marzahn-Hellersdorf und der Rechtsterrorismus – Der „Fall Birgit Malsack-Winkemann“

Autor:innen: KeinRaumderAfD

Erstveröffentlichung unter keinraumderafd

Von „isoliert“ kann keine Rede sein – die am 07.12.2022 vom SEK festgenommene Birgit Malsack-Winkemann genießt in der Berliner AfD breite Unterstützung. Der „Flügel“ buchte sie regelmäßig für Veranstaltungen, ihre Beliebtheit führte sie in den Bundestag. Insbesondere der Marzahn-Hellersdorfer Verband unter Gunnar Lindemann stärkt ihr den Rücken. Eine Untersuchung ihres weitläufigen Netzwerks in der Partei.

Am Morgen des 7. Dezember 2022 ging die Generalbundesanwaltschaft mit der vermeintlich größten Polizeiaktion in der Geschichte der Bundesrepublik gegen eine rechtsterroristische Gruppierung vor. Das bundesweit operierende Netzwerk aus Reichsbürgern und „Querdenkern“ habe geplant, ein „Deutsches Reich“ auszurufen. Neben Ex-Soldaten ist auch eine – inzwischen ehemalige – Berliner Richterin dabei. Dabei handelt es sich um die vormalige AfD-Bundestagsabgeordnete Birgit Malsack-Winkemann. Im geplanten „Reich“ sei für sie das Amt der Justizministerin vorgesehen gewesen. Malsack-Winkemann war als Sportschützin zum Besitz von Waffen berechtigt. Als ehemalige Bundestagsabgeordnete verfügte sie über einen Hausausweis für ehemalige Parlamentsmitglieder und entsprechende Ortskenntnisse. Sie könnte bei den verfolgten Umsturzplänen eine zentrale Rolle gespielt haben. Aufgrund ihrer Rolle in den Berliner AfD-Strukturen, insbesondere ihrer engen Verbindungen nach Marzahn-Hellersdorf, ist es kaum möglich, dass diese Entwicklung unbemerkt geblieben ist.

Gut vernetzt im völkischen „Flügel“ der AfD

Im Jahr 2022 trat Malsack-Winkemann politisch kaum noch in Erscheinung. Davor war sie jedoch in der Berliner AfD überaus aktiv. Noch im Juni 2021 wurde sie auf der Landeswahlversammlung der Partei mit mehr als der Hälfte der Stimmen auf den fünften Platz der Landeswahlliste für den Bundestag gewählt. Bei ihrer Wahlrede sprach sie offen vom Verschwörungsmythos des „Great Reset“ und forderte die Wiederherstellung der deutschen Souveränität. Die Berliner AfD-Mitglieder wussten also, wen sie wählten und taten dies im vollen Bewusstsein der politischen Ansichten von Malsack-Winkemann. Dennoch verlor Birgit Malsack-Winkemann nach der Wahl im September 2021 ihr politisches Mandat. Bei der anstehenden Wiederholung der Bundestagwahl in einigen Berliner Wahlbezirken wird sie jedoch auf dem gleichen Platz antreten.

Ihr Standing im Landesverband ergibt sich auch aus Malsack-Winkemanns Nähe zum völkischen „Flügel“ der Partei, der inzwischen auch in Berlin die Parteipolitik bestimmt. Obwohl Malsack-Winkemann keine direkte Führungsrolle in dem parteiinternen Netzwerk bekleidet, war sie stets eine beliebte Rednerin auf Veranstaltungen, die vom „Flügel“-Spektrum in Berlin um Jeannette Auricht und Thorsten Weiß organisiert wurden. Malsack-Winkemann war von 2015 bis 2017 stellvertretende Vorsitzende des AfD-Bezirksverbandes Steglitz-Zehlendorf, der schon damals vom völkischen Hardliner Andreas Wild dominiert wurde. Sie schwieg dazu und trat noch Ende 2020 als Gast bei der online-Veranstaltung von Wild auf, gegen den weiter ein Parteiausschlussverfahren läuft. Alle anderen Redner standen auf dem Emailverteiler des „Flügels“ in Berlin. Weiterhin organisierte sie als Bundestagsabgeordnete im April 2019 maßgeblich einen Dialog-Veranstaltung der Reinickendorfer AfD mit AfD-Vize-Chefin Alice Weidel. Auf dem Podium saßen u.a. noch Rolf Wiedenhaupt und der damalige Berliner „Flügel“-Obmann Thorsten Weiß. Noch deutlicher wird ihre Verbindung zum offen völkischen Rand der Partei in ihrer tiefen Beziehung zur AfD in Marzahn-Hellersdorf. Im Angesicht der schwerwiegenden Anschuldigungen stellt sich zwangsläufig die Frage, was die Marzahn-Hellersdorfer AfD von den „Umsturzplänen“ ihrer Weggefährtin wusste.

Verbindungen zur AfD Marzahn-Hellersdorf

Trotz ihrer politischen Verbundenheit mit Steglitz-Zehlendorf unterhielt Birgit Malsack-Winkemann seit mindestens 2018 intensiven Kontakt mit dem AfD Bezirksverband Marzahn-Hellersdorf. Dieser gilt personell und ideologisch als besonders nah am „Flügel“ der AfD. So war Malsack-Winkemann unter anderem im Juni 2018 als Rednerin zu Gast auf einem sogenannten „Bürgerdialog“ des Bezirksverbandes im Neonazi-Lokal „Mittelpunkt der Erde“ in Hönow. Im März 2020 nahm sie am online-Frühjahrsempfang der AfD-Marzahn-Hellersdorf teil. Dieses Engagement erhöhte sich sich im Wahlkampfjahr 2021. Dort unterstützte Malsack-Winkemann den Bezirksverband bei mindestens elf der ungefähr 39 Wahlkampfstände. Solch eine starke Unterstützung von einer nicht im Bezirk verankerten Politikerin im lokalen Wahlkampf ist einmalig. Das verweist auf die enge Verbindung zwischen Malsack-Winkemann und dem AfD-Bezirksverband. Gleich zwei Mitglieder der AfD Marzahn-Hellersdorf waren als Mitarbeitende von Malsack-Winkemann im Bundestag beschäftigt: Edwin Arnovic Falkenstern, der bei der letzten BVV-Wahl in Marzahn-Hellersdorf auf Listenplatz 25 antrat, und Anneliese Dummer. Sie war wissenschaftliche Mitarbeiterin von Malsack-Winkemann und Direktkandidatin für die Abgeordnetenhauswahl in Marzahn-Mitte. Zudem besuchte Dummer 2019 mit vielen anderen Mitgliedern des Beziksverbandes das letzte bundesweite „Kyffhäuser“-Treffen vom „Flügel“ in Leinefelde.

Die Unterstützung im Wahlkampf diente rückblickend betrachtet auch zur Vorbereitung auf einen möglichen Stadtratsposten für Malsack-Winkemann. Trotz ihres aussichtsreichen Listenplatzes musste sie befürchten, nicht erneut in den Bundestag einzuziehen. Mit der Unterstützung eines „Flügel“-nahen AfD Bezirksverband hätte sie sich so auf lokaler Ebene einen politischen Posten sichern können. Aufgrund der engen Verbindung zur Marzahn-Hellersdorfer AfD wurde Malsack-Winkemann als Stadträtin für das Ordnungsamt im Bezirk vorgeschlagen. Dem voraus ging eine interne Nominierungsrunde der AfD Marzahn-Hellersdorf, in der fünf der neun Fraktionsmitglieder für Malsack-Winkemann stimmten. Das unterstreicht ihre breite Unterstützung im Bezirksverband. Allerdings zog Malsack-Winkemann ihre Kandidatur noch vor dem ersten Wahlgang im November aus „persönlichen Gründen“ zurück.

Die Nominierung für den Stadtratsposten wäre ohne die Netzwerke aus dem ehemaligen „Flügel“ sowie die jahrelange Verbundenheit von Malsack-Winkemann zur AfD in Marzahn-Hellersdorf nicht möglich gewesen. Gunnar Lindemann, seit 2022 Vorsitzender des Verbandes und schon vorher lokal federführend, pflegte nachweislich seit mindestens 2018 enge Kontakte zu Malsack-Winkemann. Neben persönlichen Treffen und Wahlkampfauftritten versuchte Lindemann seine Reichweite zu nutzen, um Malsack-Winkemanns Mitarbeiterin Anneliese Dummer in der Lokalpolitik und für ein Direktmandat zu stärken. Mit Richard Gretzinger, einem weiteren von Malsack-Winkemanns Mitarbeitenden, unternahm Lindemann regelmäßig politisch brisante Reisen in autoritäre Regime oder Krisengebiete. Dazu zählten gemeinsame Aufenthalte in Belarus (2018), in der Ostukraine (2020) oder in Syrien (2021). Zudem nahmen Gretzinger und Lindemann gemeinsam am AfD-„Schweigemarsch“ 2018 in Chemnitz teil, der in rassistischen Ausschreitungen mündete. Aufgrund seiner fast schon freundschaftlich anmutenden Beziehung zu Malsack-Winkemann und ihrem Umfeld dürfte Lindemann auch bei ihrer Einbindung in den Bezirksverband eine wichtige Rolle gespielt haben.

Gunnar Lindemann und Birgit Malsack-Winkemann beim Wahlkampfstand im September 2021 in Marzahn
Gunnar Lindemann und Richard Gretzinger im April 2021 im syrischen Damaskus
Richard Gretzinger und Gunnar Lindemann bei den rassistischen Ausschreitungen am 01.09.2018 in Chemnitz

Letztendlich war es eine win-win-Situation. Durch das Engagement von Malsack-Winkemann im Bezirk zeigte Lindemann seine Fähigkeit, Bundesprominenz der Partei in den Wahlkampf einzubinden. Und Malsack-Winkemann brauchte die Unterstützung der völkischen Kräfte in der Partei für ihre politische Karriere. Lindemann spielt als wichtiger Netzwerker in der Partei und auch über seine „Flügel“-Verbindungen hinaus eine wichtige Rolle. Zusammen mit anderen Mitgliedern des Bezirksverbands nimmt er regelmäßig an Veranstaltungen rechtsdominierter Bewegungen, wie Querdenken, teil. Verschwörungsideologische und rechte Initiativen bezeichnete Lindemann während eines Landesparteitags in Schönwalde-Glien „im Prinzip als unsere Vorfeldorganisation(en)“. Genau diese Spektren, die Lindemann regelmäßig versucht zu vernetzen, haben jene Organisation hervor gebracht, die vermeintlich einen rechten Staatsstreich durchführen wollte. Selbst wenn er und sein Verband nicht an diesen Plänen beteiligt waren, sind Lindemann und die AfD Marzahn-Hellersdorf wichtige Akteure in der Mischszene aus völkischen Rechten, Querdenkern und Reichsbürgern. Diese schreckt nicht vor rechtsterroristischen Umsturzfantasien zurück.

Dementsprechend ist es auch nicht verwunderlich, dass AfD-Mitglieder aus Marzahn-Hellersdorf Malsack-Winkemann nach ihrer Verhaftung sofort zur Seite sprangen. Während der Bundesvorstand um Alice Weidel und Tino Chrupalla abwartende Worte wählte, versuchte unter anderem Daniel Birkefeld vom AfD-Bezirksverband Marzahn-Hellersdorf die Vorwürfe rechtsterroristischen Verhaltens gegenüber der Ex-Bundestagsabgeordneten zu verharmlosen. Die Unterstützung ist kaum verwunderlich. So stand der Sympathisant der „Identitären Bewegung“ noch 2021 regelmäßig mit ihr an Wahlständen in Marzahn-Hellersdorf. All dies zeigt, wie tief das persönliche und politische Netzwerk von Malsack-Winkemann immer noch in den AfD Bezirksverband Marzahn-Hellersdorf hineinreicht.

Die rechte Richterin

Im Angesicht der politischen Karriere von Birgit Malsack-Winkemann sowie ihres persönlichen und professionellen Umfelds können die jetzigen Vorwürfe des Generalbundesanwalts kaum verwundern. Spätestens seit ihres Wahl in den Bundestag 2017 zeigte die ehemalige Richterin für Mietrecht am Berliner Landgericht (1993-2017) regelmäßig ihre Sympathien für den völkischen Teil der AfD. Sie trat vielfach mit Angehörigen der Parteigruppierung in der Öffentlichkeit auf oder unterstützte diese bei Veranstaltungen und im Wahlkampf. Nach dem verpassten Wiedereinzug in den Bundestag wollte Malsack-Winkemann dieses Engagement vergessen machen und wieder in ihr Richteramt zurückkehren. Dagegen legte die Justizverwaltung des Berliner Senats Widerspruch ein. Anders als im Fall von Jens Maier, dem aufgrund seiner völkischen Politik als AfD-Bundestagsabgeordneter die Ausübung des Richteramtes untersagt wurde, entschied das Berliner Dienstgericht, dass Malsack-Winkemann im Amt verbleiben könne. Diese Entscheidung war schon vor dem Hintergrund der damaligen Argumente der Justizverwaltung zu den politischen Ansichten und Netzwerken Malsack-Winkemanns skandalös. Im Angesicht der jetzigen Entwicklungen wirkt es geradezu absurd, wie Warnungen vor den politischen Gefahren, die von Malsack-Winkemann ausgehen, ignoriert wurden. Es zeigt sich wieder einmal, dass rechte Hardliner kaum mit Gegenwind aus Justiz und Verwaltung zu rechnen haben. Aufgrund der Unterstützung von potentiell rechtsoffenen Kolleg*innen können so nachweislich völkische Personen im Staatsdienst verbleiben. Der Fall „Birgit Malsack-Winkemann“ dürfte somit nicht nur für die Marzahn-Hellersdorfer AfD als stiller Unterstützungsstruktur Konsequenzen haben. Auch die Repräsentant*innen der Berliner Justizsystems müssen sich Fragen zu ihren vergangenen Entscheidungen gefallen lassen.

Neonazis stören Gedenken in Fredersdorf

Autor:innen: Inforiot

Erstveröffentlichung unter: inforiot.de


Am 30.04.2022 organisierte die Gedenkinitiative Phan Văn Toàn eine Kundgebung mit anschließender Podiumsdiskussion in Fredersdorf. Phan Văn Toàn geriet 1997 in einen Streit mit mehreren Männern; Er verstarb am 30.04.1997 im Krankenhaus an seinen schweren Verletzungen.  Zu der Veranstaltung waren 50 Menschen aus Brandenburg und Berlin zusammengekommen. Doch leider verlief das Gedenken nicht ungestört: Bereits bei der Kundgebung am S‑Bahnhof filmte Larsen Aslan vom Berliner III. Weg die Teilnehmenden mit seinem Handy ab. Kurz darauf stießen Malwig Stelter (ebenfalls III. Weg/ Division MOL) und ein weiterer Neonazi dazu. Die drei blieben während der gesamten Zeit in der Nähe der Kundgebung und tauchten auch später wieder auf, als die Teilnehmenden zur Podiumsdiskussion gingen. Hier trat vor allem Larsen Aslan extrem agressiv auf, beleidigte mehrere Teilnehmende und griff sie an.  Nach der Veranstaltung wurden Malwig Stelter und Thore Ondrusch (ebenfalls III. Weg/ Division MOL) dabei beobachtet, wie sie den eingerichteten Gedenkort für Phan Văn Toàn am Bahnhof Fredersdorf zerstörten.  Für die Neonazi-Clique Division MOL ist das Gedenken an Phan Văn Toàn ein Reizthema: 2021 war das Zerstören des Gedenkortes eine ihrer ersten öffentlichen Aktionen. In der Zwischenzeit haben sie eine besorgniserregende Entwicklung gemacht.  Während Franz Schrandt mittlerweile nach Berlin-Köpenick gezogen ist und sich dort in Richtung NPD orientiert, sind insbesondere Thore Ondrusch und Malwig Stelter organisatorisch beim III. Weg Berlin angekommen. Dass mit Larsen Aslan ein Berliner III. Weg-Aktivist sie beim Stören einer Gedenkkundgebung unterstützt, ist nur ein weiterer Beleg dafür. Der vierte bekannte Neonazi der Division MOL aus der Region, Lion Zander, tritt eher als Schulhof-Nazi in Erscheinung, der mit einer Clique an der Lenné-Oberschule in Hoppegarten Mitschüler*innen schikaniert und auch ziemlich gewalttätig ist. Malwig Stelter dagegen nimmt offenbar jede extrem rechte Aktion mit. Er war nicht nur am 30.04. in Fredersdorf unterwegs, sondern fuhr am nächsten Tag auch zum Aufmarsch des III. Weges nach Zwickau. Er fuhr zusammen mit dem Berliner Stützpunkt des III. Weges. Neben Malwig Stelter fuhren auch Franz Richard Schrandt und Erik Storch, welche auch zur Division MOL gezählt werden, mit nach Zwickau. Auf ihrer Anreise waren die Berliner und Brandenburger Neonazis maßgeblich an dem Angriff auf Antifaschist*innen auf dem Hauptbahnhof in Chemnitz beteiligt. Bilder zeigen, dass Franz Schrandt und Erik Storch mit in dem Mob waren. Da sie in Zwickau zusammen mit Malwig Stelter ankamen, ist davon auszugehen, dass auch er bei dem angreifenden Neonazi-Mob dabei war. 

Die Division MOL ist keine organisierte Gruppe, sondern ein Neonazi-Freundeskreis, dessen Mitglieder sich in Richtung unterschiedlicher Strukturen orientiert haben. Der Ostberliner Speckgürtel ist damit zu einem Nachwuchsbecken für die Berliner Neonazi-Szene geworden. Insbesondere der III. Weg kann davon profitieren, seine AkteurInnen treten sehr selbstbewusst auf und scheinen sich im Aufwind zu sehen. Es bleibt zu beobachten, ob noch mehr Jugendliche aus dem Berliner Umland ihren Weg dahin finden. 

Vereint zuschlagen? Gemeinsames Kampfsporttraining von NPD, IB und AfD in Berlin

Autor:innen: anonym

Erstveröffentlichung unter Indymedia

Im Sportkomplex Rennbahn (Rennbahnstr. 62, 13086 Weißensee) trafen sich 2021 Aktivist_innen von AfD, Identitärer Bewegung und NPD regelmäßig zum gemeinsamen Kampfsporttraining.

Ohne behelligt zu werden dürfen Nazis öffentliche Sportanlagen nutzen und sich dort auch unbeschwert vernetzen.

Es nahmen diverse Nazis von der NPD am Training teil. Fabian Knop, früher Freie Nationalisten Buch, heute NPD und JN Pankow, gilt als politischer „Ziehsohn“ von Christian Paul Schmidt, Vorsitzender der Berliner JN. Schmidt ist eine zentrale Figur der Naziszene in Berlin Buch und tritt vor allem durch seine “Anti-Antifa”-Aktivitäten in Erscheinung. Er trainierte mehrfach offen im T-Shirt des Nazi-Kampfsportturniers “Kampf der Nibelungen”. Es ist damit mehr als ersichtlich gewesen, dass hier Neonazis trainieren, die das offen zur Schau stellen.

Zudem nahmen die NPD-Anhänger aus Marzahn-Hellersdorf Lars Niendorf und Kai Milde an den Trainings teil. Beide wurden am 3.10.2020 auf dem Naziaufmarsch vom 3. Weg in Hohenschönhausen gesehen.

Von der “Identitären Bewegung” nahmen mindestens vier Aktivisten regelmäßig am Kampfsporttraining teil: Mario Alexander Müller gehörte ehemals zur Parteijugend der NPD in Niedersachsen. Danach war er Kopf der Identitären-Gruppe “Kontrakultur” Halle. Nach deren Auflösung zog es ihn nach Berlin, wo er nun für das Compact Magazin arbeitet. Neben ihm nimmt “Linus” (Rufname) am Training teil, der schon 2016 und 2017 die IB-Demos in Berlin mitorganisierte und sich auch jetzt noch an IB-Aktionen beteiligt. Der Dritte ist Roy Grassmann aus Bernau. Früher auf NPD-Veranstaltungen anzutreffen, verteilt er inzwischen das Compact-Magazin auf Querdenken Demos (z.B. in Frankfurt Oder https://inforiot.de/kein-platz-fuer-neonazis/). Unter seinem “Greifvogel-Wear”-Shirt trägt er ein großes Kolovrat-Tattoo auf der Brust, eine Art abgewandeltes Hakenkreuz.

Von der AfD nehmen regelmäßig teil: Jörg Sobolewski, der ebenfalls IB-Aktivist ist und zur Burschenschaft Gothia gehört. Sobolewski ist früherer Leiter der Geschäftsstelle der AfD Berlin, danach war er Mitarbeiter im Bundestag und bei der AfD Fraktion in der BVV Friedrichshain-Kreuzberg. Neben ihm nimmt Philipp Zech am Training teil. Er war 2019 und 2020 Vorstand der AfD Charlottenburg-Wilmersdorf, ist Exmitglied der Piratenpartei und Sportwissenschaftler an der Uni Potsdam, der auch Vorträge für die Aidshilfe hält. Beim Training trat auch er mit einem T-Shirt der Neonazimarke “Greifvogel Wear” auf. Ebenfalls dabei ist Alexander Göller von der Jungen Alternative Berlin und AfD Kreisverband Reinickendorf, der auf Facebook mit NS-Sprache auffällt.

An den Trainings nahmen in wechselnder Zusammensetzung regelmäßig zehn bis zwanzig Leute teil, von denen außer den namentlich genannten Nazis, viele auch Shirts von “Greifvogel Wear” oder “Kampf der Nibelungen” trugen.

Solche Trainings zu akzeptieren bedeutet Nazis in ihrem gewaltverherrlichendem Treiben zu unterstützen. Nazis üben mit diesen Trainings die körperliche Auseinandersetzung auf der Straße und machen sich fit für Fascho-Kampfsportveranstaltungen wie den Kampf der Nibelungen.

Wer dabei untätig zuschaut, wie organisierte Neonazis gemeinsam Kampfsport trainieren, nimmt in Kauf, dass sie ihre Kenntnisse auch gegen andere Menschen anwenden.

Zusammentreffen wie dieses Training zeigen auf, dass die Trennung in vermeintlich gemäßigte und extreme Rechte kaum mehr ist als eine Fassade. Trotz der sich wiederholenden Scheindistanzierungen kommen Rechte aller Schattierungen von AfD, über IB bis NPD immer wieder bei Diskussionsrunden, Trainings und Demos zusammen und verstehen sich offensichtlich bestens.

Division MOL — gewalttätige Neonazis aus rechten Elternhäusern

Autor:innen: Inforiot

Erstveröffentlichung unter: inforiot.de


Am 4.12.21 kam es in Berlin zu mehreren Angriffen auf Journalist*innen. An dem Angriff beteiligt waren auch Akteure der Division MOL, unter anderem Franz Schrandt und Erik Storch. 

Die Division MOL ist eine Clique rechter Jugendlicher, die in Märkisch-Oderland in der S5-Region, in Berlin und auch darüber hinaus unterwegs ist. Die Gruppe besteht aus einem mobilisierungsfähigen Umfeld von bis zu 20 Personen, das zwischen 14 und 20 Jahren alt ist. Ein erster Recherche-Artikel ist hier bereits erschienen. Hier gibt es nun neue Infos und Erkenntnisse. 

Personen und deren Einschätzungen
Der 15-jährige Thore Ondrusch lebt in Petershagen und ist der Kopf der Gruppe.  Er besucht die Oberschule Fredersdorf. Thore Ondrusch ist mittlerweile beim III. Weg aktiv, pflegt aber auch Kontakte zur NPD/JN in Berlin und zu Nazis aus Dortmund und anderen Städten Darüber hinaus knüpft er Kontakte ins Hooligan-Milieu, so z.B. zu dem Hertha-Hool André Schlouns, der regelmäßig rechte Kundgebungen und Demos besucht und als sehr gewalttätig gilt. Es ist davon auszugehen, dass Thore aus einer rechten Familie stammt.

Weiterhin wichtig in der Gruppe ist Franz Richard Schrandt, der ursprünglich aus Hoppegarten kommt und nun eine Ausbildung zum Dachdecker in Berlin-Köpenick macht. Dort lebt er bei seiner Schwester Sarah Schrandt, die ebenfalls extrem rechtes Gedankengut vertritt. Franz Schrandt ist gewalttätig war beteiligt an einem Übergriff auf Jugendliche auf dem Spielplatz Petershagen im Oktober 2020. Hier griffen die Nazis die nicht-rechten Jugendlichen mit Pfefferspray an, wobei mindestens eine Jugendliche verletzt wurde. Franz Schrandt hat sich in Berlin verstärkt NPD-Strukturen angenähert; so war er bei einem spontanen Aufmarschversuch der JN am 1. Mai 2021 am Alexanderplatz in Berlin beteiligt. 

Malwig Stelter ist der Sohn des bekannten Neonazis Andrew Ron Stelter. Er lebt bei seiner Mutter in Petershagen nahe dem Bahnhof Fredersdorf und geht auf die IB-Schule in Neuenhagen. Sein Vater Andrew Stelter ist mittlerweile nach Strausberg gezogen. Über seinen Vater verfügt Malwig Stelter über Kontakte in die ältere Generation von Neonazis, so z.B. zu der extrem rechten Band Exzess aus Strausberg, der mit Tobias Vogt jemand mit Kontakten in das Hammerskin-Netzwerk angehört. Malwig Stelter gilt als gewalttätig, wobei anzunehmen ist, dass er durch seinen Vater eine extrem rechte und autoritäre Erziehung abbekommen hat. Besonders besorgniserregend: Andrew Stelter verfügt über Schusswaffen, zu denen zumindest sein Sohn, wahrscheinlich aber auch andere Akteure der Division MOL, Zugang haben könnten.

Ein  weiteres Mitglied der Gruppe ist Erik Storch. Er lebt in Berlin und kommt ebenfalls aus einer Neonazi-Familie. Gemeinsam mit seiner Mutter Ivonne Storch war er z.B. bei einem Infostand des III. Wegs am 4.12.2021 in Berlin unterwegs. Sein Vater Robert Storch fiel bereits 2013 in Zusammenhang mit einer Recherche zur Neonazi-Szene in Berlin-Buch auf, wo er sich im Umfeld des damaligen Co-Trainers der “Bucher Ringwölfe” Benno Atorf bewegte, der wiederum bekannte Bucher Neonazis trainierte. Robert Storch glänzte schon damals mit Postings wie “Kriminelle Ausländer raus” oder “Ich bin stolz, Deutscher zu sein”. Wie es scheint, ist er mit diesen Ansichten in seiner Familie nicht allein.

Der in Mahlsdorf lebende Lion Zander besucht ebenfalls die Lenné-Oberschule und ist Teil der Division MOL. Wie die anderen gehört er zum engsten und extrem radikalisierten Kreis der Division. 

Im Umfeld der Gruppe sind außerdem Helia (Strausberg), die bei der JN Berlin-Brandenburg aktiv ist, Brooklyn (Hellersdorf),  Paul und Maurice (Petershagen) aktiv , deren Nachnamen bisher unbekannt sind.

Eine weitere relevante Person ist Sarah Schrandt, Franz Schrandts ältere Schwester. Sie lebt seit einiger Zeit in Berlin-Köpenick, ihr Bruder ist für seine Ausbildung zu ihr gezogen. Sarah Schrandt ist NPD-nah und vertritt extrem rechtes Gedankengut, da sie jedoch in einer Kita arbeitet, versucht sie nicht allzu sehr in die Öffentlichkeit zu geraten. Es ist davon auszugehen, dass sie die Radikalisierung ihres Bruders zumindest wohlwollend begleitet, wenn nicht gar mit angestoßen hat. 

Verbindungen

Die Division verfügt trotz ihres jungen Alters über hochkarätige rechte Kontakte, was zum einen auf die aktive Netzwerkarbeit von Thore Ondrusch, zum anderen auf Neonazi-Eltern wie Andrew Stelter zurückzuführen ist. 

Sie stehen beispielsweise in engem Kontakt mit dem III. Weg in Berlin. So nahmen Thore Ondrusch, Franz Schrandt, Malwig Stelter und Erik Storch bereits mehrmals an Infoständen des III.Weg teil. Darüber sind sie in Kontakt mit Sebastian Thom, Lilith Evler und auch dem neuen Parteivorsitzendes des III. Wegs aus der Uckermark, Matthias Fischer. Dieser unterhält gute Kontakte in internationale Neonazi-Netzwerke. Ungeklärt ist bis heute die Verbidung des III. Wegs zu zwei versuchten Brandanschlägen auf ein alternatives Hausprojekt in Berlin Spandau. 

Die Aufkleber und Materialien des III. Wegs sind in den Wohngegenden der Division MOL sehr präsent.  III. Weg- Flyer wurden auch mehrmals am Oberstufenzentrum Strausberg ausgelegt, und es ist davon auszugehen, dass Teile der Division am OSZ zur Schule gehen. Gerade die AkteurInnen des III. Wegs sind für ihre extrem dogmatische Ideologie und Gewaltbereitschaft bekannt. Dieses Umfeld scheint zumindest teilweise zu erklären, warum die Jungnazis der Division sich nicht mehr mit Aufkleber kleben begnügen, sondern mittlerweile zu gewalttätigen Angriffen übergegangen sind.

Mit Andrew Ron Stelter, der auch beim III.Weg aktiv ist, haben die jungen Nazis einen erfahrenen Mentor. Seit geraumer Zeit trainiert Andrew Stelter die Jugendlichen in Kickboxen, zunächst in seiner Funktion als Trainer beim Strausberger KSC, nach seinem Rauswurf vermutlich privat an anderen Orten.

Auszugehen ist auch von einem engen Kontakt zu Christian Schmidt, dem Leiter der JN Berlin-Brandenburg. Dieser ist mutmaßlicher Mit-Betreiber des Twitter-Accouns Aktionsblog Berlin-Brandenburg und eine zentrale Figur in der Neonazi-Szene. Lange Jahre war er in Berlin-Buch aktiv, wo er (damals) junge Rechte um sich scharte. Heute versucht er Ähnliches mit den Jugendlichen der Division.

Aktionen
Neben unzähligen Sprühereien und Sticker-Aktionen in der S5 Region ist die Division auch bundesweit unterwegs,  beispielsweise am 6.11.2020 mit JN-Fahne bei der Querdenken-Demonstration in Leipzig oder bei der Neonazi-Demo zum 13. Februar 2021 in Dresden.

Mittlerweile ist die Division auch mehrfach durch gewalttätige Übergriffe aufgefallen.  Einer der ersten war sicherlich der Pfefferspray-Angriff auf andere Jugendliche im Oktober 2020 (s.o.).

Kurz danach, Anfang 2021, zerstörten sie den Gedenkort für Phan Văn Toản, der 1997 in Fredersdorf ermordet wurde. Sie entwendeten eines der Gedenk-Transparente und posierten in Hooligan-Manier mit dem umgedrehten Transparent. Bei dieser Aktion trat die Gruppe zum bisher einzigen Mal gemeinsam mit Andrew Stelter auf. Die Neonazis schienen da bereits über Kontakte zu Christian Schmidt zu verfügen, da ihre Aktion kurz danach auf den Kanälen des Aktionsblogs Berlin-Brandenburg gepostet wurde. 

Einen weiteren Höhepunkt stellt der Angriff von Franz Schrandt und Erik Storch auf Journalist*innen am Rande eine Querdenken-Demo am 4.12.21 in Berlin dar (s.o.).

Wie weiter? 

Die Nazis der Division MOL sind sehr jung, aber sie sind gut vernetzt und zumindest einige der Mitglieder werden uns wohl eine Weile erhalten bleiben. Es ist stark davon auszugehen, dass zumindest Thore Ondrusch, Franz Schrandt, Malwig Stelter, Lion Zander und Erik Storch in der (Berliner) Neonazi-Szene aktiv bleiben werden. Es lohnt sich also, sie im Auge zu behalten. 

Die Aktionen zeigen eine deutliche und sehr schnelle Radikalisierung der Division und die Gefahr, die von einer Generation ausgeht, deren Eltern knallharte Neonazis sind. Hier ist auf wenig Einsicht zu hoffen. Das in Kombination mit der guten Vernetzung mit bekannten Neonazi-Kadern und dem Boxtraining zeigt, dass die Angriffe auf Journalist*innen noch nicht das Ende des Aktionsspektrums der Division sind.

Meldet Infos zur Neonazi-Gruppierung Division MOL und ihren AkteurInnen an eure lokale Antifa: recherche-division-mol@riseup.net. Vielen Dank für eure Hinweise!

Brandenburger AfD organisiert extrem rechtes Konzert

Landesverband der AfD „feiern“ mit Sacha Korn

Autor:innen: Inforiot

Erstveröffentlichung unter Inforiot

Am 6. November 2021 veranstaltete der AfD-Landesverband Brandenburg eine Abendveranstaltung in Hönow (Gemeinde Hoppegarten). Angekündigt war ein Infoabend mit Beiträgen der beiden stellvertretenden Landesvorsitzenden Birgit Bessin und Daniel Freiherr von Lützow. Den Abschluss bildete jedoch ein geheim organisiertes Konzert des extrem rechten Musikprojekts um Sacha Korn. Der offene Schulterschluss zwischen der Brandenburger AfD und einer außerparlamentarischen, subkulturellen Rechten ist neu. Er könnte als Richtungsweiser für den politischen Kurs nach den anstehenden Wahlen zum Landesvorsitz fungieren, bei denen auch Birgit Bessin antritt. Die zahlreich anwesenden Mitglieder des Brandenburger Landtages und einige Bundestagsabgeordnete aus dem Bundesland scheinen diese Entwicklung aktiv zu unterstützen. 

Das „Braune Haus“ in Hönow 

Veranstaltungsort des rechten Konzertabends war wieder einmal das Restaurant „Mittelpunkt der Erde“. Es gilt seit Jahren als etablierter Treffpunkt des völkischen Flügels der AfD. In der Vergangenheit fanden hier bereits Veranstaltungen mit Björn Höcke am 9.September 2017 und am 11.September 2020 statt (Wahlkampftag der AfD Marzahn-Hellersdorf am 9. September 2017 — 1) und Andreas Kalbitz (Treffen der „Adlerschwingen Brandenburg“ ) statt. Auch Götz Kubitschek und Erik Lehnert vom extrem rechten „Institut für Staatspolitik“ waren im Oktober 2020 für einen Diskussionsabend der Berliner „Jungen Alternative“ in Hönow zu Gast. Aufgrund der akuten Schwierigkeit der Berliner AfD, Veranstaltungsräume zu finden, dient der „Mittelpunkt der Erde“ ebenfalls als Treffpunkt für zahlreiche Bezirksverbände, um dort beispielsweise Parteitage abzuhalten. Doch am Samstagabend gab es auf der „Dankesfeier“ für „unsere Mitglieder“, wie Birgit Bessin wenige Stunden vor Veranstaltungsbeginn auf Facebook schrieb, mehr als nur ein paar diskriminierende Reden.

Sacha Korn – Musik für die extreme Rechte 

Unter den ankommenden Personen des Abends waren auch Mitglieder des extrem rechten Musikprojekts um den Songwriter Sacha Korn. So zeigte sich Drummer Guido Schade direkt im Bandoutfit und der Bassist und ehemalige Kader der Lichtenberger AfD, Jan-Michael Keller, trug sein Instrument in den Veranstaltungsraum. Später veröffentlichte eine Aktivistin der „Jungen Alternative“ aus Brandenburg Fotos, die bestätigten, dass tatsächlich ein Konzert von Sacha Korn im „Mittelpunkt der Erde“ stattgefunden hatte. 

Der Sänger und seine Bandkollegen nennen sich selbst „unpolitisch“. Doch sie sind seit vielen Jahren in einer extrem rechten Musikszene aktiv und in Neonazinetzwerke eingebunden. 2011 wurden Songs von Sacha Korn auf der “Schulhof-CD” der NPD in Sachsen-Anhalt veröffentlicht.  Zudem hat die Band Kontakte ins Rockermilieu, wie ein geplantes und dann verbotenes Konzert für die Hells Angels 2012 zeigt. Aus Angst vor weiteren Verboten werden ihre Konzerte in der Regel klandestin organisiert, wie 2015 im Berliner Club „Chesters“ [5]. Wenn sie bekannt werden, sind sie von antifaschistischen Protesten begleitet – so 2017 in Potsdam-Bornstedt. In den letzten Jahren suchen Sacha Korn neben der Neonazi-Szene jedoch verstärkt Kontakte in eine neofaschistische Rechte, vor allem zu Strukturen der “Identitären Bewegung”. Sein aktuelles Album „Heimat“ aus dem Jahr 2020 produzierte er zusammen mit der völkischen Vernetzungsplattform „Ein Prozent“. Sie finanzierte auch das Video zur Auskopplung „Unsere Kraft“ und bewarb Korn mehrfach auf ihrer Homepage als öffentlichkeitswirksamen Posterboy für eine „patriotische Musikszene“. Dadurch erlangte Sacha Korn Zugang zur rechten Medienblase. Er gab unter anderem Interviews in der FPÖ-nahen Zeitung „Wochenblick“ und dem österreichischen Magazin „Freilich“, das ebenfalls der FPÖ und der „Identitären Bewegung“ nahesteht. Zudem war er Ende 2020 Gast im online-Format „laut gedacht“ der beiden Identitären-Aktivisten Alexander Kleine aka Alex Malenki und Phillip Thaler. Die Kontakte zur neonazistischen und neofaschistischen Rechten führten auch zur zwischenzeitlichen Löschung von Korns Musik auf zahlreichen online-Downloadportalen. Der Sänger und seine Band stehen somit für die Bestrebungen  zum Aufbau einer völkischen „Gegenkultur“, die jedoch versucht ihre extrem rechten Inhalte als vermeintlich harmlosen „Patriotismus“ zu tarnen. Das vereint ihn mit der AfD.                                      

AfD im Netzwerk der „Mosaikrechten“

Das Konzert in Hönow zeigt, wie tragfähig die Netzwerke zwischen subkuturellen und parlamentarischen Kreisen der extremen Rechten inzwischen sind. Der Aufbau einer solchen „Mosaikrechten“ wird seit Jahren eingefordert und von Plattformen wie „Ein Prozent“ unter erheblichem finanziellen Aufwand forciert. Dabei geht es nicht nur darum, gegenseitige Unterstützung einzufordern, sondern eine aktive politische Zusammenarbeit unterschiedlicher Spektren, wie der AfD, der “Identitären Bewegung” oder Musik-Acts, zu fördern. Die Ausrichtung des Konzertes durch die AfD zu diesem Zeitpunkt ist taktisch motiviert. In zwei Wochen findet am 20. und 21. November der Landesparteitag statt. Auf ihm geht es darum, die Nachfolge von Andreas Kalbitz zu bestimmen, dem im Frühjahr 2020 die Parteimitgliedschaft entzogen wurde. Grund waren seine über Jahrzehnte bestehenden persönlichen Kontakte in die extreme Rechte. Doch für viele Teile der Brandenburger AfD war das kein Grund, ihm nachhaltig die Unterstützung zu entziehen. Nun machen sich die Kalbitz-Befürworter*innen im völkischen Parteiflügel bereit, um seine politische Arbeit mit neuen Gesichtern fortzuführen. Zu dieser Fraktion gehört auch Birgit Bessin, die für den Landesvorsitz kandidiert.

Breite Unterstützung für völkische Netzwerke

Dementsprechend ist die Konzert-Veranstaltung vom 6. November 2021 neben dem Dank an die Parteimitglieder für die Hilfe im zurückliegenden Bundestagswahlkampf auch eine Möglichkeit, um die Unterstützer*innen einzuschwören und den politischen Weg der Brandenburger AfD unter Bessin aufzuzeigen. Dieser Kurs scheint eine verstärkte Zusammenarbeit mit extrem rechten Strukturen außerhalb der Parlamente zu beinhalten, um in Brandenburg eine starke „Mosaikrechte“ zu etablieren. Eine solche Entwicklung scheint dabei von vielen führenden Politiker*innen der Partei getragen zu werden. 

Neben den stellvertretenden Landesvorsitzenden Bessin und von Lützow waren weitere Landtagsabgeordnete in Hönow; unter anderem Peter Drenske, Lars Günther, Kathi Muxel , Volker Nothing, die Schriftführerein Kerstin Schotte der ehemalige Abgeordnete Roman Kuffert. Zudem besuchten mit Hannes Gnauck, Steffen Kotré und René Springer gleich drei der fünf aktuellen Brandenburger Bundestagsabgeordneten der AfD das Konzert. Auch die generell eher ins völkische tendierende Parteijugend der AfD zeigt sich als Unterstützerin eines weiter nach rechts führenden Parteikurses. Neben der Vorsitzenden der „Jungen Alternative“ in Brandenburg, Anna Leisten, war ebenfalls ihr Stellvertreter Franz-Sebastian Dusatko sowie Manuel Schmidt anwesend. Von der Berliner JA kam Patrick Steven Fritsch vorbei. Die Ausrichtung eines klandestin organisierten Rechtsrockkonzerts stellt eine neue Qualität der politischen Arbeit der AfD in Brandenburg dar. Hier zeigt sich, wie offen völkische Strukturen in der Partei versuchen, ihre Handlungsspielräume gegenüber vermeintlich gemäßigteren Kräften, wie um Jörg Meuthen, zu erweitern. Es wird sich auf dem Landesparteitag zeigen, inwieweit eine solche Ausrichtung der Landes-AfD mehrheitsfähig ist. Leider spricht vieles dafür. Und selbst wenn die Akteur*innen des völkischen Flügels der Partei nicht unmittelbar auf die gewünschten Posten gewählt werden, werden sie ihren politischen Kurs auf lokaler Ebene fortführen. 

Aktive Neonazi-Jugendgruppe „Division MOL“

Autor:innen: Inforiot

Erstveröffentlichung unter: inforiot.de


Dieser Artikel dokumentiert den Stand der Recherche im Sommer 2021. Seitdem gibt es einige neue Erkenntnisse, die hier in einem Folgeartikel erschienen sind.


Seit Anfang 2020 kommt es im S‑Bahnbereich der S5 zwischen Neuenhagen und Strausberg verstärkt zu dem Auftauchen rechter Sticker und Sprühereien bis hin zu einem Angriff auf andere Jugendliche. Die verantwortliche Gruppe ist gefährlich und erfolgreich dabei, Netzwerke ins neonazistische Milieu in Berlin-Brandenburg zu knüpfen – genauso wie in die AfD. Trotz des jungen Alters der Akteure (von 14 Jahren bis Anfang 20) sind diese nicht als harmlose Jugendclique zu unterschätzen.

Division MOL – Von rechten Stickern über organisierte Aktionen hin zum III. Weg 
Der „harte Kern“ der Division MOL bestand bis zum Herbst 2020 aus Malwig Stelter (Jahrgang 2004), Franz Richard Schrandt, Lion Zander, Erik Storch und Thore Ondrusch. Es ist davon auszugehen, dass noch mehr Personen unter der Bezeichnung agieren und es ein dynamisches Unterstützerumfeld gibt. Erste Aktionen im Raum Petershagen traten bereits im Januar 2020 auf. Kurz nachdem sich die Oberschule, die am Petershagener Bahnhof gelegen ist, der Initiative „Schule ohne Rassismus – Schule mit Courage“ anschloss, wurden im Umfeld der Schule rechte Sprayereien entdeckt (siehe Chronik rechter Vorfälle in Märkisch Oderland). Die Schmierereien über Runen, Hakenkreuze und Schriftzüge wie „FCK ANTIFA“ häuften sich. Bis mindestens November hatte die Gruppe einen eigenen Instagram-Account, dieser ist mittlerweile inaktiv. Der Account hatte mehr als 170 Abonnent*innen, darunter viele AfD- und NPD- Accounts oder neonazistische Kader. Dort postete die Division nicht nur eigene Sticker-Aktionen, sondern auch Fotos mit einer Fahne der Jungen Nationalisten bei der großen Querdenken-Demo am 7.11.2020 in Leipzig. Bei der Demonstration mit mehreren zehntausend Teilnehmenden kam es zu gewalttätigen Ausschreitungen durch Schwurbler*innen und Neonazis. Am 31.01.21, im Nachgang einer Gedenkkundgebung für den von Rassisten totgeprügelten Phan Văn Toản in Fredersdorf, zerstörte die Division MOL Blumen, Schilder und ein Transparent. Mit dem umgedrehten Transparent posierten sie in Hooligan-Manier für ein Foto, welches später auf dem Twitter-Account der JN Berlin-Brandenburg veröffentlicht wurde. Die Division MOL beteiligte sich mit den Jungen Nationalisten Berlin-Brandenburg an der bundesweiten geschichtsrevisionistischen Aktion “Gedenk Dresden” im Februar 2021. Auch hier erfolgten immer wieder Veröffentlichungen auf den Social-Media Accounts der JN-Berlin-Brandenburg. Nicht nur in Brandenburg, auch in Berlin fällt die jugendliche Naziclique auf. So waren sie in Begleitung des Marzahner Nazi-Hools André Schlouns am 20.03.2021 beim Aufmarsch von Neonazis und Hooligans auf dem Platz des 18. März vertreten (https://www.flickr.com/photos/recherche-netzwerk-berlin/51058296388/in/album-72157718731325468). Gemeinsam mit Schlouns waren sie am 03.04.2021 auch bei der verschwörungsideologischen Kundgebung „Freiheit ist nicht verhandelbar“:

Gleichzeitig ist Schlouns mittlerweile aktiver Teil der Freedom Parade Berlin um Michael Bründel und nimmt an deren Aufzügen teil, sowie er auch aktiv im Telegram-Kanal der Gruppe kommuniziert. Es verwundert daher nicht, dass sich die jungen Nazis dann auch am 24.04.2021 auf einer Parade aus diesem Umfeld wiederfanden, zu deren Inszenierung es gehört, den antifaschistischen Gegenprotest als „Nazis“ zu beschimpfen, während man selbst mit Neonazis demonstriert.

André Schlouns kommt aus dem hoch gewalttätigen Umfeld von Enrico Schottstädt, dem Gründer der Berliner Gruppe „Bündnis Deutscher Hools“ (BDH) und war von 2015 bis 2018 regelmäßig Teil der Aufmärsche von Bärgida und “Wir für Deutschland (WfD)”.

Während Franz Schrandt, der mittlerweile von Münchehofe nach Treptow-Köpenick gezogen ist, weiterhin die Nähe zur JN hält (er war beispielsweise Teil von deren Spontandemonstration am 1. Mai 2021 auf dem Alexanderplatz), suchen die anderen die Nähe zur neonazistischen Kleinstpartei III. Weg. Neben Plakatier- und Flyeraktionen in und um Strausberg, engagieren sich unter anderem Thore Ondrusch und Malwig Stelter auch bei Infoständen, zum Beispiel im April in Berlin-Marzahn vor der Eastgate-Center sowie am 12. 06.2021 vor dem Linden Center am Prerower Platz (https://twitter.com/antifanordost/status/1403644952937209858). Damit befinden sie sich in direktem Kontakt mit der Spandauer Neonazistin Lilith Evler sowie mit Sebastian Thom, Verantwortlicher für die Brandanschläge im Neukölln-Komplex. Bei den Elternhäusern nichts Ungewöhnliches, haben wir es doch sowohl bei Thore Ondrusch als auch bei Malwig Stelter mit jungen Nazis der zweiten Generation zu tun. Stelter geht auf die Oberschule in Neuenhagen in Trägerschaft des Internationalen Bundes (IB). Sein Vater Andrew Ron Stelter war bereits in den Neunziger Jahren in der „Nationalistischen Front“ und der NPD aktiv und ist breit innerhalb der bundesweiten Naziszene vernetzt. Er ist seit Jahren regelmäßig Teil von neonazistischen Aufmärschen und wurde 2020 immer wieder auch bei den Coronaprotesten gesehen. Am 03.10.2020 war der Vater Stelter auch beim Aufmarsch des III. Weg in Berlin-Hohenschönhausen dabei. Auch bei Thore Ondrusch ist davon auszugehen, dass seine Familie neonazistisch geprägt ist. Sowohl die JN als auch der III. Weg üben sich in aktiver Jugendarbeit. Mit gemeinsamen Wanderungen, Sportprogramm und politischen Aktionen bieten sie eine rechte Lebenswelt, die Jugendliche enger an sie binden soll. Bei der Division MOL offensichtlich mit Erfolg. 

Im Umfeld der Division MOL bewegte sich Sanjay Sklarek. 2020 tauchte er dann bei mehreren AfD-Veranstaltungen auf, seit Anfang 2021 wurde er allerdings nicht mehr bei rechten Veranstaltungen gesehen.

Nazis ernst nehmen – Betroffene schützen 
Die Division MOL ist kein loser Zusammenschluss rechter Jugendlicher. Vielmehr entstammen sie auch dank früher Erziehung in entsprechenden Familienzusammenhänge, einer gefestigten neonazistischen Szene und haben mit den Kontakten zu JN, III. Weg und Nazi-Hooligans die besten Voraussetzungen, die nächste Generation gewalttätiger Neonazis zu stellen. Dies bedeutet eine direkte Bedrohung für alle, die nicht in ihr neonazistisches Weltbild passen, ob in Brandenburg, Berlin oder anderswo.

Lasst sie uns stoppen, bevor es zu spät ist. 

Mischt euch ein und meldet Infos zur Neonazi-Gruppierung Division MOL und ihren Akteuren an eure lokale Antifa: recherche-division-mol@riseup.net

Kein Platz für Faschismus, kein Raum der Division MOL!

Liebe, Frieden, Volksverräter

Zustandsbericht und Analyse zu rechten und verschwörungsideologischen Strategien während der Corona-Pandemie und antifaschistischen Interventionen

Autor:innen: North East Antifa

Erstveröffentlichung unter noquerdenken

Intro

Das Jahr 2020 wurde von einem großen Thema bestimmt: COVID-19. Für die radikale Linke bedeutete diese Pandemie vor allem, sich mit alten Problemen, in durch eine globale Krise verschärfter Form, auseinanderzusetzen. Wirtschaftskriege, soziale Ungerechtigkeiten, Klimawandel, Migration, Kapitalismus, staatliche Repression, Gentrifizierung und Kampf um Freiräume – kein Bereich war nicht direkt oder indirekt betroffen durch den dunklen Schatten, den das SARS-CoV-2 Virus ab spätestens Februar über die gesamte Welt warf. Schnell gab es aber auch erste Ansätze, linke Antworten auf die sich weiter verschärfenden Kämpfe in allen Teilen der Welt zu finden. Die Kampagnen „Leave No One Behind“ und „Nicht auf unserem Rücken“ seien hier nur als zwei Beispiele genannt. Zeitgleich mit diesen ersten linken Reaktionen auf die Krise, formierte sich aber ausgehend von Städten wie Berlin und später Stuttgart auch eine ganz andere Bewegung, die sich das Thema Corona für Forderungen und Positionen zunutze machte, die zunächst deutlich schwerer zu erkennen waren. Dass es bei dieser neuen Bewegung allerdings nicht um „Liebe“ oder „Frieden“ ging, sondern sich hinter den neuen Namen wie „Nicht ohne uns“ und „Hygiene Demo“ ein altbekanntes Querfront-Konzept zu verstecken versuchte, das immer wieder in neuen Formen und Themenbereichen auftaucht und mal mehr, mal weniger erfolgreich dazu dient reaktionäre, autoritäre bis faschistische Konzepte für ein neues, breiteres Publikum anschlussfähig zu machen, war spätestens nach den ersten Demonstrationen auf dem Berliner Rosa-Luxemburg-Platz im April 2020 klar. Dennoch tat sich die Linke lange schwer, dieser neuen rechten Massenmobilisierung eine angemessene antifaschistische Antwort auch auf der Straße entgegenzusetzen. Bis zum Sommer verschärfte sich diese Situation soweit, dass es teilweise den Anschein machte, es hätte sich eine gefährliche Ohnmacht gegenüber dieser Bewegung breit gemacht. Doch spätestens ab dem Herbst 2020 zeigten sich erste deutliche Erfolge im Umgang mit der neuen rechten Corona-Verschwörungserzählung. Mit Querdenken und allen daran angeschlossenen Organisationen und Kampagnen schuf sich diese verschwörungsideologische Szene ein eng geflochtenes Netzwerk, in dem gemeinsam mit Akteuren der gesamten deutschen Rechten nicht nur massiv mobilisiert werden konnte, sondern auch enorme finanzielle Mittel abgeschöpft wurden. Aus der rechtsoffenen bis offen rechten Inszenierung einer „Bürgerbewegung gegen die Corona-Diktatur“ wurde eine lukrative kleine Event-Industrie, die ihrer meist bürgerlichen Klientel gleichzeitig das Geld aus den Taschen zog und sie, mit beeindruckender Geschwindigkeit, weit nach rechts radikalisierte. Neben den „Mahnwachen für den Frieden“ 2014 und später „PEGIDA“, stellt die rechte Mobilisierung im Schatten der Corona-Pandemie ein weiteres Beispiel eines erfolgreichen rechten Mobilisierungs-Projekts dar, das sich einen gesellschaftlichen Themenbereich so geschickt zu eigen gemacht hat, dass es binnen kurzer Zeit gelang, viele tausend Menschen hinter bekannten Gesichtern und Parteien des rechten bis neofaschistischen Spektrums zu vereinen. Dieses Projekt zu analysieren und Strategien für seine Bekämpfung, sowie den Kampf gegen zukünftige ähnliche Projekte zu entwickeln, ist für uns als Antifaschist*innen eine zentrale Aufgabe. Um hierzu einen Beitrag zu leisten, haben wir uns entschlossen, diesen Text zu veröffentlichen. Unser Text richtet sich zum einen an Menschen, die sich einen groben Überblick über den aktuellen Zustand der sogenannten „Corona-Proteste“ und ihre wichtigsten Akteure sowie die dahinterstehenden Verschwörungserzählungen verschaffen möchten. Zum anderen richtet sich der Text an Antifaschist*innen, die aktuell zunehmend den Umgang der Linken mit dieser Bewegung und den, durch die Corona-Pandemie hervorgerufenen, Krisen und Verwerfungen analysieren und mit uns gemeinsam Gegenstrategien diskutieren wollen. Wir haben den Beitrag daher in vier Teile aufgeteilt, die auch unabhängig voneinander gelesen werden könne. Wir hoffen damit einen konstruktiven Beitrag zur anstehenden Analyse und Debatte leisten zu können.

North East Antifa, Dezember 2020

Teil 1 – Rechte Formierung durch die Hintertür

Kommunikationsstelle Demokratischer Widerstand und Hygiene-Demos
Der Ausbruch des Coronavirus hat in Deutschland seit dem Frühjahr 2020 für einen Boom an Verschwörungstheorien um die Entstehung des Virus gesorgt. Mit dem Einsetzen der Schutzmaßnahmen seitens der Regierung entwickelte sich eine stärker werdende Internetbewegung, die durch viele Menschen getragen wurde, die sich durch das gesamte Pandemie-Szenario verunsichert fühlten und nach Erklärungsansätzen suchten.

Für Verschwörungsgläubige und extrem rechte Medienaktivist*innen war das Aufkommen der Pandemie mit all ihren Folgen ein willkommenes Ereignis um ihre Welterklärungsansätze einem breiten Publikum zugänglich machen zu können. Die Personen und Gruppen hinter diesen rechten Plattformen sind keine Hobbyfilmer*innen oder „einfach normale Leute, die mal nur ihre Meinung sagen“. Das ist es zwar was die verwackelten Livestreams, das Instagramposting vom Küchentisch und sonstige Aufnahmen aus dem Privatleben rechter Medienaktivst*innen vermitteln sollen, die Realität ist jedoch die, dass hier mit einem hohen Grad an Professionalisierung gearbeitet wird und dass hinter diesen Personen und Gruppen teilweise über Jahre gewachsene Netzwerke stehen. Hierbei geht es nicht nur um die Verbreitung von Meinung, sondern um ein ertragreiches Geschäftsmodell, das mit Klicks und Spenden die Geldbeutel der rechten Youtube- und Blogszene füllt. Eines der kommerziell erfolgreichsten Medien aus diesem Bereich ist das Portal KenFM, welches bereits in den ersten Tagen der Pandemie die sich für Verschwörungserzählungen ergebenden Möglichkeiten erkannte. Inzwischen existiert eine eigene Szene von Youtube- und Telegram-Kanälen, die sich ausschließlich und 24 Stunden am Tag dem Thema Verschwörungsszenarien rund um Corona widmen. Neben diesem Bereich der sogenannten „freien Medien“ entstand ab Mitte des Jahres 2020 vor allem um die Querdenken-Bewegung eine eigene kleine Demonstrations-Industrie aus Webdesigner*innen Veranstaltungstechnik-Anbieter*innen, Moderator*innen, Busunternehmen und Rechtsanwaltskanzleien, die sich mit den sogenannten Corona-Protesten eine komplett neue und durchaus ertragreiche Einnahmequelle schufen.

Im Bereich der sogenannten „freien Medien“, bedienen einzelne Youtuber*innen jeweils unterschiedliche Verschwörungsmythen und politische Schwerpunkte, die anhand verschiedener Internethypes und Gesellschaftskrisen (z.B.Ukraine-Konflikt oder sog. „Flüchtlingskrise“ 2015) in den letzten Jahren von diesen Akteuren weiterentwickelt und verfestigt wurden. Offen rassistische Töne werden von vielen dieser Youtuber/Blogger*innen aktuell nicht vorgetragen. Ihr Fokus liegt auf Corona-bezogenen Themen. Beim durchforsten der Timelines dieser Medienkanäle wird jedoch schnell klar, dass sie außerhalb der Thematik Covid-19 regelmäßig rechte Inhalte reposten oder selber produzieren. Der Autor und Socialmedia-Propagandist Heiko Schrang suggeriert unter anderem in einem seiner Videos, der rassistische Anschlag in Hanau sei intendiert worden. Der rechte Attentäter Tobias Rathjen, der neun Menschen aus dem Leben riss, soll dies nur getan haben, um die Notwendigkeit eines kurz danach verabschiedeten Antidiskriminierungsgesetzes zu bekräftigen. Schrang suggeriert dies jedoch ohne Beleg. Denn: „Er stellt ja nur Fragen“, so wie alle rechten Blogger*innen – „einfach nur Fragen“ stellen.

Das Fragenstellen hat es ihm angetan, besonders an populäre Personen der Rechten, die sich allesamt auf Heikos Interviewsessel wiederfinden. Auf Schrangs Mediennetzwerk werden wir später genauer eingehen. Herausgegriffen haben wir ihn an dieser Stelle, weil er ein gutes Beispiel dafür ist, wie Verschwörungs-Blogger über Erklärungsangebote zu den Themen rund um Corona Publikum in ihre digitalen Filterblasen ziehen, über die sie dann mit rechten Inhalten in Kontakt kommen. Über die Identifikation mit diesen selbsternannten Querdenkern, wird eine Beschäftigung mit ihren sonstigen Inhalten befördert – auch denen die nichts mit Lockdown und Maskenpflicht zu tun haben. Wenn es hier keinen offenen Antisemitismus oder rechte Zuschreibungen zu hören und zu sehen gibt, dann erfolgt zumindest die Delegitimierung von Antifaschismus und eine Normalisierung von knallharten Rassisten, durch die Einladung in die Interviewformate dieser Social-Media-, Video- und Blogszene. Es ist eine Normalisierung von Rechten und damit eine reaktionäre Zuspitzung durch die Hintertür, deren Einstiegsfeld das Corona-Thema ist.

Interviews mit rechten Akteur*innen sind dann in der Regel kein kritisches Nachbohren, kein Auf-den-Zahn-fühlen, sondern meist ein gemütlicher Plausch, der damit endet, dass sich das selbstreferenzielle Netzwerk darin einig ist, dass die eigene Meinung ja nicht frei geäußert werden dürfe. Der offensichtliche Umstand, dass sie in diesem Moment ein Video aufnehmen, das später von tausenden Menschen gesehen wird, wird ausgeblendet. Sie eint die Ansicht, dass wir in einer Art Diktatur leben würden, völlig ungeachtet der Tatsache, dass ihnen andernorts auf der Welt nicht nur der Twitteraccount gesperrt werden würde, sondern sie vielleicht auch hinter Gittern verschwinden würden. Nicht wenige dieser Akteure feiern oft gleichzeitig gelenkte Demokratien wie Putins Russland ab.

Diese unter neonazistischen, verschwörungsideologischen, neurechten und esoterischen Medienaktivist*innen gängige Annahme, schafft einen Bezugspunkt zur Corona-Thematik. Das entworfene Konstrukt der „Merkel-Diktatur“, welches durch Rechte aller Couleur im Zuge des „Sommers der Migration“ (2015) konstruiert wurde, konnte nun während der Corona-Schutzmaßnahmen in den Pandemie-Kontext übertragen werden. Die Merkel- und die Corona-Diktatur sind somit Synonyme für ein und dieselbe Sache. Ein autokratisches Regime, das von einer ehemaligen FDJ-Sekretärin geleitet werde, die nur der EU gehorche, das Volk nicht für voll nehme und die Souveränität der BRD vollends untergraben wolle.

Für einige Menschen, die nicht bloß Ängste um ihre persönlichen Freiheiten hatten, die sie im Zuge des Lockdowns massiv gefährdet sahen, sondern die eben auch ihre beruflichen Existenzen verloren, war diese Argumentation durchaus ansprechend. Eine Regierung die nicht auf die Bevölkerung hört, braucht eine Opposition und als diese konnte sich das Spektrum der selbsternannten Corona-Skeptiker*innen aufspielen. Auch die Grundaussage, dass es kein links und rechts mehr gäbe, sondern nur die Bevölkerung gegen die Regierung ist ein attraktives Angebot, da es Menschen aus der Verantwortung nimmt, sich politisch positionieren zu müssen. Dieses (rechte) Konzept der Zusammenarbeit von Rechten und Linken wird hinlänglich als Querfront bezeichnet und ist, betrachtet an den verschieden Querfront-Versuchen in der Vergangenheit, immer wieder gescheitert.
Linke Vorstellungen einer egalitären Welt, in der alle die gleichen Möglichkeiten und Verantwortungen haben, widersprechen rechten Ideologien, die einen zentralistischen und autoritären Staat fordern, der ethnisch und religiös homogen ist und in dem das Recht des Stärkeren zählt. Darum ist eine klare Abgrenzung gegen rechte Ideologien gerade in sozialen Kämpfen stets notwendig, denn diese vertreten keine „unten gegen oben“-Position, sondern allenfalls Klassenkampf von oben, in dem Migrant*innen, Jüd*innen, Transmenschen usw. nicht Teil des Ganzen sind. Vielmehr geht es ihnen darum diese Menschen zu stigmatisieren. Nach dem Sieg der Corona-Rebellion, kommt die Nacht der langen Messer und die würde für den Teil der Querfrontaktivist*innen, die nicht rechts genug sind schlecht ausgehen.

Um diese doch recht widersprüchlichen Positionen in einer gemeinsamen Protestbewegung zusammenführen zu können, bedarf es gerade für deren besonders unappetitliche Anhänger*innen eines zivilen und fortschrittlichen Anstriches. Der „Kommunikationsstelle Demokratischer Widerstand“ (KDW) kommt diese Funktion zu. Mit der Organisierung der ersten „Hygiene-Demos“ am Rosa-Luxemburg-Platz gab die KDW den Startschuss für die bundesweiten Corona-Querfront-Proteste und wirkte stilbildend für diese. Ob Stuttgart, Leipzig oder Berlin: Hippies, Esos, Nazis, AfD alle auf einer Demo.

So formuliert schreibt die „Kommunikationsstelle Demokratischer Widerstand“ (KDW) auf ihrer Website: „Der deutsche Bundestag beschließt sein Ermächtigungsgesetz. Wir sollen ein Jahr lang in einer de-facto-Diktatur leben. Deren System ist derweil am Ende.“. Auf Stickern die zwischen März und Mai, vor allem nach den Hygienedemos häufig in Berlin geklebt wurden heißt es unter anderem: „Damals Adolf H. / 1933 – heute Corona“. Diese Argumentation verharmlost durch die Gleichsetzung der Corona-Maßnahmen mit der Machtübergabe an die Nationalsozialisten zum einen deren Verbrechen und zum anderen liefert sie den Corona-Skeptiker*innen die Argumentationsgrundlage, dass sie sich im antifaschistischen Widerstand befänden. Wenn die Pandemie-Maßnahmen den Ermächtigungsgesetzen gleich kommen, dann ist die Regierung, welche die Maßnahmen umsetzt folgerichtig faschistisch und deren Gegner*innen in Opposition zu einer Art neuer Naziherrschaft.

Die KDW, welche im Lockdown mit ihren „Hygienedemos“ am Rosa-Luxemburg-Platz die ersten Proteste gegen die sogenannte „Corona-Diktatur“ organisierte, zeichnet sich gerade dadurch aus, dass sie dieser Querfront ein ziviles Gewand verpasst, was vor allem durch die Publikation und Verbreitung ihrer Massenzeitung geschieht. Das Printmedium findet bundesweit Verbreitung und bestückt die Querfront aus Eso-Hippies, AfD‘lern, rechten Medienaktivist*innen und Verschwörungsfans mit einer eigenen Publikation und einer auf den ersten Blick liberal wirkenden Agenda. Ihre Massenzeitung führt mitnichten dazu, dass rechte Gegner*innen der Corona-Maßnahmen ihr Weltbild liberalisieren, vielmehr erfüllt die Publikation eine Feigenblattfunktion, welche den Rechten mehr als gelegen kommt. Sie vermittelt nach Innen und nach Außen, dass rechte Positionen und Protagonist*innen willkommen sind. Die Praxis, dass rechte Medienakteur*innen, wie zum Beispiel Matthäus Westfal („Aktivist Mann“) auf allen Bühnen der unterschiedlichen Corona-Protestgruppen sprechen können, überführt diese Einladung für Faschisten in die Realität.

Für Rechte verschiedener Couleur ergibt sich dadurch die Möglichkeit neue Zielgruppen, wie das Spektrum der Impfgegner*innen zu erreichen, als deren Vertreter*innen sie sich inszenieren. Um dies kurz zu illustrieren: Als klar wurde, dass die sogenannten „Hygienedemos“ am Rosa-Luxemburg-Platz ein Hype werden, dass dort alle willkommen sind und auch erste Nazihoolgruppen an den Versammlungen teilnahmen, tauchten verschiedene rechte Führungskader wie Udo Voigt (Ehem. NPD Vorsitzender und ehem. Europaabgeordneter) oder Eric Graziani (Patriotic Opposition Europe) auf. Rechte Aktivist*innen und Blogger verweigerten die Hygienemaßnahmen einzuhalten und ließen sich daraufhin von der Polizei medienwirksam verhaften und wegtragen. Dies war Teil und Geburtsstunde einer bewussten und seitdem immer wieder wiederholten Selbstinszenierung als „die einzig wahren“ Widerstandskämpfer*innen gegen die „Corona-Diktatur“. Nur eine Woche nach den Auseinandersetzungen zwischen Nazihooligans und Polizei auf dem Alexanderplatz am 09.05.2020, lief Udo Voigt am selben Ort mit T-Shirt gegen „Impfzwang“ im NPD-Design auf. Ein Produkt das uns bislang nicht aus dem NPD-Shop geläufig war und das auch sonst kein Kernthema der Partei darstellt. Nach einem anfänglichen Schlingerkurs der AfD-Führung und einzelner Landes- und Kreisverbände in Bezug auf die Corona-Thematik, meldete die Partei ab dem späten Frühling 2020 auch eigene Kundgebungen gegen die Corona-Maßnamen u.a. durch Beatrix von Storch an. Von einer anfänglichen Kritik seitens der AfD am “späten Durchgreifen der Regierung” war nun nichts mehr zu hören.

Aktuell stehen die Parteien des organisierten Neofaschismus in Deutschland nicht unbedingt als Gewinner der Corona-Krise da. Sie können das Virus nicht an migrantischen Personengruppen oder Geflüchteten festmachen, da Viren Herkunft und Geburtsort egal sind. Dies sprengt beispielsweise das bisherige Erfolgskonzept der AfD. Wenn sich die Corona-Krise zu einer handfesten Wirtschaftskrise auswächst wird der organisierte Neofaschismus aber wiederum als politische Kraft ins Geschäft einsteigen und von der Krise profitieren können. Hier werden AfD und Co. mit ihrer „Anti-Establishment“-Rhetorik versuchen zu punkten. Bis dahin macht es für die organisierte Rechte aber weiterhin Sinn alles mitzunehmen, was an Querfront-, Corona-, und Impfgegner*innen-Protesten aufploppt. Halten sie weiter den Kontakt, können sie sich in einer noch mehr zugespitzten gesellschaftlichen Situation als deren Stimme im Parlament etablieren.

Corona ist der inhaltliche Lockstoff, um Menschen in Querfront-Socialmedia-Filterblasen zu locken, von wo aus eine weitere rechte Radikalisierung vollzogen wird. Aus diesen Politisierungsprozessen entstehen im schlimmsten Fall radikalisierte Impfgegner*innen, die mit Waffengewalt gegen missliebige Wissenschaftler*innen und Vertreter*innen der vorgeblichen „Merkeldiktatur“ vorgehen. Die organisierte Rechte wiederum erhält dadurch anpolitisiertes „Menschenmaterial“. Ein Hauptproblem sehen wir im Zusammenhang mit der Corona-Krise aktuell nicht so sehr in den organisierten Faschist*innen, sondern in Querfrontler*innen und Liberalen, die sich durch ihr Vorgehen zum Türöffner für eine neue große rechte Formierung durch die Hintertür machen.

Kommunikationsstelle Demokratischer Niedergang oder: Hendrik, Anselm und Anne tanzen das Toleranz-Paradoxon

Eine ernstzunehmende Abgrenzung nach rechts gab es bei den, von der „Kommunikationsstelle Demokratischer Widerstand“ ins Leben gerufenen, sogenannten Hygiene-Demos nie. Das Gegenteil war immer der Fall. Rechte und extrem Rechte aller Couleur fühlten sich auf den Hygienedemonstrationen wohl und willkommen. Kein Wunder, sprachen doch die Veranstalterinnen, allen voran Anselm Lenz, vom ersten Tag an und mit wachsender Begeisterung vor allem mit rechten Bloggerinnen, rechten YouTube-Kanälen und rechten Journalistinnen. Dort hatten sie ihr Klatsch-Publikum gefunden, dort hörte man ihnen begeistert zu, und dort gab es auch all die anstrengende Kritik nicht, die ihnen von manch „etabliertem“ Medium entgegengebracht wurde. Aber eine Abgrenzung von rechten Positionen und Akteuren war von Lenz, Sodenkamp und Co. auch nie gewollt. Der späte und halbherzige Versuch einer Abgrenzung von einem einzelnen, extrem rechten Youtuber, war genauso erzwungen wie folgenlos. Als bereits klar war, dass zur Hygiene-Demo am 25.04.2020 neben Stefan Bauer, dem „Compact-Magazin“ und dem verurteilten Holocaustleugner Nikolai Nerling auch NPD, Identitäre und AfD auf dem Rosa-Luxemburg-Platz erschienen waren, bezeichneten Hendrik Sodenkamp und Anselm Lenz in einem Video die Teilnehmerinnen genau dieser Demonstration als „Querschnitt der tollsten Leute aus ganz Berlin“. Klarer und positiver kann man sich zu Rechten und Neonazis nicht positionieren, und diese verstanden die Einladung von Sodenkamp und Lenz sofort. Was folgte war so logisch wie absehbar. Innerhalb von nur zwei Wochen wuchs die Anzahl der bekannten Neonazis auf den Hygiene-Demos soweit an, dass es am 9. Mai schließlich auf dem angrenzenden Alexanderplatz zu rassistischen Übergriffen und zu Auseinandersetzungen mit der Polizei kam. Das massive Auftreten rechter Hooligans mit, inzwischen auch offen zur Schau gestellter, Nazisymbolik und die extrem aggressive Stimmung auf dem Alexanderplatz, führten an diesem Tag zu einer ersten direkten Konfrontation der „Kommunikationsstelle Demokratischer Widerstand“ mit ihrem so treuen wie deutschen Publikum. Hendrik Sodenkamp rief auf dem Alexanderplatz mehrfach „Nazis Raus“. Das Ergebnis war eine rasch anwachsende Traube an Hygiene-Demonstrant*innen, die ihn daraufhin lauthals als „Spalter“ beschimpften. „Jeder darf seine Meinung haben“ war wiederholt zu hören. Eine Parole, die in ihrer so einfachen, wie gefährlichen Fehlinterpretation von Einigkeit und Freiheit, beispielhaft dafür steht, wie fast jede rechte Querfronterzählung funktioniert.

Sodenkamp war sichtlich überfordert und zog sich, immer noch umringt von brüllenden Demonstrant*innen, zurück. In einem späteren Interview formuliert er nochmal sehr deutlich aus, warum in seiner Wahrnehmung bis zu diesem Tag keine Rechtsradikalen auf den Hygienedemos gewesen sein können. „Warum hast du jetzt erst Nazis Raus gerufen, waren da denn nicht vorher auch schon welche auf den Hygiene-Demos?“ wird er gefragt. Sodenkamp antwortet, bisher seien dort nur „normale Menschen (…) Handwerker, junge Menschen, alte Menschen“ gewesen. Auf dem Alexanderplatz habe er aber richtige Neonazis „mit Hakenkreuztätowierungen, mit Runenzeichen“ gesehen. Wenn solche richtigen Neonazis wieder auf den Hygiene-Demos auftauchen, sollten die anderen Demonstrationsteilnehmer*innen einfach sagen „Stopp! Geht nach Hause und macht was Schönes“. Ein naiveres Bild davon, wer oder was „richtige“ Neonazis seien und wie man ihnen konkret begegnet, lässt sich wohl kaum formulieren. Wäre Sodenkamp bei diesem Interview nicht tatsächlich auch noch am Ufer eines kleinen Sees gesessen und die Vöglein hätten im Hintergrund gezwitschert, man hätte es dazu erfinden müssen.

Anfang Mai setzt die „Kommunikationsstelle Demokratischer Widerstand“ einen Link mit dem Satz „Wer für das Grundgesetz steht, steht gegen Nazis.“ auf ihre Website. Verlinkt wird ein Text des Journalisten und Hygiene-Demonstranten Uli Gellermann (Weltnetz.tv und KenFM) in dem dieser schreibt, warum Nikolai Nerling nichts auf den Hygiendemos verloren habe. Nerling, der zu diesem Zeitpunkt hinter den Hygiene-Demos und ihren Macher*innen gerade den „Bolschewismus“ zu erkennen meint, fasst dies als Kriegserklärung auf und arbeitet sich in mehreren Videos an Lenz, Sodenkamp und Gellermann ab. Die zunehmende Konfrontation mit der rechtsradikalen Realität auf ihren Demonstrationen führt intern zu ersten Brüchen zwischen den Veranstalter*innen.
In den folgenden Wochen zerfasern sich die zahlreichen Mobilisierungen diverser Kleingruppen und Telegram-Kanäle zu unterschiedlichen „Hygiene-Spaziergängen“. Angesichts der erfolgreichen antifaschistischen Gegenaktionen auf und um den zentralen Rosa-Luxemburg-Platz, verliert die Querfront den Ort und versucht sich an gemeinsamen Demonstrationen mit Gruppen aus dem Reichsbürgerspektrum im Tiergarten und Regierungsviertel. Die „Kommunikationsstelle Demokratischer Widerstand“ versucht einen neuen, ebenfalls öffentlich eher als „linksalternativ“ wahrgenommenen Ort für ihre Treffen zu etablieren und mobilisiert in den Mauerpark. Erstmals wird hier aus der vormals „stillen“ Versammlung eine Kundgebung mit Redner*innen und „offenem“ Mikrofon. Das bisherige Fehlen von Redebeiträgen erweist sich hierbei als Stärke, angesichts der extrem heterogenen Zusammensetzung der Hygienedemonstrant*innen. Mit den Reden werden nun Inhalte deutlich und auch nötig.

Der Mythos von der gekaperten Bühne
Bis heute ist das Verhalten in und um die Gruppe und ihr Umfeld gleich: Jede Kritik (vor allem an rechten Positionen und Akteuren) wird, kommt sie von außen als Angriff, kommt sie von innen als Spaltungsversuch niedergebügelt. Das Credo der neuen „Hygiene-Bewegung“ bleibt: Alles darf gesagt werden, jede und jeder muss gehört werden. Selbst offen rassistische oder nationalsozialistische Akteur*innen werden unter dem Denkmantel der „Meinungsfreiheit“ ans Mikrofon gebeten. Rechtsradikale, antisemitische und rassistische Positionen werden so zu legitimen Meinungen und müssen angehört werden. Kritik daran ist automatisch antidemokratisch und spalterisch. Diese so einfache wie gefährliche Erzählung, die schon die „Montagsmahnwachen für den Frieden“ zu einem Sammelbecken für Rechtsradikale und Antisemiten werden ließ, wird auch für die „Kommunikationsstelle Demokratischer Widerstand“ zur braunen Sackgasse.

Am 6. Juni 2020 ruft die „Kommunikationsstelle Demokratischer Widerstand “ zusammen mit den Berliner „Corona Rebellen“ um Max Brüggemann, dem „Demokratischen Forum“ (Roald Hitzer) und der „Freedom Parade“ um den als Captain Future auftretenden Selbstdarsteller Michael Bründel aus Berlin Friedrichshain zu einer „Großdemonstration aller Gruppen“ an der Siegessäule auf. Nikolai Nerling kündigt lange vorher schon sein Kommen zu dieser „Großdemonstration“ an, man hätte also gewarnt sein können. Das Kern-Team des „KDW“ meidet zu diesem Zeitpunkt bereits auffällig seine eigenen Demonstrationen in Berlin. Sodenkamp und Lenz treten lieber in Potsdam oder Erfurt auf und verbreiten dort die krude Geschichte, man dürfe in Berlin nicht auf seine eigenen Demonstrationen. So sind an diesem Tag nur der Rechtsanwalt Florian Daniel und die KDW-Sprecherin Anne Höhne im Tiergarten. Direkt zu Beginn der Veranstaltung erscheint Nerling, in Begleitung des rechten YouTubers Matthäus Westfal („Aktivist Mann“), meldet sich auch prompt als erster Redner ans Mikrofon und stellt sich kurz mit den Worten „Ich bin ein Rechtsradikaler“ vor. Bei der Moderation und den Veranstalter*innen auf der Bühne löst dies sichtlich Unruhe darüber aus, wie nun mit Nerling, dem Neonazi den man doch eigentlich ausgeladen hatte, umzugehen sei. Nach kurzer Diskussion entscheidet man sich dafür, das Publikum abstimmen zu lassen, ob der bekennende Rassist und Holocaustleugner reden darf. Eine klare Mehrheit der Hygiene-Demonstrant*innen entscheidet sich dafür, dem Neonazi die Bühne und das Mikrofon zur Verfügung zu stellen. Nerling freut sich sichtlich und hält seine übliche Rede. Im Anschluss tauchen Florian Daniel und Anne Höhne auf und zeigen sich verärgert über Nerlings Auftritt. Die Konsequenz ist, dass Anne Höhne sich in einer 10-Satz-Rede auf der Bühne im Namen des „KDW“ und der „Corona-Rebellen“ von Nerlings Auftritt distanziert und danach geht die Veranstaltung wie geplant weiter. Dass das Publikum, welches dem Aufruf des „KDW“ gefolgt ist, den rechtsradikalen Hetzer nur wenige Minuten vorher mehrheitlich auf die Bühne gewählt hat, scheint weder Anne Höhne noch sonst wem zu denken zu geben. Einige Minuten später erklärt ein Redner, er „würde Adolf Hitler hier durchaus auftreten lassen“, man könne sich dann mit seinen Thesen auseinandersetzen. Im Anschluss sprechen Eric Graziani (Patriotic Opposition Europe) und Stefan Räpple (AfD). Der Ablauf dieser Kundgebung der KDW steht in so vielen Punkten beispielhaft für das rechtsoffene Gebaren innerhalb dieser neuen Bewegung und die ganz bewusste Verweigerung, Rechtsradikalen und bekennenden Neonazis den Zugang zu den Bühnen, Megaphonen und Kanälen der Bewegung zu verweigern.

In den folgenden Tagen veröffentlichen Martin Lejeune, der sich schon sehr früh als Hofberichterstatter der KDW und Querdenken herauskristallisierte, und andere sogenannte „freie Medien“, Interviews und Statements, die eine Geschichte verbreiten, die auch in den Telegram-Gruppen der Bewegung kursiert und von der Bühne handelt, die der Volkslehrer angeblich „gekapert“ habe. Dieser Versuch der Geschichtsverdrehung zugunsten der KDW-Anhänger*innen ist allerdings so plump, dass er nicht mal in den eigenen Reihen lange Bestand hat.

Der Widerstand frisst seine Gründer und spuckt sie wieder aus
Auf den darauf folgenden Veranstaltungen erscheint nicht nur Nikolai Nerling zusammen mit den rechten YouTubern „Aktivist Mann“ und „carville767“ wieder, es steht auch wieder der bekannte Neonazi Eric Graziani mit Ordnerbinde vor der Bühne, von der aus die Zeitung „Demokratischer Widerstand“ verteilt wird. Die erste Rednerin auf einer dieser Kundgebungen vor dem Brandenburger Tor betont, man dürfe sich nicht spalten lassen, erklärt dass der „Volkslehrer“ mehr Redezeit hätte bekommen sollen, bedankt sich herzlich bei Nikolai Nerling für seinen Mut und beklagt, dass Ulli Gellermann in seiner Rede bei der letzten Veranstaltung „gegen den Volkslehrer gehetzt“ habe und dass man ihm das Mikrofon dafür hätte abstellen sollen. Die Meinungsfreiheit am offenen Mikrofon der Hygiene-Demos endet eben immer dann, wenn ein Neonazi und Holocaustleugner kritisiert wird. Vom Kernteam der „Kommunikationsstelle Demokratischer Widerstand“ ist an diesem Tag gar niemand mehr auf der Veranstaltung. In internen Gruppen wird von Austritten und Streit berichtet. Auch im Kernteam beginnt es zu bröckeln.

Anselm Lenz, Hendrik Sodenkamp, Anne Höhne und der Rechtsanwalt Florian Daniel haben mit den Hygiene-Demos in Berlin eine der größten rechten Massenmobilisierungen Deutschlands nach Pegida ins Leben gerufen. In vielen Punkten erinnert die Entstehung und Entwicklung der sogenannten Hygiene-Demos, sowie Wandel und Radikalisierung ihrer Begründerinnen der „Kommunikationsstelle Demokratischer Widerstand“ und ihrer Anhängerinnen nach rechts, an die Friedens- oder Montagsmahnwachen und deren Entwicklung. Entstanden waren beide Bewegungen aus einer gefährlichen Mischung aus Verschwörungsgläubigen, Querfront und Menschen, die sich selbst mindestens so gerne reden hören, wie sie sich auf Fotos und in Videos sehen. Ein übersteigertes Sendungsbewusstsein und der Wunsch einer dramatischen, revolutionären Selbstinszenierung mischten sich hier mit der klassischen rechten Querfronterzählung vom Widerstand gegen die „linke Medienzensur“ und dem Kampf für die Freiheit, endlich wieder alles sagen zu dürfen was das deutsche Volk doch eigentlich immer schon heimlich denkt und hören will. Was an politischem Fundament fehlt, machen solche Türöffner faschistischer Meinungsmache an Geltungsdrang wieder wett. Umso gefährlicher ist das daraus resultierende Mobilisierungspotential. Ende des Jahres 2020 arbeiten Anselm Lenz und Hendrik Sodenkamp nun daran, Spenden für ihr geplantes „Verlagshaus Sodenkamp und Lenz“ zu sammeln. Für die Werbung zu ihren Veröffentlichungen nutzen Lenz und Sodenkamp unter anderem das verschwörungsideologische Youtube Format „Die Zorro Kenji Show“, das von Eric Protzner aus Berlin-Prenzlauer Berg betrieben wird. Dort unterhält sich Anselm Lenz mittlerweile freundschaftlich mit Nikolai Nerling und solidarisiert sich ganz offen mit dem verurteilten Holocaustleugner. Anne Höhne tritt nicht mehr als Sprecherin der KDW in Erscheinung, sondern produziert zusammen mit Martin Lejeune die Propaganda-Videos der Bewegung und umgibt sich dabei mit bekannten Rechtsradikalen und Antisemiten, wie Reza Begi. Politisch hat sich die KDW und ihre Zeitung der „Demokratische Widerstand“ schon lange von ihrem liberalen Image verabschiedet. Inzwischen schreiben dort, auf Einladung von Anselm Lenz, stramme Neofaschisten und die sogenannte Neue Rechte wie Benedikt Kaiser und Ellen Kositza.

Anselm Lenz, der sowohl im beruflichen wie in seinem engsten privaten und familiären Umfeld als extrem cholerisch und autoritär gilt, befriedigt sein Ego nicht mehr nur damit, Redaktionsmitglieder seiner Zeitung selbst zu erfinden, oder von Robben&Wientjes-Pritschen dramatisch „Avanti Popolo“ zu plärren, sondern ruft mittlerweile vor dem Reichstag anwesende Wutbürger dazu auf, sich an der von ihm vorher bekanntgegebenen Privatadresse von Jens Spahn zu versammeln um ihrer Wut dort freien Lauf zu lassen. Die Äusserungen von Lenz und Sodenkamp, die sich im Frühling noch selbst als „liberale Antifa“ bezeichneten, klingen am Ende des Jahres 2020 bedrohlich nach rechten Vernichtungsfantasien. Angesichts eines drohenden Demonstrationsverbotes im Vorfeld einer Querdenken-Demonstration in Bremen am 5. Dezember 2020 schreibt die „Kommunikationsstelle Demokratischer Widerstand“: „Sollte die politische Klasse heute uns, den Menschen, den Krieg erklären, werden die Folgen absolut grausam sein. Insbesondere für die politmediale Klasse und deren Kollaborateure. Wer sich bisher dem Corona-Regime unterworfen hat, heute aber umkehrt (…), kann noch mit Amnestie (Strafverschonung) rechnen. Die Entscheidung sollte allerdings rasch getroffen werden“. Am 9. Dezember tritt Anselm Lenz unter dem Titel „Corona und die linken Verräter“ bei COMPACT TV als Interviewpartner von Jürgen Elsässer auf.

Die Hygiene-Bewegung der ersten Jahreshälfte 2020 und die „Kommunikationsstelle Demokratischer Widerstand“ exerzierten in ihrem Umgang mit Rechtsradikalen und Neonazis das Bilderbuch-Beispiel des Toleranz-Paradoxons durch. Damit boten sie rechtsradikalen, antisemitischen und faschistischen Positionen und rechten Verschwörungsideologien einen geradezu perfekten Boden, um sich im Schatten der Corona-Krise rasant zu verbreiten und bisher eher unpolitische bis rechtsoffene Zielgruppen zu erreichen, zu politisieren und zu radikalisieren. Die zu erwartenden Folgen des so weitergetragenen Hasses auf vermeintliche geheime Eliten oder Minderheiten werden sie nicht treffen. Was sie hinterlassen sind neue Wähler*innen für die AfD, neue Anhänger*innen rechter Verschwörungserzählungen, und viele neue Abonnent*innen rechter und rechtsradikaler Medien-Formate. Die Saat ist ausgebracht, die Rechten werden sie ernten. Und Lenz, Sodenkamp, Höhne und Co. werden sich in Berliner Altbauwohnungen zurückziehen, bei Bio-Kaffee ein wenig Marx oder Sezession lesen und darauf warten, wann Ken Jebsen mal wieder nach einem Interview fragt.

Sicherlich hat auch das Fehlen einer breiteren linken Diskussion um die Corona-Einschränkungen dazu beigetragen, der rechten Querfront hier einen Ansatzpunkt zu bieten. Aus antifaschistischer Perspektive ist dennoch im Sommer 2020 nicht alles falsch gelaufen. Die frühzeitige Gegenmobilisierung kostete die Querfront den Rosa-Luxemburg-Platz und schuf erste innere Konflikte. Ausführliche Recherche und Dokumentation konnten die rechten Akteure aufzeigen und ihnen die Deckung nehmen. Es bleibt eine wichtige Aufgabe für zukünftige antifaschistische Arbeit zu analysieren und zu diskutieren, was zu erfolgreichen rechten Querfrontmobilisierungen wie den „Hygiene-Demonstrationen“ oder den Montagsmahnwachen führen konnte und wie dem entgegengetreten werden kann. Die immense Wichtigkeit rechter YouTube-Aktivist*innen scheint uns hier zukünftig ein wichtiger Themenschwerpunkt sein zu müssen. Doch genauso gefährlich, wenn nicht gefährlicher, als die Faschisten selbst, sind deren Türöffner*innen, die entscheidend zur weiteren Normalisierung rassistischer, antisemitischer und faschistischer Positionen im Netz und auf der Straße beitragen. Anselm Lenz, Hendrik Sodenkamp, Anne Höhne und Florian Daniel sind persönlich wie politisch mitverantwortlich für den rechten Hass und die rechte Gewalt, die aus dem resultieren, was sie auf Veranstaltungen, zu denen sie mobilisierten, in den Köpfen vieler Menschen in den letzten Monaten befeuerten.

Querdenken – Mit Neonazis und Reichsbürgern für Frieden, Freiheit und Demokratie

Spätestens seit der Großdemonstration am 1. August 2020 im Berliner Regierungsviertel, ist Querdenken die führende Struktur innerhalb der neuen Corona-Querfront. IT-Unternehmer Michael Ballweg, Begründer und Frontfigur der Stuttgarter Querdenken711 kann auch als aktuell noch zentrale Figur der bundesweiten Querdenken-Bewegung gesehen werden. Die Endungen der verschiedenen lokalen Querdenken Gruppierungen ergeben sich aus den Postleitzahlen der jeweiligen Städte. Berlin hat seit August eine lokale Querdenken30 Gruppe. Bei der Großdemonstration von Coronaleugnerinnen, Impfgegnerinnen, Verschwörungsgläubigen und diversen Neonazi- und Reichsbürger-Gruppierungen am 1. August war Querdenken711 die zentrale Organisationsstruktur. Wie bei der Berliner „Kommunikationsstelle Demokratischer Widerstand“ distanziert man sich bei Querdenken zwar immer mal wieder sporadisch von „Extremismus“, wenn es sein muss auch mal von Neonazis. Dennoch arbeitet Querdenken ganz unverhohlen mit Neonazi-Gruppierungen und diversen Playern der rechten und neonazistischen sogenannten „neuen Medien“ zusammen. Stephan Bergmann, ehemaliger Pressesprecher von Querdenken711 warnte im Internet vor einer „Vermischung der Rassen“ und der Züchtung einer „hellbraunen Rasse in Europa“ durch die der Intelligenzquotient der weißen Bevölkerung gedrückt werden solle. Neben seinen rassistischen Ansichten, teilt Bergmann Inhalte von Jürgen Elsässer und Sven Liebich. Elsässer rief später in einem eigenen Video selbst zur Teilnahme am Querdenken-Aufmarsch am 1. August auf. Michael Ballweg und Querdenken711 distanzierten sich bis heute weder von den rassistischen Aussagen ihres damaligen Pressesprechers, noch jemals von Demo-Aufrufen zahlreicher rechter und neofaschistischer Parteien, Gruppierungen und Einzelpersonen, von NPD bis zum Neonazi Nikolai Nerling. Zum wegen Volksverhetzung verurteilten Nerling hat Querdenken ein besonders enges Verhältnis. Der Neonazi war immer wieder gern gesehener Gast auf zahlreichen Querdenken Demonstrationen und wurde am 1. August vom damaligen Querdenken-Pressesprecher Stephan Bergmann an der großen Bühne mit einer freundschaftlichen Umarmung persönlich begrüßt. Bergmann und Nerling kennen und mögen sich. Bergmann tritt in Videos des Neonazis auf.

Ein anderer wichtiger Akteur der bundesweiten Querdenken-Demonstrationen, der auch schon einen Gastauftritt bei Nikolai Nerling absolvierte, ist Nana Domena, der vor allem durch das neurechte Youtube-Format „Multikulti trifft Nationalismus“ bekannt wurde. Nana Domena moderierte am 1. August auf der Querdenken-Bühne der Großdemonstration in Mitte und am 2. August auf der Veranstaltung der „Kommunikationsstelle Demokratischer Widerstand“ im Berliner Mauerpark. Seinen Auftritt im Video von Nikolai Nerling beendete Nana Domena mit einem lauten “White Lives Matter!”.
Nerling warb bereits vorher unter anderem bei einer Youtube-Videokonferenz beim rechten Youtuber Stefan Bauer zusammen mit einer Aktivistin von Querdenken713 für die Großdemonstration in Berlin. Diese und viele weitere Beispiele belegen, dass es bei Querdenken nicht nur keinerlei Berührungsängste mit Akteuren der extremen Rechten gibt, sondern dass diese und deren Anhänger*innen auch ganz gezielt von Querdenken hofiert werden. So ist es kein Zufall, dass auf der Demonstration am 1. August schließlich die extrem rechte Gruppierung „Patriotic Opposition Europe“ um den Neonazi Eric Graziani zusammen mit den sogenannten „Coronarebellen“ mit einem großen Truck teilnahmen. Michael Ballweg verwendete bei seiner Rede am 1. August das bekannteste Zitat der unter amerikanischen Rechten beliebten Qanon-Verschwörungsideologie „Where we go one, we go all“.

Die Rechten werden lauter – Von der Maskenpflicht zum Friedensvertrag

Der Ablauf des rechtsoffenen bis offen rechten Aufmarsches am 1. August in Berlin Mitte steht in seiner inhaltlichen wie örtlichen Choreographie geradezu beispielhaft für die Blitzradikalisierung nach rechts, die in und durch die sogenannten Corona-Proteste stattfindet. Fast bürgerlich wirkten die Zeitungsschwenker*innen der „Kommunikationsstelle Demokratischer Widerstand“ bei ihrer Vorabenddemo am 31. Juli 2020 noch. Am nächsten Tag, zur Großdemonstration für „Frieden und Freiheit“ waren bereits zahlreiche Reichsflaggen und antisemitische Anspielungen unter den Teilnehmer*innen zu sehen. Als am Abend schließlich die Querdenken-Kundgebung von der Polizei beendet wurde, und sich die ehemaligen Demonstrant*innen durch den Tiergarten in Richtung Hauptbahnhof entfernten, landeten sie ganz automatisch auf der Reichsbürger-Kundgebung des vorbestraften Ex-NPD-Mitglieds Rüdiger Hoffmann. Dort dominierten die Fahnen des Deutschen Reiches schließlich die bunten PEACE-Fahnen und es wurde vom Umsturz der Besatzer-Regierung, von Bürgerkrieg und einem neuen Deutschen Reich schwadroniert. Wer im Dunkeln schließlich auf dem Weg zu den Honk-For-Hope-Bussen noch am Kanzler*innenamt vorbeilief, hatte die Chance Attila Hildmann zuzusehen, der dort am Zaun sein neuestes neofaschistisches und antisemitisches Hetzvideo produzierte. Wer bis dahin noch nie Teil eines Neonazi-Aufmarschs war, hatte es spätestens dann geschafft einer zu sein und hatte nun, auf der maskenfreien Rückfahrt in die heimatliche Kleinstadt, genug Zeit um über die impfwütige zionistische Bolschewistin Merkel und die jüdische Weltverschwörung nachzudenken.

Die Demonstration am 1. August in Berlin stellt in der bisherigen Historie der sogenannten Corona-Proteste und ihrer offenen Radikalisierung nach rechts nur einen ersten, wenn auch wichtigen, kleinen Gipfel dar. Am 29. August durchbrachen Coronaleugner*innen, Verschwörungsgläubige und Neonazis die Polizeigitter vor dem Reichstag und stürmten, wie im Vorfeld angekündigt, ohne Gegenwehr der Berliner Polizei symbolisch die Stufen zum Reichstagsgebäude. In den vordersten Reihen waren auch an diesem Tag viele Personen wiederzufinden, die schon bei den frühen Protesten am Rosa-Luxemburg-Platz dabei waren. Neben dem Neonazi-Youtuber Nikolai Nerling, erlangte vor allem der rechtsradikale Youtuber und OCG-Mitglied Matthäus Westfal („Aktivist Mann“) durch seine Rolle auf der Reichstagstreppe bundesweit mediale Aufmerksamkeit. Vorausgegangen war dem sogenannten „Sturm auf den Reichstag“ am 29. August die „Mahnwache für Heimat- und Weltfrieden“ bei der vor allem Personen aus dem Reichsbürgerspektrum um staatenlos.info, gemeinsam mit bekannten Neonazis und ehemaligen Teilnehmer*innen des Berliner Querdenken-Camps, mehrere Wochen mit einer großen, professionellen Bühne direkt vor dem Reichstagsgebäude eine extrem rechte, verschwörungsideologische Dauermahnwache veranstalteten.

Den vorläufigen Höhepunkt dieser Entwicklung der sogenannten Corona-Proteste von Querdenken hin zum Schulterschluss zwischen rechter Hooligan-Szene, Reichsbürger-Spektrum, Verschwörungsgläubigen und rechtsoffenen Corona-Wutbürgern bilden die massiven Ausschreitungen in Leipzig am 7. November 2020. Wie inzwischen zu jedem Querdenken-Großevent mobilisierte auch hier im Vorfeld das gesamte rechte und extrem rechte Spektrum von Parteien wie AfD und NPD über Identitäre bis zu Reichsbürgern und Neue Rechte. Gekommen waren dementsprechend auch erwartbar viele Neonazis und rechte Hooligans. Schon kurz nach Ende der Kundgebung durchbrachen die Teilnehmer*innen Polizeisperren und nahmen sich die Straße. Es kam zu Flaschenwürfen und Angriffen mit Pyrotechnik. Anwesende Journalist*innen wurden gejagt und teilweise vor laufenden Kameras zusammengeschlagen. Im Anschluss beeilten sich rechte Kanäle wie der von Martin Lejeune, der inzwischen zusammen mit der ehemaligen KDW-Pressesprecherin Anne Höhne bei fast jeder Querdenken-Demo als Youtube-Paar auftrat, die Geschichte zu verbreiten, Neonazis und Hooligans seien nicht Teil der Querdenken-Demonstration gewesen sondern hätten diese (wir erinnern uns an die „gekaperte“ Bühne) am späteren Abend erst „gekapert“ um die Auseinandersetzung mit der Polizei zu suchen.

Die Radikalisierung der Inhalte und Teilnehmer*innen der sogenannten Corona-Proteste von Querdenken bis KDW war im Laufe des gesamten Jahres und bleibt auch jetzt rasant. Inhaltlich sind die Maskenpflicht und die befürchteten Zwangsimpfungen, wahlweise mit oder ohne Microchips, schon lange nur noch ein kleiner Themenbereich. Qanon-Gläubige und klassische Reichsbürger teilen sich inzwischen oft, zumindest jenseits des offiziellen Bühnenprogramms, die inhaltliche Deutungshoheit mit altbekannten AfD-Parolen und neurechtem PEGIDA-Sprech. Im Stream des extrem rechten Internethetzers Oliver Flesch aus dem Backstage-Pavillon der Querdenken-Kundgebung aus Dortmund waren die Redebeiträge zu Corona-Maßnahmen meist nur noch im Hintergrund zu hören, während Flesch sich mit dem rechten Nachwuchs-Streamer Matthäus Westfal („Aktivist Mann“) über „muslimischen Bevölkerungsaustausch“, „offene Grenzen“ und „unkontrollierte Zuwanderung“ unterhielt. Rechte und Reichsbürger fordern und erhalten mehr und mehr thematischen Raum. Wer mit Neonazis demonstriert, wer die Infrastruktur von Rechten und praktisch ausschließlich rechte Medien, Youtube-Kanäle und Blogs nutzt, darf sich nicht wundern, wenn irgendwann rechte Erzählungen zum festen Teil und später zum Zentrum des transportierten Inhalts werden. Bei Querdenken war und ist diese Entwicklung von vorneherein teil des Programms.

Anne Frank, Sophie Scholl und Jana aus Kassel

Ein zentrales Thema auf den Querdenken Demonstrationen und den dort gezeigten Transparenten, Symbolen und Plakaten ist Antisemitismus und die Verharmlosung der Verbrechen des Nationalsozialismus. Würde man nicht wissen, dass die Überschrift der Veranstaltung die Corona-Maßnahmen seien, könnte man bei so mancher Querdenken Kundgebung den Eindruck bekommen es ginge ausschließlich um die Verharmlosung des Holocaust und des Nationalsozialismus. Fast zwanghaft wirkt es, dass Teilnehmerinnen wie Rednerinnen bei Querdenken Veranstaltungen praktisch keinen anderen Vergleich als den mit den ermordeten und verfolgten Juden oder den mit den Widerstandskämpferinnen gegen den deutschen Faschismus zu kennen scheinen. Darin zeigt sich zum einen der jeder Verschwörungserzählung innewohnende strukturelle Antisemitismus und dessen Folgen und Wirkung und zum anderen sicherlich der zu solchen Anlässen immer wieder hervorbrechende tiefe Wunsch der rassistischen und antisemitischen deutschen Mehrheitsgesellschaft, sich auf so perfide wie widerliche Art von der eigenen Schuld zu befreien und dafür an den Opfern zu rächen, indem man sich selbst öffentlich mit den Opfern gleichsetzt und sich so nochmals an ihnen vergeht. In zahlreichen Telegram-Gruppen von Querdenken wurde auch gerne und immer wieder der Vergleich der eigenen Demonstrationen mit der Black Lives Matter Bewegung und vor allem der Vergleich und die Gleichsetzung von Polizeigewalt gegen Demonstrantinnen nach aufgelösten Querdenken-Demos mit dem rassistischen Mord an George Floyd zelebriert. Dies relativiert rassistische Polizeigewalt und delegitimiert die BLM-Proteste.

Anselm, Michael und die verfassungsgebende Versammlung

Ein zweites auffälliges Element von Querdenken, KDW und den gesamten sogenannten Corona-Protesten ist die Vorstellung der Einberufung einer verfassungsgebenden Versammlung. Dieser zu Grunde liegt die zentrale Idee der Reichsbürger-Bewegung, das Deutsche Reich bestünde weiter fort, die BRD habe bisher keine Verfassung und das deutsche Volk müsse diese nun auf einer einberufenen Versammlung gemeinsam beschließen. Speziell Michael Ballweg spricht bereits sehr früh schon von einer solchen Versammlung und lässt damit deutlich erahnen, dass sowohl seine Ideenwelt, als auch seine zukünftige Planung einer weiteren Entwicklung der Querdenken-Bewegung, schon immer Teile der Reichsbürger-Ideologie enthielten. In seiner Rede in Berlin am 29. August 2020 rief Ballweg eine verfassungsgebende Versammlung aus, die vierzehn Tage in Berlin campen und an einem Ersatz für das Grundgesetz arbeiten sollte. Spätestens hier hätte klar sein müssen, in welche Richtung Ballweg mit seiner Bewegung steuert. Am 15. November lud Michael Ballweg schließlich führende Mitglieder von Querdenken zu einem bundesweiten geheimen Strategietreffen nach Saalfeld ein. Ca. 100 Personen, darunter Michael Ballweg, der Rechtsanwalt Markus Haintz und der Rechtsanwalt Ralf Ludwig, trafen sich dort im, zum selbsternannten „Königreichs Deutschland“ gehörenden, Restaurant „Hacienda Mexicana“. Ballweg stellte den anwesenden Querdenken-Aktivist*innen Peter Fitzek, einen bundesweit bekannten, vorbestraften Reichsbürger (König Peter der I. von Deutschland) als einzigen Redner des Abends vor. Ziel des Treffens war die Vernetzung von Querdenken mit dem „Königreich Deutschland“. Das Treffen wurde im späteren Verlauf des Abends von der eintreffenden Polizei beendet. Ballweg versucht sich seitdem, mehr schlecht als recht, gegenüber der Presse und Teilen seiner eigenen Bewegung dafür zu rechtfertigen. Der zusammen mit Anne Höhne ebenfalls zum Treffen geladene Martin Lejeune springt ihm bei, indem er noch auf der Rückfahrt ein Video postet, in welchem er das Treffen als (wir erinnern uns wieder an die „gekaperte“ Bühne und die „eingeschleusten“ Hooligans) hinterhältige Falle darstellt. Die unschuldigen Querdenker seien hereingelegt und „in eine Falle gelockt“ worden. Doch selbst Lejeune muss im Video eingestehen: „möglicherweise arbeiten einzelne Querdenken-Strukturen mit Reichsbürgern zusammen“. Bei Querdenken folgen Austritte und Abspaltungen. Auf den Kanälen von Lejeune und Höhne wird es nach dem Reichsbürger-Treffen merklich stiller.

Querdenken: Spendenmaschine, Veranstaltungs-Industrie und Reiseunternehmen

Was die KDW schon in ihren ersten Tagen verblüffend gut konnte, war das Eintreiben von Spendengeldern. Aktuell sammeln Anselm Lenz und Hendrik Sodenkamp 50.000 Euro über die Plattform Gofundme für die Gründung ihres neurechten Verlagshauses. Querdenken und die diversen Unterorganisationen der Bewegung wie der Zusammenschluss „Klagepaten“, der Busverband „Honk For Hope“, die Gruppe „Eltern stehen auf“, das Portal „Deutschland gegen Corona“, die inzwischen zu regelrechten Stars der Szene avancierten Moderatoren, Speaker, Autoren und Influencer von Nana Domena über Bodo Schiffmann und Samuel Eckert bis zum rassistischen Trommel-Trampel Stephan Bergmann haben nicht nur das fortwährende Klappern der Spendendosen auf jeder Veranstaltung etabliert, sie haben sich eine eigene Krisen-Industrie geschaffen. Ein sektenähnlicher Wanderzirkus, der mit zahllosen Bussen, Bühnen, Demonstrationen und Livestreams seit Beginn der Corona-Pandemie das Land durchkämmt und an der Wut und der Angst der Menschen sehr gut verdient. Netzpolitik.org schreibt dazu „Alleine der Querdenken-Erfinder Michael Ballweg soll im Frühjahr innerhalb weniger Tage 225.000 Euro eingesammelt haben. Wie viel Geld durch seinen Aktivismus bei ihm insgesamt eingegangen ist, dazu äußerte sich Ballweg auf Anfrage nicht“. Die Spenden verschwinden auf dubiosen Konten im europäischen Ausland. Neben den Spenden verdient ein Großteil der Querdenken-Industrie ihr Geld aber auch ganz offen an der phantasierten Revolution. Der Busverband „Honk For Hope“ unter dem Vorsitz von Alexander Ehrlich aus Wien organisiert nicht nur selbst fleißig verschwörungsideologische Querdenken-Demonstrationen, mit seinem Reiseunternehmen Kaden-Reisen verkauft Unternehmer Thomas Kaden aus Plauen bundesweit maskenfreie Busfahrten und Wochenend-Erlebnis-Trips zu allen Querdenken-Events des Landes. Kaden schrieb dabei schon zu Beginn der Proteste proaktiv Querdenken-Gruppen auf Telegram an und bot an, deren Demonstrationen mit Busfahrten zu unterstützen. Wenn die Mund-Nasen-Revolutionäre später ohne ihr gefälschtes Attest, mit Platzverweis und Verfahren am Hals nach Hause kommen, kümmern sich die Anwälte von „Klagepaten“ um Ralf Ludwig und Markus Haintz gegen einen kleinen oder größeren Obolus gerne mit Vordrucken um die Nachwehen des Wochenendes. Das bisher nur durch Youtube-Kanäle im Internet und Bücher in Kleinstverlagen lukrative Geschäft mit Verschwörungsmythen hat in der Corona-Pandemie eine eigene ganz reale Industrie hervorgebracht. Menschen wie Michael Ballweg, Bodo Schiffmann, Samuel Eckert, Markus Haintz, Ralf Ludwig, Alexander Ehrlich und Thomas Kaden leben von den auf Youtube und Telegram verbreiteten antisemitischen Verschwörungserzählungen um Corona, genauso wie von den völkischen Träumen eines neuen Deutschen Reiches und dem Hass der rechten Wutbürger und Hooligans.

Die Berliner Gruppe Querdenken30, ihr Umfeld und das Querdenken-Camp

Nach der Großdemonstration am 1. August 2020 bildete sich neben dem Kanzlerinnenamt ein wildes Protestcamp der Querdenken-Teilnehmerinnen. Im Camp vor Ort waren meist eine relativ feste Gruppe an Teilnehmerinnen. Gründer und selbsternannter Leiter der „Querdenken30 – Zentrale Außenstelle Berlin“ war Dirk Scheller aus Heilbronn, ehemaliges Mitglied der dortigen Querdenken Gruppe und, seit dem Verlust seines Arbeitsplatzes während seines Aufenthalts im Camp, „Vollzeitquerdenker“. Die Gruppe Querdenken30 gründete sich in Teilen auch um eine kleine Gruppe ehemaliger Teilnehmerinnen der antisemitischen Kundgebungen von Attila Hildmann, die dort regelmäßig mit den, später in der Bewegung sehr beliebten „Love Wins“ Fahnen auftraten. Eine der Hauptfiguren dieser Gruppe war die Berliner Erzieherin Michaela Hoffmann („Del O‘ Brennan“), die auf diversen Kundgebungen bereits für ihre Youtube Kanäle „Blackbird Media“ und „freie Presse“ filmte. Regelmäßige Redner im Camp waren, der als „Superman“ bekannt gewordene Kleindarsteller, A. Voyatzis („Kal El“) und der radikalchristliche Prediger Samuel Adam Alder. Ein tägliches Videotagebuch aus dem Querdenken-Camp lieferte der rechte Medienaktivist Martin Lejeune, der auch in seiner Rolle im Camp selten als Journalist agierte und häufig eher Teil der Crew des Camps war. Unrühmliche Bekanntheit im Berliner Querdenken-Camp erlangte vor allem die erfolglose Regisseurin und Schauspielerin Lydia Dykier, indem sie vor laufender Kamera mit Martin Lejeune ausgiebig über das Errichten eines Galgens und das Erhängen von Menschen witzelte. Lydia Dykier, die aus dem Umfeld der Volksbühnenbesetzung und der „Kommunikationsstelle Demokratischer Widerstand“ heraus, schon sehr früh Teil der Proteste am Rosa-Luxemburg-Platz war und dort unter anderem dadurch auffiel, dass sie vor der Gegenkundgebung einen Hitlergruß zeigte und „Heil Hitler“ schrie, taucht in Videos von Lejeune auch schon lange vor dem Camp auf, fordert für die KDW eine klare Führerstruktur und beschimpft wiederholt Anselm Lenz. Der Lebensgefährte von Dykier, Dominik Lenz, war ein weiterer Dauergast im Protestcamp, und äußerte sich vor der Kamera von Martin Lejeune positiv zum Neonazi Attila Hidmann. Dykier schließt sich im Anschluss an das Camp kurzzeitig dem Kreis um Rüdiger Hoffmann (staatenlos.info) an und zieht sich dann gänzlich darauf zurück, auf Youtube ehemalige Theaterkolleg*innen zu bedrohen.

Joana Wolf war wahrscheinlich das jüngste Mitglied im Berliner Querdenken-Camp. Die junge Berlinerin macht eine Ausbildung zur chemisch-biologisch-technischen Assistentin am Berliner Letteverein und trat vor ihrem Aufenthalt im Camp auch schon im Lustgarten auf Hildmann-Kundgebungen auf. Auch der Holocaustleugner Reza Begi und der Neonazi Eric Graziani waren regelmäßig im Querdenken-Camp. Reza Begi zog auch nach der Räumung des Camps am 14. August mit der Gruppe durch Berlin Mitte. Die „Kommunikationsstelle Demokratischer Widerstand“ belieferte das Protestcamp mit ihrer Zeitung und die damalige Pressesprecherin der KDW Anne Höhne war regelmäßig vor Ort. Anne Höhne berichtete zusammen mit Martin Lejeune später von der Räumung durch die Polizei. Lejeune, Höhne und andere Aktivisten saßen nach der Räumung mit dem Antisemiten Reza Begi in einem Cafe am Hauptbahnhof. Nach der Räumung des Querdenken-Camps wechselten viele Teilnehmerinnen in das Reichsbürger-Camp von staatenlos.info direkt vor dem Reichstag. Diese Dauerkundgebung bildete später einen wichtigen Ausgangspunkt für den sogenannten „Sturm auf den Reichstag“. Dirk Scheller versuchte im Spätsommer nochmals ein Querdenken-Camp in der Nähe des Kanzlerinnenamts zu etablieren. „Querdenken30 – Zentrale Außenstelle Berlin“ nutzte hierbei immer wieder Infrastruktur der Berliner Corona-Rebellen und der Neonazi-Gruppe „Patriotic Opposition Europe“ (POE). Aufgrund mangelnder Beteiligung und nach internen Streits, brach Scheller diesen neuen Versuch eines Camps jedoch am 14. Oktober ab. Neben POE und den Corona-Rebellen ist die Berliner Querdenken-Gruppe auch vernetzt mit den „Christen im Widerstand“ um Kirsten Herbold und den sogenannten „Friedensfahrzeugen“ um Silke und Christian Voglmann, sowie dem „Netzwerk Impfentscheid“ um Andrea Feuer. Kirsten Herbold meldete unter anderem die Querdenken Kundgebung am 25.10. auf dem Alexanderplatz an. Die Kundgebung vor dem KOSMOS am gleichen Tag wurde von Christian Stockmann angemeldet. Im Umfeld der Gruppe tummeln sich auch einige rechte Berliner Youtuber*innen wie der Kanal „Berlin Berlin TV“, der Kanal „Videocesar“, der von Steve Maninkin betrieben wird, oder Stefan Michels alias „Stefan Raven“. Seit Mitte des Jahres taucht auch regelmäßig der ehemalige Hanf-Aktivist Oliver Becker alias „James Blond“ bei Aktionen der „Freedom Parade“ und bei Kundgebungen aus dem Reichsbürger-Spektrum auf.

Die Berliner Querdenken30 Gruppe ist von Beginn an geprägt durch zahlreiche innere Konflikte zwischen einzelnen Teilen der Gruppe. Mitte November rebelliert ein Teil der Gruppe um den bisherigen Hauptverantwortlichen Volkmar Zimmermann gegen Ballweg, zum einen wegen des Treffens mit Peter Fitzek, zum anderen weil Querdenken711 versucht Volkmar Zimmermann die Führung der Querdenken30 zu entreißen und an seiner Stelle als Regional-Verantwortliche Monica Felgendreher und Christian Reuter einzusetzen. Ende November führen diese Konflikte dazu, dass durch Querdenken711 die Führungspersonen der Querdenken30 Gruppe ausgetauscht werden. Auch der Entzug von Adminrechten in den Telegram-Gruppen von Querdenken30 und der eng verflochtenen „Freedom Parade“ um den als Captain Future auftretenden DJ Michael Bründel sorgen nochmals für innere Grabenkämpfe. Am 10. Dezember stellt Ballweg die Leitung von Querdenken30 vor und übergibt die Organisation der Proteste zu Silvester an das vierköpfige Team.

Teil 2 – Rechte Medienakteure der sogenannten Corona-Proteste

Stefan Bauer „Die Aufklärer“ / „Stupor Media“

Der selbsternannte Journalist, und Mitglied des Vorstandes der AfD Rosenheim Stefan Bauer tut sich schon lange bei Youtube mit Videos zu rechten Demonstrationen hervor, bei denen er meist unter dem Vorwand als Journalist Interviews führen zu wollen, Menschen aus dem Gegenprotest oder Journalist*innen bedrängt und beleidigt. Bauers Masche ist bei rechten Youtube-Formaten so alt wie wirksam. Die Polizei lässt rechte Youtuber*innen mit meist selbstgebastelten Presseausweisen dabei häufig gewähren. Mit dem Beginn der ersten Hygiene-Demos der KDW auf dem Rosa-Luxemburg-Platz beginnt auch Stefan Bauer, die Proteste mit Livestreams zu begleiten. Als Mitte des Jahres der rechtsradikale Verschwörungsideologe Attila Hildmann mit einem wöchentlichen Autokorso und anschließender Kundgebung im Berliner Lustgarten zu den sogenannten Corona-Protesten stößt, wird Bauer eng in Hildmanns Aktionen eingebunden. Oft fährt der angebliche Journalist an der Spitze des Korsos mit und begleitet den Neonazi vor und nach seinen Auftritten. Ungefähr zeitgleich beginnt Bauer damit, mit einem größeren Team von Youtuber*innen aus verschiedenen Städten die Proteste zu begleiten. Mit technisch aufwändigen Schalten aus einem Studio wird von verschiedenen Demonstrationen und Aktionen berichtet. Neben dem als „Last Man Standing“ bekannt gewordenen „Tino“ filmt in Bauers Team auch regelmäßig die rechte Youtuberin Juni Malsiner („Ehrenfrau TV“) aus Hamburg.

Matthäus Westfal „Aktivist Mann“

Der Youtube-Kanal „Aktivist Mann“ hinter dem sich der IT-Systemkaufmann Matthäus Westfal aus Hüllhorst (Kreis Minden-Lübbecke) verbirgt, bot ähnlich wie Stefan Bauer und Carolin Matthie schon zu Beginn der sogenannten Hygiene-Demos auf Youtube Livestreams und Berichte von den Protesten in Berlin Mitte. Mit dem sogenannten „Sturm auf den Reichstag“, bei dem Westfal zusammen mit Nikolai Nerling in vorderster Reihe stand, erlangte er in der Szene endgültig breite Bekanntheit. Westfal ist seit Jahren aktives Mitglied der Sekte Organische Christus-Generation (OCG) um Ivo Sasek. Der in manchen Videos etwas tapsig und unbeholfen wirkende Westfal hat ein völkisches und offen rassistisches Weltbild. Im Juli 2020 erklärt Westfal als Redner bei einer Kundgebung von Nikolai Nerling: „Ich bin dagegen, sich überall kulturell zu vermischen, Multikulti und so das gehört sich nicht, damit wir die Kulturen am Leben erhalten! (…) Für die Vielfalt der Menschenrassen!“. Seit 2015 nimmt er regelmäßig an Veranstaltungen der AfD teil, im März 2019 interviewte er Alice Weidel. Am 9. November 2019 nimmt Westfal an einer Demonstration für die Holocaustleugnerin Ursula Haverbeck in Bielefeld teil. Westfal ist inzwischen im rechtsradikalen und verschwörungsideologischen Umfeld gut vernetzt. Am 8. Dezember 2020 gibt ihm Xavier Naidoo ein Exklusiv-Interview.

Nikolai Nerling „Der Volkslehrer“

Einer der bekanntesten rechten YouTube Akteure ist Nikolai Nerling. Nerling veröffentlichte auf seinem inzwischen gelöschten YouTube Kanal „Der Volkslehrer“ Videos mit antisemitischen, rassistischen und verschwörungsideologischen Positionen. Über verschiedene weitere Kanäle in den sozialen Medien (Bitchute, Telegram) verbreitet er nationalsozialistische Inhalte bis hin zur Holocaustleugung und diversen Verschwörungstheorien. Nerling besuchte regelmäßig die Hygiene-Demos auf dem Rosa-Luxemburg-Platz und später zahlreiche Querdenken Demonstrationen.

Billy Six

Ein weiterer Akteur im Rahmen der frühen „Hygiene-Demos“ ist Billy Six. Six ist Journalist und rechter Aktivist. Ab 2011 war Six als Journalist für die rechtskonservative Wochenzeitung „Junge Freiheit“ sowie für JF-TV tätig. Er schrieb auch für die Esoterikzeitschrift „Raum und Zeit“ und für die „Preußische Allgemeine“. Er bereiste als JF-Journalist Kriegs- und Konfliktgebiete in Ägypten, Libyen, Libanon, Südafrika und der Ukraine. Six war bis 2014 für den russischen Sender „Russia Today“ tätig. Er hat mittlerweile 4.000 Videos produziert und betreibt einen YouTube Channel mit 20.000 Abonnent*innen.
Für die Junge Freiheit moderierte Billy Six die rassistische Dokumentation „Die Flüchtlingslüge“. Im Rahmen eines Videobeitrages, welcher die Situation der Berliner Untersuchungsstellen für Coronavirus-Verdachtsfälle darstellen sollte, filmte Billy Six angeblich eine entsprechende Einrichtung. Six behauptet in dem rund 46-minütigen Video, sich in der augenscheinlich menschenleeren Berliner Charité-Untersuchungsstelle für Coronavirus-Verdachtsfälle zu befinden. Im Nachhinein stellte sich heraus, dass Six und sein Team am Campus des Virchow-Klinikums filmten, welcher nicht als Untersuchungsstelle für Covid-19 Verdachtsfälle fungiert. Six besuchte mehrfach die Hygiene-Demos, um dort zu filmen und Interviews zu führen.

Compact Magazin

Das „Compact-Magazin“ ist eine monatlich erscheinende Zeitschrift mit einer rechtspopulistischen Orientierung, sowie einer Neigung zu verschwörungstheoretischen Inhalten. Chefredakteur ist Jürgen Elsässer, Chef vom Dienst ist Martin Müller-Mertens mit Redakteur Daniell Pföhringer. Zu den Autor*innen zählen unter anderen Jan von Flocken, Eva Hermann, Wolfgang Wodarg, Federico Bischoff, Paul Klemm und Helmut Röwer. Seit 2015 präsentiert sich „Compact“ als Sprachrohr der rechtspopulistischen Partei Alternative für Deutschland (AfD) und der islamfeindlichen Pegida-Bewegung. Titelblätter von „Compact“ werden häufig bei Kundgebungen von Pegida als Plakate gezeigt. Das „Compact-Magazin TV“-Team war mehrmals auf den Berliner Hygiene-Demos zugegen. Die Kameraführung übernahm in der Regel Martin Müller-Mertens. Auf allen großen Querdenken Demonstrationen wird das Compact Magazin verteilt.

Carolin Matthie

Carolin Matthie ist AfD Mitglied und rechte YouTube Aktivistin. Des weiteren ist sie Mitglied in der „German Rifle Association“ und macht sich dort stark für die Liberalisierung der Waffengesetze in der BRD. In ihren, meist in ihrer Studentenwohnung gefilmten, Daily Vlogs verbreitet Matthie alles was die tagesaktuelle AfD-Internet-Bubble gerade hergibt. COVID-19 bezeichnete Matthie von Beginn an in ihren Videos als „Zombie-Apokalypse“. Carolin Matthie streamte live von zahlreichen Hygiene-Demos.

Ken Jebsen (KenFM)

Ken Jebsen (Moustafa Kashefi) ist das Pseudonym eines deutsch-iranischen Fernseh- und Radiomoderators, der seit 2011 als freischaffender Reporter und Blogger tätig ist. Deutschlandweit bekannt wurde Jebsen 2011 durch seine Entlassung beim RBB, nachdem er verschwörungstheoretische Positionen vertreten hatte, und der Vorwurf des Antisemitismus gegen ihn erhoben wurde. Jebsen ist Betreiber des Youtube-Kanals „KenFM“, wo er regelmäßig seine Verschwörungsideologien verbreitet. Ken Jebsen schrieb auch für das „Compact Magazin“, bis es im Jahre 2014 zum Bruch mit Jürgen Elsässer kam. Im Januar 2015 versuchte Jebsen glaubhaft zu machen, dass der von Islamisten verübte Anschlag auf die Redaktion der Pariser Satirezeitschrift “Charlie Hebdo”, sowie eine Geiselnahme und der Mord an Kunden eines jüdischen Supermarkts in Paris, in Wirklichkeit inszenierte Verbrechen westlicher und israelischer Geheimdienste seien: “Würde man uns nach unserer persönlichen Einschätzung befragen, würden wir ohne mit der Wimper zu zucken auf ein Joint-Venture, sprich ein Gemeinschaftsunternehmen, von CIA und Mossad tippen. Dabei spielt es schlussendlich keine Rolle ob sich unter den Attentätern amerikanische und israelische Geheimagenten oder einige beauftragte ISIS Terroristen befanden. Al-Qaida wurde von den USA erfunden, ausgebildet und finanziert“.
Ken Jebsen, Gründer des Youtube-Kanals „KenFM“, macht aus den Sicherheitsmaßnahmen der Regierung ein „Gehorsamsexperiment“ und sieht in den Notfallmaßnahmen Ähnlichkeiten zur Machtergreifung: „Wie hat das damals angefangen, als die Nachbarn plötzlich weniger wurden?“ fragt Jebsen und gibt sich selbst die Antwort: „Es hat sich angefühlt wie jetzt.“ Allerdings sei in der Nazizeit und in den Bombennächten nie eine „Ausgangssperre“ verhängt worden, raunt Jebsen in die Kamera. „Wenn Erich Honecker es gewollt hätte, dass die Mauer länger stehen bleibt, dann hätte er das mit der Corona haben müssen“, sagt er weiter. Der Videoclip erhielt bisher über 760.000 Klicks. Auch diesen Auftritt beginnt Jebsen mit der typischen Widerstandserzählung, die die Echokammer der alternativen Medien so stark macht. „Es ist jetzt in Deutschland wahnsinnig gefährlich etwas zu sagen, was von der Mainstream-Meinung abweicht. Es war schon vorher gefährlich“. Jebsen sieht sich selber zwar nicht als AfD-nah, seine Angriffe gegen die Medien öffneten aber bisher den für die AfD wichtigen Echoraum. Speziell zu Beginn der sogenannten Hygiene-Demos und in den Anfängen der KDW um Anselm Lenz spielte Ken Jebsen eine wichtige Rolle für die Bewegung.

Rubikon News

Ein Beispiel dafür wie Querfront laufen kann, bietet die Nachrichtenseite Rubikon News. Dort erscheinen seit 2017 Texte “für die kritische Masse”. Viele davon gut recherchiert, mit legitimen Kritikpunkten am Zeitgeschehen. Gleichzeitig ist die Seite auch weniger seriösen Inhalten nicht immer abgeneigt. Mehrere Artikel von „Rubikon“ gehen auf die COVID-19 Pandemie ein. Seit April 2020 beherrscht dieses Thema fast völlig die Artikel von „Rubikon“. Insbesondere wurde versucht, Maßnahmen der Bundesregierung zur Eindämmung der Pandemie in Frage zu stellen. Artikel von „Rubikon“ wurden wiederum häufig von Coronaleugner*innen sowie Kritiker*innen und Gegner*innen staatlicher Maßnahmen, zitiert. Dazu gehört beispielsweise die “Kommunikationsstelle Demokratischer Widerstand”, die zu nicht angemeldeten “Hygiene-Demonstrationen” aufrief. Zu diesen Versammlungen erschienen zahlreiche Vertreter der so genannten politischen “Querfront”, Nationalsozialisten wie Nikolai Nerling, NPD- und AfD-Politiker und Vertreter des so genannten “alternativen Mainstreams”, wie das Compact Magazin. Hygienedemo-Mitgründer Anselm Lenz veröffentlicht bei „Rubikon“ von Anfang an seine Thesen. Herausgegeben wird „Rubikon“ von der im Handelsregister eingetragenen “Initiative zur Demokratisierung der Meinungsbildung GmbH” in Mainz, als deren Geschäftsführer Jens Wernicke fungiert, der zugleich auch Redaktionsmitglied und Autor ist. Wernicke war zuvor Mitarbeiter von Daniele Ganser sowie dem Blog „NachDenkSeiten“, schrieb in der Vergangenheit für „NEOPresse“ und wurde beispielsweise auch vom „KenFM“ Blog interviewt.
Mitglieder der Redaktion von „Rubikon News“ sind (Stand Dezember 2017) Jens Wernicke, Roland Rottenfußer und Florian Ernst Kirner (Prinz Chaos II). Rottenfußer ist stellvertretender Chefredakteur von „Rubikon News“.

Eingeschenkt.tv

„Eingeschenkt.tv“ ist ein Internetportal aus Chemnitz mit rechtspopulistischen und verschwörungsideologischen Inhalten. Zu den Mitgliedern des Teams gehören Thomas Schenk, der Heilpraktiker Marco Helmert (alias Prof. Falkenstein), Max Bachmann, Robert Kirchner, Alex Quint, Tanzlehrer Sascha Vrecar und Alex Beyer. Teammitglied Max Bachmann verdingt sich neben seiner Tätigkeit bei „Eingeschenkt.tv“ als „unabhängiger Journalist“. In Hamburg wurde er zusammen mit Lauren Southern, Luke Rudkowsky und Tim Pool als Beobachter einer Anti-G20 Demonstration 2017 gesehen. Southern gilt als Unterstützerin der rechtskonservativen Alt-Right Bewegung und zeigte sich in Hamburg mit einem T-Shirt der Identitären Bewegung. In der Folge wurde Bachmann für einen Sympathisanten der Identitären gehalten und von Demonstrationsteilnehmer*innen angegriffen. Max Bachmann gehört zu den Beobachtern von Bilderberger-Treffen. Er gehört außerdem zur „Endgame“-Gruppe aus Halle. Endgame steht für „Engagierte Demokraten gegen die Amerikanisierung Europas“. Max Bachmann machte auf einer „Merkel muss weg“- Demonstration Selfies mit Teilnehmern und ist für „Eingeschenkt.tv“ als Kameramann aktiv. Im April 2020, zum Zeitpunkt der COVID-19 Pandemie durch das Coronavirus SARS-2 CoV-2 war der Impfgegner und Homöopath Rolf Kron zu einem Interview geladen. „Eingeschenkt.tv“ verbreitete seine Außenseiter-Ansichten im Video „Corona Virus – Hat der Wahnsinn System?“. Verharmlosend bezeichnet er das Virus als „harmlosen Schnupfenerreger, der im Einzelfall auch mal schwerer verlaufen kann“. Spätestens Ende März sei das Coronavirus kein Thema mehr. Die Pandemie sei in Wirklichkeit eine “Erfindung einer Seuche”. Das Coronavirus (CoV-2) sei erfunden worden, um den Pharmafirmen zu nutzen. Er behauptet auch dass die Erkrankungszahlen und Todesfälle auf eine völlig normale Grippe hindeuten. Des Weiteren sei der Verlauf von Viruserkrankungen immer gleich, was nachweislich falsch ist. Zum Ende des Interviews behauptet er, dass die Einnahme von Vitamin D 800 mehr vor Grippe schütze als eine Impfung. Für diese Behauptung gibt es keine Belege. Auf mögliche unerwünschte Nebenwirkungen von Vitamin D geht Kron nicht ein. Das „Eingeschenkt.tv“ Team besuchte praktisch jede „Hygiene-Demo“. Den Interview Part vor Ort übernimmt in der Regel Sascha Vrecar. Max Bachmann übernimmt im Eingeschenkt Team die Kameraführung, während der Produzent und Mitbegründer von „Eingeschenkt.tv“ den Tontechnik Part bespielt.

Heiko Schrang: SchrangTV

Heiko Schrang ist ein deutscher Autor, ehemaliger Immobilienhändler und Verschwörungsideologe aus Berlin. Der Welterklärer Schrang betreibt einen eigenen Newsletter-Versand und publiziert bei „MMNews“ von Michael Mross, „wallstreet-online.de“, „goldseiten.de“, „Hartgeld.com“, „Extremnews“ und „Epoch Times“. Schrang schrieb mehrere Bücher mit esoterischen und verschwörungsideologischen Inhalten (Klimadiktatur, Kulturmarxismus). Er betreibt auch einen Videokanal “Schrang TV”. Schrang hat u.a. den Neonazi Atilla Hildmann in seine Sendung „Schrang-TV“-Talk eingeladen. Dort tauschten Schrang und Hildmann ihr verschwörungsideologisches „Hintergrundwissen“ aus. Seit einigen Jahren ist Heiko Schrang, Referent zu Bilderberger-Treffen und angelehnten Verschwörungserzählungen. Schrang ist Anti-GEZ Aktivist und hat ein Buch zu diesem Themenfeld geschrieben (Die GEZ Lüge). 2019 veröffentlichte Schrang in seinem hauseigenen Verlag „Macht-steuert-Wissen“, das erste Buch des rechtspopulistischen Youtube-Aktivisten Niklas Lotz, alias Neverforgetniki („Mein Weckruf für Deutschland“). Auch die CDU-Politikerin Vera Lengsfeld war zu Gast in seiner WEB-TV-Sendung. Schrang und Lengsfeld sind Mitautoren des rechtspopulistischen Sammelbandes „Wir sind noch mehr: Deutschland in Aufruhr“, welcher von dem anonymen Verschwörungsideologen Hanno Vollenweider herausgegeben wurde. Hanno Vollenweiders Name findet sich auch im Impressum der AfD-nahen Gratiszeitung “Der Wahlhelfer – Argumente für mündige Bürger”. Vollenweider hat zusammen mit dem bekannten Verschwörungsideologen Jan Udo Holey alias Jan van Helsing (Geheimgesellschaften und ihre Macht im 20 Jahrhundert) das Buch „Bankster: Wohin Milch und Honig fließen“ geschrieben. Seine Sympathie für Überzeugungen aus der Reichsbürgerbewegung werden in seinem Artikel “SEK knallt Reichsbürger ab” erkennbar, der im „MMNews“-Blog erschien. Er berichtet dabei über den mit einer Pistole bewaffneten Reichsbürger Adrian Ursache, der sich auf eine Schießerei mit der Polizei einließ, um eine Zwangsenteignung seines Hauses zu verhindern.

MMnews.de Michael Mross

Michael Mross besuchte mit seinem Team fast jede „Hygiene-Demo“. Von 1984 bis 1991 war Mross Filmautor und TV-Dokumentarist beim WDR. Ab 1991 arbeitete er als Moderator beim RTL-Wirtschaftsmagazin „Geldmarkt“, danach moderierte er von 1993 bis 2000 die Telebörse bei „n-tv“. 2003 wechselte er zu „n24“ und moderierte dort die Börse bis 2008, parallel dazu arbeitete er bei „CNBC“ als Moderator bis 2010. Seit 2008 betreibt er das Internet-Portal „mmnews.de“. Im Rahmen von „mmnews.de“ propagiert er diverse Freigeld und Null-Zins Theorien, welche sich im weitesten Sinne an Silvio Gesell und Gottfried Feder orientieren. Mross ist ebenfalls als Vortragsredner tätig. So trat Mross im August 2010 als Vortragender auf dem Festival “kritische Masse” in Berlin auf, zusammen mit einem „Infonetzwerk Berlin”, „Radio NWO“, Daniel Neun vom „Truther Radio Utopie” und Jens Blecker von „Infokriegernews“. Michael Mross fungiert als Chefredakteur von „mmnews“. Weitere Redakteure sind Thorsten Wagner (Wirtschaft), Lars Rauch (Gold, Rohstoffe), Artur P. Schmidt (Börse), David Pabst (Politik) und der Lebenspartner von Eva Herman Andreas Popp. Popp fiel in der Vergangenheit durch rechtsgerichtete Ansichten und ein Faible für fragwürdige Pseudomediziner auf. Popp war zeitweise häufig in Fernsehinterviews zu Wirtschaftsfragen zu sehen, z.B. auf „n-tv“. Er trat jedoch auch in zwielichtigen Projekten wie „Bewusst.TV“ von Jo Conrad, „Infokriegernews” oder der so genannten Antizensurkonferenz (AZK) des Schweizer Sektengründers Ivo Sasek auf. Häufige Autoren des Projektes „mmnews.de“ sind neben Mross: Norbert Knobloch, Walter K. Eichelburg und Hans-Jörg Müllenmeister, weitere Artikel stammen beispielsweise von Heiko Schrang, Hans-Günter Appel, Rebecca Bellano, Rolf Ehlers, Norman Hanert, Klaus Peter Krause, Gert Luchtengart, Andreas Männicke, Andreas Popp, Frank Schäffler, Hans-Werner Sinn sowie von André F. Lichtschlag, dem Herausgeber der Zeitschrift „Eigentümlich Frei”. Die meisten Artikel sind jedoch namentlich nicht gekennzeichnet.

Attila Hildmann

Attila Hildmann ist Autor mehrerer veganer Kochbücher und betreibt einen Imbiss in Berlin-Charlottenburg. Er wurde erstmals im April 2020 mit verschwörungsideologischen Inhalten auffällig. Die Kanäle, über die er seine Inhalte verbreitet, sind hauptsächlich der Chat-Messenger Telegram und das Videoportal Youtube. Am 6. Mai 2020 rief er zu einer unangemeldeten Demonstration gegen die Corona-Beschränkungen vor dem Bundestag auf, an der sich ca. 400 Menschen beteiligten. Während der Versammlung wurde ein Kamera-Team angegriffen.
Hildmanns Imbiss musste, wie alle Gastronomiebetriebe, vorübergehend schließen, was für Hildmann ein Anstoß war über Telegram seine abstrusen Theorien zu verbreiten. Dort schrieb er „in den Untergrund“ gehen zu wollen. „Sie“ würden versuchen ihn zu ermorden aber er nähme “noch ein paar von ihnen mit und werde sterben wie ein Samurai im Krieg”. Hildmann glaubt, dass von „bösen, geheimen Kräften“ eine neue Weltordnung installiert werden soll. Am 15. Mai sollte eine Machtübernahme stattfinden und er der neue Staatschef werden. Das von ihm genannte Datum verstrich jedoch ereignislos und er stand mit einer kleinen Menschenmenge alleine vor dem Bundestag. In seinen oft abstrus klingenden Nachrichten bedient er sich regelmäßig antisemitischer Verschwörungserzählungen, lebt Gewaltphantasien aus (schreibt wiederholt von Steinigungen und Konzentrationslagern für politische Gegner*innen), behauptet der Virus wurde von der chinesischen Regierung „bestellt“, um die Hongkonger Proteste zu unterbinden und verbreitet Inhalte zahlreicher rechter und extrem rechter Gruppierungen, wie der Identitären Bewegung und dem III.Weg. Er behauptet, Atemschutzmasken seien das „neue Hakenkreuz“, womit er den Nationalsozialismus relativiert. Er glaubt nach eigenen Angaben an Aliens und Chemtrails und fühlt sich bedroht von Geheimdiensten. Hildmann gibt an, sich bis vor kurzem noch nicht für Politik interessiert zu haben, „aufgeweckt“ habe ihn „Russia Today“. Interviews gab er unter anderem Heiko Schrang von „Schrang-TV“. Er wirkt in seiner Weltsicht sprunghaft und oft ideologisch nicht gefestigt, sorgt durch seinen Onlineauftritt und durch die von ihm angemeldeten Kundgebungen aber für eine starke Weiterverbreitung antisemitischer, verschwörungsideologischer und nationalsozialistischer Inhalte.
Auf seinem Telegram Kanal schrieb Attila Hildmann Ende Juni 2020 „Über Hitler kann man gerne streiten und da hat jeder seine Meinung. Ich kann nur sagen, dass ich die einseitige Berichterstattung zur deutschen Geschichte niemals teilen werde” und “Adolf Hitler war ein Segen für Deutschland im Vergleich zu Merkel dieser Kommunistin”. Später gab er in diversen Postings den Juden die Schuld am Holocaust und schrieb “Ich wiederhole: Sie wollen die deutsche Rasse und Deutschland endgültig auslöschen (…). Sie führen einen Angriffskrieg gegen uns, mal wieder!”
Zu seinen aktiven Unterstützer*innen gehören vor allem der DJ und Produzent “Massimo Sex D’Electro” und dessen Partnerin, die Instagram-Influencerin Sara Adrian. Adrian hat auf Instagram 965.000 Follower, teilt auf Facebook Links zu KenFM und Aufrufe zu den Demonstrationen Hildmanns. Beide waren während Hildmanns Reden am Lustgarten oft mit Megaphon bzw. Handycam direkt neben Hildmann zu finden. Im Laufe des Jahres radikalisierte sich Hildmann weiter und veröffentlichte fast täglich Drohungen gegen Politiker*innen und Personen des öffentlichen Lebens. Am 17. November 2020 kam es bei Hildmann zu einer Hausdurchsuchung bei der Laptops und Handys konfisziert wurden. Auf seinem Telegram Kanal verbreitet der Neonazi weiterhin antisemitische Verschwörungsmythen und verherrlicht die Wehrmacht und den Nationalsozialismus. Im Dezember 2020 warb Hildmann auf seinem Telegram-Kanal für die Neonazipartei III. Weg.

„Widerstand 2020“ und „Corona-Info-Tour“ – Bodo Schiffmann, Ralf Ludwig und Samuel Eckert

„Widerstand 2020“ ist eine im April 2020 entstandene Parteigründungsinitiative, die sich gegen die staatlichen Maßnahmen zur Eindämmung der CoVid-19 Pandemie richtet. Die noch verbliebenen beiden Gründungsmitglieder sind der Anwalt Ralf Ludwig und der HNO-Arzt Bodo Schiffmann. Schiffmann ist Erfinder der sogenannten „Querdenkerkugeln“, d.h. zusammengeknüllter Aluminiumfolie, die am Körper getragen, mittlerweile in verschwörungsideologischen, „Anti-Lockdown“ Kreisen als Erkennungszeichen gelten. Bodo Schiffmann arbeitet in einer Privatpraxis, mit der er sich auf Schwindel- und Gleichgewichtsstörungen spezialisiert hat. Auf dem Youtube-Kanal dieser Praxis veröffentlicht er seit mehreren Jahren Videos zum Thema „Schwindel“. Im Zuge der Covid-19 Pandemie fing er an Videos zum Corona-Virus zu veröffentlichen. Schiffmann verharmlost in seinen Videos die Gefahr des Virus. Er argumentiert mit aus dem Kontext gerissenen Quellen und verweist auf Fake-News Portale wie „Swiss Propaganda Research“. Die Infektionsschutzmaßnahmen vergleicht er in seinen Videos in ihrer historischen Bedeutung mit dem Reichsermächtigungsgesetz, welches 1933 die Gewaltenteilung aufhob und den Grundstein für die nationalsozialistische Diktatur unter Hitler legte. Auf dem Kanal finden sich Interviews mit „Nuoviso“ & „Rubikon“, sowie Beiträge von Peter Herrmann (Betreiber des rechts-esoterischen Andromeda Buchversands), Ken Jebsen und weiteren Akteur*innen dieses Spektrums. Durch die Veröffentlichung über den Youtube-Kanal seiner Privatpraxis entsteht leicht der Eindruck, es handle sich hierbei um fachliche Informationen.
Widerstand 2020 geht davon aus, dass durch den „Lockdown“ der Wille des Volkes unterdrückt werde und der „Volkswille“ eine neue Stimme benötige. Dazu soll ein Notstandsparlament etabliert werden. Auf der Homepage von Widerstand 2020 wird zu verschwörungsideologischen Seiten wie „KenFM“, „NEOPresse“ und „Swiss Propaganda Research“, sowie der Reichsbürgergruppe „Freiheit für Deutschland“ verlinkt. Der Parteigründungsinitiative traten mehrere ehemalige AfD-Politiker bei. Positiv erwähnt wurde Widerstand 2020 von einer ganzen Reihe verschwörungsideologischer Medien, unter anderem von „KenFM“, „Nuoviso“, „Rubikon“, „Raum und Zeit“, „Gloria TV“, „News Front“ und „Blauer Bote“. Nach nur 54 Tagen löste sich „Widerstand 2020“ wegen Streits unter den Gründungsmitgliedern auf. Ralf Ludwig kümmerte sich um den Aufbau der „Klagepaten“. Bodo Schiffmann gründete die Partei „Wir2020“ und startete später zusammen mit Samuel Eckert die Bustour mit Kundgebungen „Corona-Info-Tour“ durch ganz Deutschland, die täglich auf Youtube mitverfolgt werden konnte. Ab September 2020 häuften sich Recherchen zu den dubiosen Auslandskonten und Spendentricks um „Klagepaten“, Querdenken und die Kampagne „Das Volk gegen Corona“.

Martin Lejeune

Martin Lejeune ist ein ehemaliger Journalist, der seine Meinungen hauptsächlich über das Internet – insbesondere das Videoportal Youtube und den Kurznachrichtendienst Twitter – verbreitet. Lejeune war Redner und Teilnehmer auf Al-Quds-Demos in Berlin und London. Der Al-Quds Tag wurde 1979 vom iranischen Revolutionsführer Ajatollah Chomeini eingeführt und richtet sich gegen die israelische Herrschaft über Jerusalem. Seit 1996 findet die Al-Quds-Demonstration auch in Berlin statt. Dort kommt es immer wieder zu antisemitischen Äußerungen. Das Spektrum der Teilnehmenden ist weit und reicht bis zu Fundamentalistinnen, arabisch und türkischstämmigen Nationalistinnen, deutschen Faschist_innen (zB. NPD) und rechten Verschwörungsgläubigen (zB. Deutsche Mitte). Lejeune selbst ist bereits durch antisemitische Äußerungen aufgefallen. Er bezweifelte in einem, mittlerweile gelöschten, Video die Shoah. Lejeune unterhält engen Kontakt zum salafistischen Verein „Ansaar International“, den er als „Reporter“ begleitete und bei dessen Veranstaltungen er bereits als Redner auftrat. Die Arbeit von „Ansaar International“ verteidigte er in Beiträgen auf Facebook. Lejeune ist Erdogan- und AKP-Anhänger. Er bezeichnete Erdogan als „Menschen des Jahres 2016“, arbeitete kurzzeitig für die Erdogan-nahe Zeitung „Sabah“ und trat 2016 für das Erdogan-nahe „Bündnis für Innovation und Gerechtigkeit (BIG)“ im Wahlkreis Neukölln 3 an, wo er ganze 73 Stimmen erhielt. Berühmt wurde Lejeune durch ein Video 2017, in dem zu sehen ist wie er beim Berliner Halbmarathon mit einem Erdogan Porträt und Äußerungen für „den Demokratie-Retter Erdogan“ Läufer*innen, die mit ihren T-Shirts Solidarität mit dem zu der Zeit in der Türkei inhaftierten Deniz Yücel zeigten, provoziert und sich nach einer Schelle theatralisch inszeniert.
Ende 2017 wurde ihm der Negativ-Preis „Goldener Aluhut“ verliehen. Zur Preisverleihung kam er persönlich und bekräftigte seinen Glauben an diverse Verschwörungsideologien.

Im Zuge der sogenannten „Hygiene-Demos“ entwickelte sich Lejeune schnell zum Haus- und Hofreporter der Bewegung. Ab Sommer 2020 veröffentlichte Lejeune seine Videos zusammen mit der ehemaligen KDW-Sprecherin Anne Höhne auf den Youtube-Kanälen „Martin und Anni“ und „Anni und Martin“. Seine Rolle als Berichterstatter hält Lejeune dabei nur selten aufrecht und kann gegenüber der KDW und Querdenken eher als begeisterter Anhänger bezeichnet werden. Lejeune nimmt zusammen mit Anne Höhne am 15. November am internen Querdenken-Treffen mit Peter Fitzek in Saalfeld teil.

NuoViso.TV

„NuoViso.TV“ veröffentlicht Videos auf Youtube und 3speak. Des Weiteren werden Produkte, wie beispielsweise DVDs, verkauft. Herausgeber ist die Firma „Frank Höfer, Steffen Höfer, Michael Swoboda GbR – Nuoviso“. Im Impressum wird Frank Höfer genannt. „NuoViso.TV“ fällt immer wieder durch die Verbreitung leicht zu erkennender Fake-News auf, beispielsweise zum Mord an Daniel H. in Chemnitz, 2018. Thematische Schwerpunkte „NuoVisos“ sind Verschwörungsideologien, Esoterik und Rechtspopulismus. In den Videos geht es um Kornkreise, Verschwörungserzählungen rund um den 11. September, die Freimaurer, Illuminati oder die „Klima-Lüge“. Interviewpartner*innen sind unter anderem Eva Herrmann, Christoph Hörstel („Deutsche Mitte“), Gerhard Wisnewski (Verschwörungsideologe), Andreas Goebel („veganer Germane“ / rechter Verschwörungsideologe) und Tilman Knechtel (Compact-Magazin). In Beiträgen werden die Positionen des Shoah-Leugners Nikolai Nerling verharmlost oder befürwortet. Mit Impfgegner Hans Tolzin wurde der Film „Akte Ebola ungelöst“ gedreht, indem die Existenz des Ebola-Virus geleugnet wird, und die Todesfälle in einer wirren Argumentation „westlichen Medikamenten“ zugeschrieben werden. Mitarbeiter*innen sind u.a. Julia Szarvasy, Frank Stoner, Michael Oettel, Götz Wittneben, Lars Fischinger, Norbert Fleischer und Kati Pfau. Julia Szwarzy war als Reporterin bei den „Hygiene-Demos“ unterwegs und interviewte Ken Jebsen und Bodo Schiffmann im „Nuoviso Talk“. Ken Jebsen wirbt auf seinem Kanal dafür „Nuoviso“ zu unterstützen.
Verweise auf „Nuoviso“ finden sich u.a. bei dem 2016 verbotenen „Altermedia“, „European New Resistance“, „Recentr“ und „muslim-markt.de“.

Thomas Grabinger „Digitaler Chronist“

Thomas Grabinger berichtet als „Digitaler Chronist“ auf den Videoportalen Youtube und Bitchute (eine von rechten Blogger*innen gerne genutzte Alternative zu Youtube) regelmäßig über die „Hygienedemos“. Auf dem Kanal werden außerdem Interviews mit dem verschwörungsideologischen Sänger Xavier Naidoo, Stephan Protschka (AfD-Bundestagsabgeordneter), Jürgen Elsässer (Compact-Magazin), Martin Sellner (Sprecher der Identitären Bewegung), Hagen Grell (rechter Verschwörungsideologe), Ignaz Bearth (Partei National Orientierter Schweizer / Pegida Redner), Klemens Kilic (AfD-Youtuber) und weiteren Personen aus dem rechten Spektrum veröffentlicht. Grabinger beschwert sich in seinen Videos über den Feiertag am 8. Mai zum Tag der Befreiung, glaubt an die Verschwörungsideologien von Qanon und ist politisch dem AfD-nahen, rechtsverschwörungsideologischen Spektrum zuzuordnen.

Teil 3 – Wichtige Verschwörungsideologien der „Corona-Proteste“

Qanon

Qanon („Q“) fing im Herbst 2017 an, über das Imageboard 4chan kryptische und vage gehaltene „Prophezeiungen“ zu verbreiten. Die Posts sind häufig in Rätselform geschrieben. Sie wurden weiter verbreitet über Reddit, Youtube, Twitter und rechte Blogs, wo sie von Anhängerinnen interpretiert werden. Als Erkennungszeichen der Qanon-Gläubigen dient der Großbuchstabe Q oder ein weißes Kaninchen. Die Identität Qanons ist unbekannt. Qanon versucht den Eindruck zu erwecken, zum engsten Kreis um Donald Trump zu gehören. Trump wird in den Texten durchweg positiv als Held und Retter der Menschheit dargestellt. In der Anhängerinnenschaft kursieren diverse Gerüchte über die Identität Qanons, beispielsweise wird vermutet Qanon arbeite im Energieministerium mit Zugang zum Atomprogramm, sei der bei einem Flugzeugabsturz verunglückte John F. Kennedy Jr., oder Trump höchstpersönlich. Die kryptischen Texte werden von den Anhängerinnen immer wieder neu „analysiert“ und es wird versucht sie zu deuten. Inhaltlich wird ein ganzes Themenspektrum absurder Verschwörungstheorien veröffentlicht. Hauptsächlich geht es um einen Putsch von hochrangigen Vertreterinnen der demokratischen Partei, der Wirtschaft und weiteren Prominenten, durch den eine Diktatur in den USA installiert werden soll. Beteiligt seien unter anderem Barack Obama, Hillary Clinton und George Soros. Außerdem seien sie in einen internationalen Kinderhändlerring verstrickt. Geheime „Eliten“ würden Kinder in Folterkellern quälen, um das Adrenalin-Stoffwechselprodukt Adrenochrom zu gewinnen, was zu ewiger Jugend führe. Angeführt würde dieses Unternehmen von der Familie Rothschild, die Anhänger eines satanistischen Kults seien. Donald Trump sei von hochrangigen Militärs zur Präsidentschaft verholfen worden um diese „Kinderquäler“ zu stoppen. Trump werde einen Krieg gegen den angeblichen Kinderhandel, liberale Globalisten und jüdische Banken aufnehmen, zusammen mit dem angeblich niemals gestorbenen John F. Kennedy Jr.. Außerdem habe sich Trump mit dem nordkoreanischen Staatschef Kim Jong-Un gegen die „Verschwörer“ verbündet. Der „Deep State“, der nur für das Wohl der Eliten arbeite, ist immer wieder Thema. Der Lockdown, der aufgrund der Covid-19 Pandemie ausgerufen wurde, diene nicht der Bekämpfung der Pandemie, sondern sei als Ablenkung geplant gewesen, damit Donald Trump die vermeintlich entführten Kinder aus den Folterkellern befreien könne. Belege werden in Qanons „Prophezeiungen“ an keiner Stelle erbracht. Stattdessen werden Dinge wie die Krawattenfarbe Trumps ausgiebig analysiert (eine rosa Krawatte wird so schnell zum Zeichen an die Gläubigen erkoren, dass der Präsident gerade die Kinder rette).

In dieser, nach einem schlechten Actionfilm klingenden Geschichte, lassen sich alte, antisemitische Muster erkennen, da durch die den Rothschilds zugeschriebene Rolle, alte antisemitische Narrative bedient werden, wie das Finanzieren einer globalen Verschwörung oder Kindesentführung. Bereits im Mittelalter wurde jüdischen Menschen unterstellt Kinder zu entführen, um deren Blut zu trinken.
In Bezug auf Covid-19 wurde von Qanon empfohlen, das Desinfektionsmittel Chlordioxid gegen die Infektion einzunehmen. Vor der Einnahme wird von medizinischer Seite aus gewarnt, da erhebliche Gesundheitsgefahren davon ausgehen.
Qanon ist besonders populär in der US-amerikanischen rechten Szene und bei Trump Anhängern. Mittlerweile werden die Texte aber auch ins Deutsche übersetzt und von zahlreichen rechten und verschwörungsideologischen Kanälen verbreitet. Die Inhalte der Texte führten in den USA bereits mehrfach zu Angriffen und Bedrohungen. In sozialen Medien und auf Demonstrationen verwenden Qanon Anhänger*innen häufig die Abkürzung WWG1WGA „Where we go one, we go all“.

Die Bill Gates Verschwörung

Eine der (un)beliebtesten Personen in den Verschwörungsgeschichten ist momentan Bill Gates. Laut Hildmann plane Gates gemeinsam mit der „kommunistischen Kröte“ Angela Merkel und dem „Kinderfresser“ George Soros einen „Genozid durch die Corona-Zwangsimpfung“, um die „Neue Weltordnung“ zu errichten. Auch Ken Jebsen beteiligt sich an den Geschichten rund um Bill Gates. Er verbreitet in einem Video mit dem Titel „Gates kapert Deutschland!“ die Behauptung, die Bill & Melinda Gates Stiftung habe Deutschland „gehackt“ und würde es kontrollieren. Außerdem seien Zwangsimpfungen geplant, um die Bevölkerung mit Mikrochips „versklaven“ zu können. Gates wird außerdem vorgeworfen, zwangsweise Tetanus-Impfungen mit dem beigemischten Hormon Choriongonadotropin Beta-hCG durchführen zu wollen, was Frauen sterilisieren könne.
Ursprünglich kommen viele dieser Erzählungen aus den USA, wo sie insbesondere von Alex Jones über Seiten wie „infowars.com” verbreitet werden. Jones ist ein bekannter Moderator. Auf seiner Seite werden immer wieder die typischen Verschwörungserzählungen wiederholt. Dabei werden offensichtliche Fake-News verbreitet. Die Gefährlichkeit solcher geistiger Brandstifter, ist auch an den Taten zu bemessen, die andere, von ihren Theorien beflügelt, begehen. So berufen sich in den USA mindestens vier Attentäter entweder direkt auf Alex Jones, oder konsumierten vor dem Attentat zumindest seine Medien.

Die in rechts-verschwörungsgläubigen Kreisen verbreiteten Erzählungen über Gates entbehren jeglichen Grundlagen. Weder ist in Deutschland eine Zwangsimpfung geplant, noch forscht Bill Gates an injizierbaren Mikrochips. Auch die Mythen um Choriongonadotropin Beta-hCG sind wissenschaftlich widerlegt. Um eine Sterilisation herbeizuführen müsste das Hormon in deutlich höherer Menge und über einen längeren Zeitraum hinweg durchgängig eingenommen werden. Dies ist bei einer Impfung nicht der Fall.
Fern von diesen abstrusen Theorien gibt es jedoch durchaus berechtigte Kritik an Bill Gates, insbesondere an seinem Einfluss innerhalb der WHO. Bill Gates ist einer der reichsten Menschen der Welt. 43 Milliarden US-Dollar hat Gates in einen Trust der Bill & Melinda Gates Stiftung angelegt. Die Gewinne des Trusts werden an wohltätige Zwecke und Organisationen gespendet. Die Bill & Melinda Gates Stiftung ist die größte private Stiftung weltweit. Gates großer Einfluss auf die WHO hat vor allem strukturelle Ursachen. Die Weltgesundheitsorganisation wurde vor 40 Jahren noch zu 80% aus öffentlichen, von den in ihr organisierten UN-Staaten bereitgestellten Geldern finanziert. Heute sind es lediglich 20%. In diese Finanzierungslücke sprangen private Geldgeber wie die Gates-Stiftung, die enorm an Einfluss gewannen, da sie als Finanziers bestimmen können für welche Projekte ihr Geld eingesetzt wird. Von der Bill & Melinda Gates Stiftung kommen ca. 17% der Gelder der WHO. Gates setzt damit vor allem auf Impfprogramme. Das ist problematisch, da andere wichtige Themenbereiche, zum Beispiel die Verbesserung der Lebensbedingungen und der Aufbau von Gesundheitssystemen in armen Ländern, so auf der Strecke bleiben, die WHO über einen Großteil ihres Kapitals nicht frei verfügen kann und abhängig von den privaten Geldgebern ist.
Problematisch an der Bill & Melinda Gates Stiftung als Finanzier ist außerdem, dass die Gates-Stiftung zu den Gründern der GAVI-Allianz gehört, einer Allianz, die sich für weltweite Impfungen einsetzt. Beim Kampf gegen die Pneumokokken-Infektion setzt sie jedoch nur auf zwei Unternehmen, an denen wiederum die Bill & Melinda Gates Stiftung beteiligt ist. Diese Unternehmen erzielten durch überhöhte Preise seit 2009 mit dem Impfstoff einen Gewinn von ca. 36 Mrd. US-Dollar. Auch bei anderen Impfungen setzt die Bill & Melinda Gates Stiftung durch, dass WHO und GAVI-Allianz mit den Firmen zusammenarbeiten, an denen die Stiftung beteiligt ist und die dadurch hohe Gewinne erwirtschaften können. Dieser Einflussnahme könnte und müsste jedoch strukturell begegnet werden, indem die Länder des globalen Nordens ihren Beitrag zur Finanzierung der WHO wieder erhöhen.

Mobilfunkstandard 5G

Verschwörungsmythen rund um 5G gibt es seit 2018. 5G ist ein neuer Mobilfunkstandard, der Daten schneller übertragen und weniger Strom verbrauchen soll. Dazu müssen mehr Sendeanlagen gebaut werden. Kritiker*innen gehen davon aus, dass dadurch die Strahlenbelastung steigen und gefährlich werden könnte. Dafür gibt es bis jetzt jedoch keine Belege. Vermutet wird, dass die Strahlung zwar prinzipiell krebserregend sein könne, jedoch deuten Versuche darauf hin, dass dazu eine deutlich höhere Strahlung, als sie in Deutschland erlaubt ist, nötig ist und diese über einen langen Zeitraum wirken muss.
Besonders oft aufgegriffen innerhalb der Szene wurde das Thema 5G bei dem verschwörungsideologischen Sender Klagemauer.TV des Schweizer Sektengründers Ivo Sasek. Auch der Blog des Eventveranstalters Connectiv Events arbeitet sich seit 2018 mit dutzenden Artikeln an 5G ab. Fake-News, die der Blog bis jetzt zu 5G verbreitet hat, waren unter anderem die Aussage 20.000 5G-Satelliten sollen „gefährliche Mikrowellenstrahlung“ über die ganze Welt versenden, wegen 5G würden alle Bäume aus den Städten verschwinden oder Feuerwehrleute hätten neurologische Schäden durch die Mobilfunkmasten erlitten. Seit der Corona-Pandemie verknüpft der Blog seine abenteuerlichen Theorien mit dem Virus. Es wird verbreitet, dass die durch den Corona-Virus ausgelösten Krankheitssymptome in Wahrheit von der 5G Strahlung verursacht würden und die Suggestivfrage gestellt, ob es keinen Virus gäbe, sondern ein durch 5G verursachter Zellabbau, der die Auswirkungen eines Virus nachahme, zum Tod von Menschen geführt habe.
Connectiv Events organisiert pseudomedizinische Events mit und bewirbt über den dazugehörigen Blog regelmäßig Verschwörungsideologien und pseudomedizinische Produkte. Verlinkt wird unter anderem zu KenFM, dem Kopp-Verlag, „Nuoviso“ und „Bewusst TV“.

Auf dem verschwörungsideologischen Blog Politaia (auf dem auch Videos veröffentlicht werden, welche die Shoah leugnen ) tauchte eine vermeintliche Studie eines Biologen auf, die eine Korrelation zwischen 5G und dem Corona-Virus belege. Dieser Beitrag wurde unter anderem 2.000 Mal bei dem sozialen Netzwerk Facebook geteilt. Die vermeintliche Studie ist ein Artikel von Bartomeu Payeras i Cifre, der auf seinem privaten Blog veröffentlicht wurde. Payeras ist nicht wie behauptet Biologe an der Universität Barcelona, sondern arbeitet momentan als Maler. Die Publikation wurde in keiner wissenschaftlichen Zeitung oder Ähnlichem veröffentlicht. Payeras will eine Korrelation zwischen der Präsenz von 5G-Netzen und der Anzahl an Coronavirus-Fällen in verschiedenen Ländern belegen. Der Artikel beinhaltet grobe Fehler. Wie Payeras zu den verwendeten Zahlen gekommen ist, ist nicht nachvollziehbar. Gegen die Theorie spricht auch, dass ein Land wie Brasilien, dessen Bevölkerung massiv unter dem Virus leidet bis jetzt lediglich fünf 5G Masten (in Testphase) besitzt.
Ab Januar 2020 wurden in den sozialen Medien immer wieder Videos verbreitet, die Zusammenhänge zwischen dem Corona-Virus und den Funkmasten herstellen sollten, unter anderem indem sie tote Fische oder Vögel in deren Nähe zeigten. Nach der Verbreitung solcher „Informationen“ in sozialen Netzwerken wurden in Großbritannien, den Niederlanden, Irland und Zypern mehrere Mobilfunkmasten in Brand gesetzt.

Die Illuminatenverschwörung

Der Illuminatenorden wurde am 1. Mai 1776 von dem Freimaurer und ehemaligen Jesuiten Adam Weishaupt in Ingolstadt gegründet. Im Jahr 1783 kam es zu internen Spannungen im Illuminatenorden. 1787 verbot das Bayrische Königreich den Illuminatenorden und erließ daraufhin ein Dekret, das eine Mitgliedschaft im Orden bei Todesstrafe untersagte. Seither gilt der Illuminatenorden paranoiden Verschwörungsgläubigen als ultimativer Multiplikator einer vermeintlich Neuen Weltordnung. Der Jesuitenpater und fanatische Gegner der Französischen Revolution Abbé Barruel, brachte die Illuminaten im Rahmen seiner dreiteiligen Publikation „Denkwürdigkeiten zur Geschichte des Jakobinismus“ einerseits mit den Freimaurern, den Tempelrittern und einer weltweiten jüdischen Verschwörung in Verbindung. Im Unterschied zu den Freimaurerlogen verfolgten die Illuminaten, unter der stringenten Führung Adam Weishaupts, auch eine ausgesprochen politische Zielsetzung, die von ihren Gegnern als revolutionär bezeichnet wurde. Auf die Illuminaten berufen sich zahlreiche rechtsradikale, fundamentalistische Sekten im Rahmen mehrerer pseudohistorischer Wahnideen. Einigen Verschwörungsideolog*innen zufolge, hat sich der Illuminatenorden mit den Hochgradfreimaurern vereinigt, um ein autoritäres Weltregime durchzusetzen. Für die Beweisführung ihrer wirren Theorien werden häufig die antisemitischen „Protokolle der Weisen von Zion“, eine Fälschung des zaristischen Geheimdienstes Ochrana, und die ebenfalls gefälschten Verhörprotokolle von Christian Georgijewitsch Rakowski herangezogen. Rakowski war Vertreter der linken Opposition in der Sowjetunion und soll, im Rahmen seiner Inhaftierung durch die stalinistische Geheimpolizei GPU, vermeintliche Umsturzpläne der linken Opposition gegen Stalin gestanden haben. Des Weiteren soll Rakowski die finanzielle Unterstützung amerikanischer Banken für die Oktoberrevolution, unter Leitung der Rothschilds, mit Leo Trotzki als Vermittler gestanden haben. Diese Pseudofakten griffen die amerikanischen Verschwörungstheoretiker Gary Allen und Des Griffin in ihren Werken „Die Insider“ (1970) und „Wer regiert die Welt“ (1976) auf und machten sie somit Massenkompatibel für die rechtsradikale und verschwörungsideologische Szene in den USA. In der Bundesrepublik griff der esoterische Verschwörungstheoretiker Jan Udo Holey die Theorien von Allen und Griffin auf. Holey hat unter dem Pseudonym Jan van Helsing den Zweibänder “Geheimgesellschaften und ihre Macht im 20.Jahrhundert” veröffentlicht, der auf dem Buchmarkt überaus erfolgreich war, bevor das Landgericht Mannheim 1996 die bundesweite Beschlagnahmung anordnete. Dies geschah mit der Begründung, dass in Holeys Werken »Volksverhetzung« betrieben und »Kennzeichen verfassungsfeindlicher Organisationen« verwendet würden. Auch im Rahmen der aktuellen Corona-Pandemie hat Holey als Herausgeber bzw. Co-Autor zwei verschwörungstheoretische Bücher veröffentlicht („Lockdown: Das Virus war nicht die Ursache. Es war nur der willkommene Auslöser für das größte, je gewagte Experiment am Menschen“ bzw. „Wir töten die halbe Menschheit – und es wird schnell gehen“). Weitere deutsche Autor*innen, welche mit der Illuminatenverschwörungsideologie in ihren Publikationen operieren sind: Tilman Knechtel („Die Rothschilds – Eine Familie beherrscht die Welt“), Wolfgang Eggert („Israels Geheimvatikan“) und Heiko Schrang („Die Jahrhundertlüge 1/2“).

Die Bilderbergerverschwörung

Die Bilderberg-Konferenzen sind nach dem niederländischen Hotel benannt, in dem 1954 das erste dieser informellen Treffen stattfand. Ins Leben gerufen wurden sie von Prinz Bernhard der Niederlande, dem polnischen Diplomaten Josef Retinger, dem Bankier David Rockefeller und dem ehemaligen britischen Außenminister Denis Healey. Traditionell werden etliche wichtige und aufstrebende Persönlichkeiten aus Politik, Wirtschaft und Medien eingeladen und in den Nobelhotels der entsprechenden Region untergebracht. Glaubt man den verschiedenen Verschwörungstheoretikern, sind die Bilderberg-Konferenzen nichts anderes als die Jahrestreffen der Vordenker der Neuen Weltordnung, auf denen die Agenda für die nächsten zwölf Monate festgelegt wird. Wegen ihrer Geheimniskrämerei und ihrer exklusiven Zusammensetzung war die Bilderberg-Konferenz schon oft Ausgangspunkt von diversen Verschwörungstheorien. Amerikanische und deutsche Verschwörungstheoretiker*innen vermuten, dass die „Bilderberger” eine Weltdiktatur mit sozialistischer Prägung anstreben. Die Liste der ihnen nachgesagten Aktivitäten ist lang: Die Einführung des Euro und die deutsche Wiedervereinigung seien demnach im Rahmen der Bilderberg-Konferenz beschlossen worden. Die Bilderberger sollen angeblich die US-Präsidentschaftswahlen beeinflussen und die jeweiligen Spitzenkandidat*innen der Demokratischen und Republikanischen Partei bestimmen. Auch Renault Camus rechtspopulistische Wahnidee vom „Großen Austausch“ wurde von einigen Verschwörungstheoretiker*innen in die Bilderbergerverschwörung adaptiert. Letztendlich werden auch die Maßnahmen der verschiedenen Staaten und der WHO gegen das neuartige Corona-Virus, der letzten Bilderberg-Konferenz als Etappenziel für eine vermeintliche Weltregierung zugeschrieben.

Von der jüdisch bolschewistischen Weltverschwörung zur Antifaverschwörung

Anfänge in Russland

Die Ursprünge des Verschwörungstheorems der jüdisch bolschewistischen Weltverschwörung gehen auf die Oktoberrevolution zurück. Die Idee der jüdisch bolschewistischen Weltverschwörung ist ein Verschwörungsmythos, verwendet von Gegnern der Oktoberrevolution 1917 durch die russischen Bolschewiki. Sie diente als eine Grundlage der antisemitischen Ideologie der Nationalsozialisten und wird auch aktuell von Neofaschist*innen, Rechtspopulist*innen und Verschwörungstheoretiker*innen verwendet als Theorem einer vermeintlichen jüdischen Weltverschwörung, mit dem Ziel einer jüdisch-sozialistischen Weltregierung. Die agrarisch geprägte feudale russische Gesellschaft betrachtete Jüd*innen als Vertreter*innen einer modernen, kapitalistischen Gesellschaft. Konservative Gutsbesitzer, die am System der Leibeigenschaft festhielten, fühlten sich von der Modernisierung, symbolisiert durch die Jüd*innen, bedroht. Die Isolation, Unterdrückung und Verfolgung der Jüd*innen führte dazu, dass alte Traditionen, religiöse Bindungen und kulturelle Besonderheiten gepflegt wurden und der Zusammenhalt der jüdischen Glaubensgenossen untereinander (auch länderübergreifend) bestärkt bewahrt wurde. Die sich daraus ergebende Sonderrolle der Jüd*innen lässt in weiterer Folge besonders in konservativen Kreisen den Eindruck eines international vernetzten „Weltjudentums“ entstehen. Hier knüpfen die antisemitischen „Die Protokolle der Weisen von Zion“ (Russland 1905), eine Fälschung des zaristischen Geheimdienstes Ochrana unter Einfluss der reaktionären Organisation Schwarze Hundert bzw. Schwarze Hundertschaften und ihrer Unterorganisation „Bund des russischen Volkes“ an und verschärften die Situationen der russischen Jüd*innen im vorrevolutionären Russland. Die von den zaristischen Behörden unterstützten Organisationen wie die Schwarze Hundert waren vor allem zwischen 1904 und 1906 Hauptanstifter von antisemitischen Pogromen und Terror gegen russische Revolutionär*innen und Jüd*innen. Lenin sah in der Schwarzen Hundert eine faschistische Bewegung im Sinne des italienischen Faschismus. Als eine Reaktion auf das Erstarken der sozialdemokratischen, sozialrevolutionären und liberalen Bewegung gegen das autoritäre Zarenregime entstand in Russland die straff organisierte völkisch-nationalistische, klerikal-monarchistische Bewegung der sogenannten Schwarzen Hundert oder Schwarzhunderter. Sie besaß im Zeitraum 1905–1917 bis zu 410.000 Mitglieder, organisiert in mehr als 3.000 regionalen Gruppen und einigen größeren landesweiten Parteien. Viele fortschrittliche linke Jüd*innen organisierten sich im vorrevolutionären Russland entweder im Allgemeinen Jüdischen Arbeiterbund oder der Sozialdemokratischen Arbeiterpartei Russlands. Während des russischen Bürgerkriegs kam es, besonders in der Ukraine und Weißrussland, zu zahllosen Pogromen durch Weiße Truppen an der jüdischen Bevölkerung. In einem Propagandaplakat der Weißen Truppen wird der Jüdische Revolutionär Leo Trotzki mit eindeutig antisemitischen Zügen als „dämonische Teufelsfigur“ an der Kremlmauer dargestellt, welche die Massenerschießungen gegnerischer Gefangener dirigiert. Im Sommer 1919 steigerte sich die Weiße Armee, bei ihrem Vormarsch aus der Don-Region Richtung Moskau in einen Blutrausch, der beim Pogrom in Fastow mit 1.500 Toten den Höhepunkt erreichte. Auch unter dem Kommando der Roten Armee kam es bedingt durch die tradierten antisemitischen Einstellungsmuster in der russischen Gesellschaft zu vereinzelten Pogromen, aber die Bolschewiki waren die Einzigen, die die Pogrome durch ihre militärischen Formationen scharf verurteilten und bekämpften.

Antisemitische Esoterikzirkel vor dem NS

Auch in Deutschland existierten mit der Antibolschewistischen Liga (später Liga zum Schutze der deutschen Kultur) und der Thule-Gesellschaft zwei antikommunistische Kampforganisationen welche mit antisemitischen Verschwörungsmythen mobilmachten gegen die revolutionären Kämpfe in Deutschland. Die Antibolschewistische Liga wurde Anfang Dezember 1918 von dem jungkonservativen Publizisten und ehemaligen Mitglied der katholischen Zentrumspartei Eduard Stadtler gegründet und von Großindustriellen wie Hugo Stinnes und AEG-Direktor Felix Deutsch finanziert. Die Liga hatte ein straff antikommunistisches Programm, welches mit den üblichen antisemitischen Stereotypen des jüdischen Bolschewismus operierte. Eduard Stadtler behauptete 1935 im Rahmen seiner Autobiografie, dass deutsche Unternehmer für die Militäreinsätze von reaktionären Freikorps gegen den Berliner Januaraufstand und die Auftragsmorde an Rosa Luxemburg und Karl Liebknecht vom 15. Januar 1919 verantwortlich wären. Die Thule-Gesellschaft war eine rechte politische Organisation, welche gegen Ende des Ersten Weltkrieges im August 1918 in München von Rudolf von Sebottendorf gegründet wurde und etwa 1.500 Mitglieder hatte. Darunter waren viele später einflussreiche Mitglieder der Nationalsozialistischen Arbeiterpartei (NSDAP). Ziel der Thule-Gesellschaft war die Errichtung einer Diktatur und die Vertreibung aller Jüd*innen aus Deutschland. Hier werden schon Parallelen zum späteren Programm der NSDAP sichtbar. Die Gesellschaft ging auf den 1912 gegründeten antisemitischen Germanenorden zurück, der sich 1916 gespalten hatte. Anfang 1918 sammelte der Esoteriker Rudolf von Sebottendorf, der 1913 nach längerem Aufenthalt im Osmanischen Reich nach Deutschland zurückgekehrt war und reich geheiratet hatte, die verbliebenen bayerischen Anhänger des Ordens in München. Dabei bediente er sich eines scheinbar okkultistischen Rahmens und der altgermanischen Anspielung im Namen, um die eigentlichen Ziele zu kaschieren. Dass der Germanenorden im Hintergrund stand, sollte nicht deutlich werden.

Besagter Germanenorden hatte seine esoterisch-okkulten Wurzeln in den Theoremen und Praktiken der theosophischen Gesellschaft von Helena Petrovna Blavatsky, Henry Steel Olcott und William Quan Judge. Die ursprüngliche theosophische Gesellschaft war eher universalistisch ausgerichtet und bezeichnete sich in ihrer Selbstdarstellung als Bruderschaft von Menschen, ohne Unterschied von Herkunft, Glaube, Geschlecht und Hautfarbe. Eine Schlüsselrolle in der rassistischen und antisemitischen Umformung der deutschen theosophischen Gesellschaft hatte der Esoteriker Martin Hartman inne. Im Jahre 1903 kam Martin Hartmann über die okkulte Zeitschrift Gnosis (1904 mit Rudolf Steiners Zeitschrift Luzifer zur Lucifer-Gnosis vereinigt), in Kontakt mit dem Antisemiten Guido von List, welcher dort einen Artikel über eine vermeintliche „arische Ursprache“ veröffentlicht hatte. Hartmann stellte den Kontakt zur Wiener und zur deutschen theosophischen Gesellschaft her und machte Guido von List mit der Theosophie bekannt. List begeisterte vor allem der Eklektizismus der theosophischen Lehren. Er übernahm aus ihnen kosmologische Vorstellungen u.a. auch die Wurzelrassenhypothese von Helena Blavatsky und ergänzte sie durch Vermengung mit dem rassistischen Weltbild des Antisemiten und Rassisten Arthur Gobineau zur völkisch nationalistischen „Ariosophie“. Aus der Zusammenarbeit mit List entwickelte Hartmann ein inniges Verhältnis zur Guido-von-List-Gesellschaft, die bis zu seinem Tod 1912 bestand. Rudolf Steiner gründete 1912 die anthroposophische Gesellschaft als Abspaltung der deutschen theosophischen Gesellschaft. Steiner integrierte Helena Blavatskys Wurzelrassentheorie und die okkulte Lehre von der Akasha-Chronik in seine Lehre, komplettiert durch die antisemitischen und rassistischen Inhalte der späteren theosophischen Lehre. Anthroposophische Lehren bilden auch heute noch die Grundlage der umstrittenen Waldorf-Pädagogik. Auch erfolgreiche Wirtschaftsunternehmen, wie die auch in linken Kreisen beliebte GSL-Bank, die Drogeriemarktkette DM und die Biomarktkette Alnatura, orientieren sich bis heute an Steiners umstrittenen Lehren.

Die jüdisch bolschewistische Weltverschwörung im NS

Der Nationalsozialismus orientierte sich an den rassistischen und antisemitischen Wahnideen, der diversen völkisch-nationalistischen Zirkel in der Kaiserzeit und der Weimarer Republik. Diese antisemitischen Wahnideen bildeten die ideologische Grundlage für den späteren Vernichtungsantisemitismus der Nationalsozialisten. Adolf Hitler war ein Anhänger des Antisemiten Karl Lueger und des ehemaligen Zisterzienser-Geistlichen und Ariosophen Jörg Lanz von Liebenfels. Lanz gab ab 1905 die sogenannten Ostara-Hefte heraus, eine von ihm redigierte Zeitschrift mit ariosophischen Inhalten. Lanz war am Widerstand gegen die kurzlebige Räterepublik unter der Beteiligung des jüdischen Kommunisten Béla Kuns beteiligt. Nach dem Sieg der Konterrevolution 1920 arbeitete Lanz in einer christlich-nationalen Presseagentur in Budapest, die dem Außenministerium unterstand, und schrieb reaktionäre Artikel für Tageszeitungen. Mit seinem 1923 erschienenen Buch „Weltende und Weltwende“ machte er die von ihm postulierte Weltverschwörung von Juden, Sozialisten und Freimaurern nun zum Mittelpunkt seiner weiteren Publikationen und den Antisemitismus zum Kernpunkt seines Programms. Adolf Hitler war in seiner Wiener Zeit ein begeisterter Leser der Ostara Zeitschrift. Auch der DAP und spätere NSDAP Wirtschaftstheoretiker Gottfried Feder war ein Anhänger der jüdisch bolschewistischen Weltverschwörung. Im November 1918 schrieb er unter dem Eindruck der deutschen Niederlage im ersten Weltkrieg sein Buch „Manifest zur Brechung der Zinsknechtschaft des Geldes“, in welchem er die Idee formulierte, die Wurzel allen Übels, das über Deutschland hereingebrochen war, seien die Zinsen auf die Kredite der jüdischen Bankiers. Feders Ideen prägten das 25-Punkte-Programm der NSDAP aus dem Jahre 1920. Im Programm wurden Jüd*innen nicht mehr religiös sondern „rassisch“ definiert und es sollte ihnen die deutsche Staatsbürgerschaft aberkannt werden. Des Weiteren sollten sie von der Gesetzgebung ausgeschlossen sein und keine Regierungsämter bekleiden können. In diesem Zusammenhang sprach sich das Programm gegen den vermeintlich korrumpierenden Parlamentarismus aus und bezeichnete jenen als Parteienproporz (unter Punkt acht die „Brechung der Zinsknechtschaft“ gefordert). Adolf Hitler war ein Bewunderer des amerikanische Autounternehmers Henry Ford. Ford verbreitete in seiner 1920 bis 1924 erschienenen Artikelserie „The International Jew“ die Verschwörungstheorien der „Protokolle der Weisen von Zion“. Überdies behauptete er, der russische Bolschewismus und seine Ableger in den amerikanischen Gewerkschaften seien in ihrem Wesenskern jüdisch. Er spekulierte zum Beispiel über die Ähnlichkeit zwischen dem Davidstern und dem roten Stern der Sowjets oder versuchte nachzuweisen, in der russischen Revolution sei das jüdische Kapital von der Enteignung ausgenommen worden. In seinem Buch „Mein Kampf“ verband Hitler den Antisemitismus und die Feindschaft gegen die Sowjetunion: „Im russischen Bolschewismus haben wir den im zwanzigsten Jahrhundert unternommenen Versuch des Judentums zu erblicken, sich die Weltherrschaft anzueignen, wobei es sich der unterschiedlichsten Mittel bediene: vom Dolchstoß in den Rücken des deutschen Heeres, über freie Presse und Finanzkapitalismus, bis hin zur Förderung der Prostitution und der Syphilis.“ In einer Reichstagsrede im Januar 1939 bereitete Hitler das nationalsozialistische Deutschland auf den bevorstehenden Krieg und den eliminatorischen Holocaust vor: „Wenn es dem internationalen Finanzjudentum inner- und außerhalb Europas gelingen sollte, die Völker noch einmal in einen Weltkrieg zu stürzen, dann wird das Ergebnis nicht die Bolschewisierung der Erde und damit der Sieg des Judentums sein, sondern die Vernichtung der jüdischen Rasse in Europa!“ In Rahmen der Filmproduktionen des nationalsozialistischen Propagandaministeriums wurde das Thema des jüdischen Bolschewismus präferiert. Im Propagandafilm „Der ewige Jude“ aus dem Jahr 1940 wird das Thema einer vermeintlichen jüdischen Weltverschwörung umfassend dargestellt, von den „jüdischen Plutokraten der Wall Street“ und dem jüdischen Marxismus über die „Judenrepublik“ von Weimar. Im Jahre 1942 folgt der antikommunistische Propagandafilm „GPU“, in welchem die Auswahl der Darsteller dem antisemitischen Stereotyp des verschlagen und hinterlistigen Juden markiert werden.

Nach dem Nationalsozialismus

Nach der militärischen Zerschlagung des Nationalsozialismus wurden mit der neuen Blockkonfrontation antikommunistische Ideen wieder salonfähig. Hier wurde wieder plakativ mit den im Nationalsozialismus üblichen Tierdarstellungen und Entmenschlichungen in der politischen Auseinandersetzung mit dem Kommunismus operiert. Kommunistinnen wurden als Rattenfänger und Volksverführer dargestellt. »Alle Wege des Marxismus führen nach Moskau!« hieß es auf einem Wahlplakat der CDU aus dem Jahr 1953. Angesprochen und angegriffen zugleich war keineswegs nur die, schon damals fast bedeutungslose, KPD, sondern auch die SPD, die ähnlich wie im Sprachgebrauch der Nationalsozialisten als Teil oder zumindest Werkzeug eines bedrohlichen Marxismus verstanden wurde, der in Moskau beheimatet sein sollte. 1986 formulierte der Berliner Historiker und Faschismusforscher Ernst Nolte in mehreren Publikationen die umstrittene These von der Ursprünglichkeit des sowjetischen Gulags, und vermeintlichen Reflexibilität des nationalsozialistischen Konzentrationslagers, und löste einen Streit unter Historikerinnen aus. Hitler habe nach Nolte mit dem Holocaust nur auf die wahrgenommene jüdisch-bolschewistische Bedrohung reagiert, sei ihm „insoweit ein gewisses historisches Recht zuzuschreiben, als er sich dem umfassenden Anspruch der Sowjetunion mit großer, wenn auch vermutlich weit überschießender Energie widersetzte“. Noltes Thesen wurden von der überwiegenden Mehrheit der Geschichtswissenschaftler*innen mit der Begründung einer antisemitischen Entsorgung der deutschen Vergangenheit durch eine Täter-Opfer-Umkehr abgelehnt. Am 5. Mai 1999 reichte Hohmann, damaliger CDU und heutiger AfD-Bundestagsabgeordnete, einen Antrag ein, der die Errichtung eines Holocaust-Mahnmals ablehnen sollte. Am 25. Juni begründete Hohmann diesen Antrag in einer geschichtsrevisionistischen Rede. Das Holocaust-Mahnmal sei in seinen Augen ein Indiz dafür, dass die Deutschen sich ihre Vergangenheit nicht verzeihen könnten. Zitat Homann: „Meine Damen und Herren, viele Menschen fordern uns als Deutsche auf, langsam den Mut zu fassen, unseren Freunden zu sagen: Mehr als zwei Generationen nach diesem riesigen Verbrechen fühlen wir uns sozusagen resozialisiert. Warum? Kein Land hat Verbrechen in seiner Geschichte aufgearbeitet und bereut, Entschädigung und Wiedergutmachung geleistet wie wir. Nach christlichen Maßstäben folgt auf Sünde, Reue und Wiedergutmachung das Verzeihen. Freilich, das Verzeihen kann man nicht erzwingen. Aber von Freunden darf man es erwarten. Fast drei Generationen Bußzeit bis heute. Es sollten nicht sechs oder sieben werden. Insofern wäre das Mahnmal auch monumentaler Ausdruck der Unfähigkeit, uns selbst zu verzeihen.“ Aufgrund seiner antisemitischen Rede wurde er im Jahre 2004 auch aus der CDU ausgeschlossen.

In den USA entwickelte sich der Verschwörungsmythos um die jüdisch bolschewistische Weltverschwörung auf einer anderen Ebene. Jüdischen Familien welche im Bankgeschäft tätig waren, wie die Warburgs und Rothschilds, wurden für die Gründung des Federal Reserve Systems 1913 verantwortlich gemacht. Ihnen wurde von rechten und antisemitischen Gruppen unterstellt, das amerikanische Geldsystem unter ihre Kontrolle bringen zu wollen, um somit ein sozialistisch-satanistisches System unter jüdischer Ägide in den USA zu schaffen. In den siebziger Jahren griffen die amerikanischen Verschwörungsmystiker G. Edward Griffin und Gary Allen die Verschwörungserzählung auf und erweiterten sie um entsprechende Verschwörungsmythen um Abschaffung der Golddeckung des Dollars in den USA unter der Nixon-Regierung. Griffin und Allen behaupteten in ihren Schriften, es existiere eine satanistische Verschwörung von Illuminaten, Juden und Freimaurern zur Erringung der Weltherrschaft. Als Beweis fungieren wieder die in verschwörungsmythischen Kreisen beliebten „Protokolle der Weisen von Zion“. Die gleiche Geheimorganisation hätte nach Griffin und Allen bereits die Französische und die Russische Revolution angestiftet und finanziert. Griffin und Allen sind bzw. waren Mitglieder der rechtsgerichteten John Birch Society, welche verschiedene Verschwörungserzählungen verbreitet. (Siehe auch Illuminaten Verschwörung in dieser Publikation)

Von der vermeintlichen Flüchtlingskrise zur Antifa-Verschwörung

Der nunmehr aus dem Amt scheidende US-Präsident Donald Trump erklärte im Juni 2020 nach den Unruhen im Zusammenhang mit dem rassistischen Polizeimord an George Floyd, er wolle die Antifa als terroristische Vereinigung in den Vereinigten Staaten verbieten lassen. Doch ist Trump mit dieser Forderung nicht alleine unter den demokratischen und rechten Akteuren in den USA. Bereits im Jahr 2017 wurden antifaschistische Gruppen im US-Bundesstaat New Jersey vom dortigen Heimatschutzministerium als „Terrororganisation“ gelistet. Im Rahmen der geschichtsrevisionistischen Demonstrationen unter dem Motto „Unite the Right“ demonstrierten rechtsradikale Gruppen am Abend des 11. August und am Morgen des 12. August 2017 in Charlottesville im US-Bundesstaat Virginia. Die Demonstration fungierte als Sammelbecken verschiedener rechter Gruppierungen wie der Alt-Right-Bewegung, dem Ku-Klux-Klan, Neo-Konföderierten sowie Vertreterinnen der Militia-Movement-Bewegung, White Nationalists und White-Supremacy-Anhänger. Nach dem offiziellen Ende der Demonstration fuhr James Alex Fields, der zuvor an der Neonazi-Demonstration teilgenommen hatte, vorsätzlich sein Auto in eine Gruppe von Gegendemonstrantinnen. Dabei tötete er die Antifaschistin Heather Heyer und verletzte mindestens 19 weitere Gegendemonstrantinnen. Nach den Auseinandersetzungen in Charlottesville wurde von rechten und konservativen Gruppen, eine Petition mit 100.000 Unterzeichnerinnen initiiert, die Antifa als Terrororganisation einzustufen.

Rechte Internetportale wie der Daily Stormer oder Breitbart-News forcierten die Bestrebung der rechten Akteure mit dem antisemitischen Verschwörungsmythos, der Unternehmer Georg Soros hätte die linken Gegendemonstrant*innen unterstützt um bürgerkriegsähnliche Unruhen zu initiieren, um somit die Regierung von Donald Trump zu destabilisieren. Diese Vorstellung, Soros würde mit Hilfe seiner Organisation Open Society Foundations antifaschistische und linke Gruppen gezielt zur Destabilisierung der westlichen Demokratien instrumentalisieren, wird heute von vielen rechtspopulistischen bis offen rechtsradikalen Parteien und Organisationen vertreten. Beschuldigungen, Soros sei der Inbegriff einer „globalistischen Elite“ und würde die sogenannte Flüchtlings-Karawane aus Mittelamerika in die USA finanzieren, werden auch von Vertreter*innen der Republikanischen Partei bzw. Präsident Donald Trump erhoben. All diese Vorwürfe werden von Wissenschaftlern kritisiert, da sie das antisemitische Stereotyp einer vermeintlich das Weltgeschehen kontrollierenden und manipulierenden jüdischen Verschwörung verwenden würden. Soros erscheine in diesem Verschwörungsdenken als Hauptakteur und sei die Projektionsfläche für zahlreiche klassische antisemitische Ressentiments. Bereits im Jahre 2015 wurde Soros vom ungarischen Premierminister Viktor Orbán vorgeworfen, maßgeblich für die gestiegene Anzahl von Geflüchteten verantwortlich zu sein. Die Vorstellung, Georg Soros würde Seenotrettungsinitiativen instrumentalisieren um gezielt Geflüchteten nach Europa zu steuern, ist ein Teil diverser Verschwörungserzählungen. Auch die Verschwörungsmythen um die Bill & Melinda Gates Foundation haben ihren Ursprung in den Schriften verschiedener antisemitischer Verschwörungstheoretiker. Schon in den Neunzigern behaupteten die antisemitischen Verschwörungstheoretiker Jan Udo Holey und Jonathan May, Pharmakonzerne würden die Menschen im Auftrag der Illuminaten und Bilderberger vergiften und ihnen Kontrollchips einpflanzen. Daneben wird auch in Deutschland mit Verschwörungsmythen um Soros Politik gegen Geflüchtete gemacht. Hier sticht insbesondere die Partei Alternative für Deutschland hervor. Entsprechende Anschuldigungen gegen Soros Investitionen und sein finanzielles Engagement für wohltätige Organisationen wurden von den AfD-Abgeordneten Jörg Meuthen, Stephan Brandner, Petr Bystron und Björn Höcke postuliert. AfD nahe und verschwörungsmythische Medien, wie Jürgen Elsässers Compact Magazin und der Kopp Verlag operieren ebenfalls mit dem antisemitischen Soros Stereotyp. Im Kopp Verlag werden jede Menge verschwörungsmythische Publikationen verlegt. Unter anderem die Bücher „Der Linksstaat“ und „Staats-Antifa“ des AfD nahen Autors Christian Jung. Nach dem neurechten Konzept der Täter-Opfer-Umkehr werden antifaschistische Gruppen mit dem Faschismus gleichgesetzt. Ferner versucht Jung ein verschwörungsmythisches Netzwerk von Parteien, Alt-Achtundsechzigern, Umweltorganisationen und Antifagruppen zur Unterminierung rechtsstaatlicher Strukturen und der FDGO zu konstruieren.

Teil 4 – Rechter Takeover und linke Antworten – Analyse und Strategien

Neue Rechte” überholt “alte Rechte”

Über mehrere Jahrzehnte wurde die Rechte in der BRD von klassischen Neonazis oder Parteien, wie den Republikanern gestellt, die Mitte der 00er Jahre in Parteien wie PRO Deutschland oder “Die Freiheit” ihre politischen Wiedergänger fanden. All diesen Gruppierungen war gemein, dass ihr Kernthema stets eine “Ausländer raus”-Agenda war, die ihnen als Interpretationsrahmen für nahezu alle politischen Themenfelder diente. Mit dem Erstarken antimuslimischer Hetze nach dem Anschlag auf das World Trade Center am 11. September 2001, gesellte sich zum biologischen Rassismus der Rechten (minderwertige Völker, höherwertige Völker) der Kulturrassismus in den Fundus rechter Ideologien. Eine besondere Glaubwürdigkeit hatten neonazistische, wie auch neurechte Gruppen in anderen Themenfeldern kaum. Wenn die NPD sich gegen NATO-Kriegseinsätze aussprach, so zündete deren Rhetorik kaum. Genauso wenig wie die Versuche sich als Antikapitalist*innen zu inszenieren. Ein Hauptgrund war vor allem, dass sich die eigene Klientel dafür kaum begeistern ließ. Dies wird allein schon deutlich, wenn mensch die thematischen Ausflüge der NPD in andere Themen mit ihren Kampagnen gegen Geflüchtetenunterkünfte vergleicht. Während eine Kundgebung unter dem Motto “Kein deutsches Blut für Öl!” vielleicht zwanzig Nazis hinter dem Ofen hervorlockte, so entwickelten sich die “Nein zum Heim!”-Mobilisierungen, welche 2013 bis 2016 bundesweit mehrheitlich von NPD-Strukturen getragen wurden, zu regelrechten Volksbewegungen. Von Außen betrachtet wirkte es oft so, als ob Kampagnen außerhalb der Themenfelder Geschichtsrevisionismus, Antisemitismus und Migration, eher von der NPD der Vollständigkeit halber umgesetzt wurden, um einem selbstgesteckten Anspruch gerecht zu werden. Eine Begeisterung, welche parteiintern die Mitglieder ergriff war hier nicht zu spüren. Ihre Versuche inhaltlich anderweitig Fuß zu fassen, scheiterten oft an einem Mangel an multithematischer Kompetenz und dem nötigen Personal um andere politische Felder dauerhaft bespielen und authentisch ausfüllen zu können. Die “alten” rechtspopulistischen und neonazistischen Parteien kommen aus einer Zeit, in der sie sich auf das Thema Rassismus festgenagelt haben und da auch nicht mehr rauskommen. Es sind aber auch Jahrzehnte der klaren politischen Trennlinien, denen diese Strukturen entstammen, die ihr Vorgehen geprägt haben und in denen sie die Hochzeit ihres politischen Wirkens erlebten. Diese Zeiten scheinen augenscheinlich vorbei. Oder doch vielleicht nicht?

Was jedenfalls nicht von der Hand zu weisen ist, dass sich seit Mitte und Ende der 00er Jahre immer mehr Bewegungen und Zusammenschlüsse herausbilden, zu deren Geschäftsgrundlage es gehört die Existenz politischer Grenzen für nichtig zu erklären, was ihnen die Einbindung von Autorinnen oder Aktivistinnen ermöglicht, die auf Grund eines Migrationshintergrundes oder einer nicht dezidiert nationalsozialistischen Haltung, keinen Platz in klassischen Neonazistrukturen finden würden. Dieses Spektrum ist u.a. in geopolitischen Themen besser aufgestellt. Zudem sind diese Strukturen durch ihren Netzwerkcharakter eine unverbindliche Möglichkeit, die für Interessierte einen niedrigschwelligen Einstieg bietet.

Die Selbstdarstellung und Selbstwahrnehmung, keinem politischen Lager zugehörig zu sein, schafft eine zusätzliche Attraktivität für Menschen, die sich selbst so einordnen würden. Und dass sind verdammt viele Menschen. Sie haben das nicht erfunden, sondern sind auch selbst Produkt eines Zeitgeistes. “Von allem nur das, was dir selbst am besten gefällt und zu deiner individuellen Persönlichkeit passt”, sagt der Zeitgeist der neoliberalen Moderne und behandelt das Beziehen politischer Positionen, ähnlich wie die Produktauswahl beim samstäglichen Shoppingerlebnis. Diese Offenheit für alle Positionen ist eben auch eine Offenheit für rechte Positionen und in der Folge daraus auch eine Bereitschaft in der Praxis mit Rechten zu kooperieren.

Die Behauptung “weder links noch rechts” zu sein und die Praxis sich in ursprünglich linken Kampffeldern zu tummeln sorgt dafür, dass dieses Spektrum deutlich breitere Teile der Gesellschaft anzusprechen vermag. Wer zu einer aktuell laufenden Querfront-Bewegung dazustößt, hat zu Beginn seines politischen Einstiegs in der Regel keine Vorsozialisation in einer neonazistischen Subkultur. Diese Bewegungen können dadurch “unpolitische” Menschen eher ansprechen, mitziehen und durch ein breiteres Interesse an Themenfeldern diese zum Teil auch mit Kontinuität füllen.

Rückzug aus “unseren Themenfeldern” am Beispiel der Montagsmahnwachen
In der Öffentlichkeit sichtbar wurde diese Übernahme klassisch linker Themenfelder im Zuge der sogenannten “Maidan-Revolution” 2013, die Ukraine-Krieg und Krise zur Folge hatte. Während die Linke hierzulande nicht in der Lage war eine politische Antwort auf diesen Konflikt zu formulieren und bundesweit auf die Straße zu tragen, sprossen ab März 2014 überall sogenannte “Mahnwachen für den Frieden” aus dem Boden. Den Mahnwachen gelang es “unpolitische”, anpolitisierte Menschen, Rechte und Alternative auf ihren Veranstaltungen zusammenzuführen und für diese Menschen, die zum Teil das erste mal politisch aktiv wurden, regelmäßige Gemeinschaftserlebnisse zu schaffen. Zügig waren auch Ken Jebsen und COMPACT-Chefredakteur Jürgen Elsässer zur Stelle, auf diesen Veranstaltungen zu reden und diese für ihre Medienformate auszuschlachten – und wie sollte es anders sein, sich zur medialen Stimme dieser Bewegung zu machen und ihr rechtes und rechtsoffenes Publikum für die Mahnwachen zu mobilisieren. Da wo Themenfelder von Linken nicht mehr bearbeitet werden, ist es in der Regel nur eine Frage der Zeit, bis rechte Akteure die freigewordene Lücke mit ihren Inhalten füllen und sich darin einnisten. Ist dies erst einmal geschehen, bekommt mensch sie da schwer wieder raus.

Der Ukraine Konflikt war zu Beginn seines Ausbruchs bis heute keine einfache Angelegenheit und hat es progressiven linken Kräften schwer gemacht, sich auf linke Kräfte vor Ort uneingeschränkt positiv zu beziehen. In der starken Identifikation mit der kurdischen Guerilla spiegelt sich nicht nur der Wunsch vieler Linker wieder, IS und AKP bezwingen zu wollen, sondern auch das Bedürfnis nach Identifikation mit einer politischen Kraft, die auf der richtigen Seite steht. Auch hier muss mensch allerdings attestieren, dass hier bei der BRD-Linken sehr viele Projektionen mit im Spiel sind. In der Regel sind die wenigsten militärischen Konflikte heutzutage einfach zu greifen, noch bringen sie für die Metropolenlinke die gewünschten linken Held*innen wieder, deren Motive auf Shirts, Buttons und WG-Kalendern einen würdigen Platz finden.

Das Bedürfnis in einem politischen und militärischen Konflikt sich auf Gleichgesinnte vor Ort beziehen zu können ist völlig verständlich. Allerdings ist dies mit dem Siegeszug des Kapitalismus schwieriger geworden. Die antikolonialen Bewegungen existieren nicht mehr, genau so wenig wie der Block sozialistischer Staaten, der diese in der Regel unterstützte. Die wenigen verbleibenden sozialistisch geführten Länder stehen mit dem Rücken zur Wand, leiden unter Embargos etc. Die verbleibenden linken und fortschrittlichen Guerillagruppen haben zum Teil ihre Waffen abgegeben und werden nicht selten zwischen geopolitischen Interessen zerrieben.

Linke müssen sich also daran gewöhnen, dass es in den aktuellen kriegerischen Konflikten keine Verbündeten gibt. Jedenfalls keine, auf die sich bedenkenlos bezogen werden könnte. Was aber immer möglich ist, ist die Forderungen zu formulieren die, ihre Richtigkeit nicht verlieren: Kein Krieg, keine deutschen Waffenlieferungen, keine Beteiligung Deutschlands an einer militärischen und politischen Eskalation!

Die Maidanproteste kippten in kürzester Zeit in eine militärische Auseinandersetzung zwischen der Oligarchen-Regierung und den Regierungsgegner*innen. In den Straßenkämpfen übernahmen relativ schnell faschistische Gruppen die führende Rolle. Eine der bekanntesten ist das sogenannte Azov-Batallion. Die BRD bejubelte diese Proteste auf dem Maidan, da sie den Weg für eine pro-europäische Regierung frei machen sollten. Das Ziel war klar: Mit einer Ukraine, die die politische und ökonomische Nähe zur EU sucht, ergibt sich für die Europäische Union und damit auch für Deutschland und verbündete NATO-Staaten die Möglichkeit neue Einflusssphären in der Region zu erschließen. Zu der hohen Anzahl an Faschist*innen unter diesen Musterdemokraten schwiegen die Kanzlerin und ihr Anhang. Linksliberale und durchaus reichweitenstarke Medien wie die TAZ hielten es über Monate nicht für nötig, die Rolle der Faschist*innen und ihr gewalttätiges Vorgehen gegen linke Teile des Protestes öffentlich anzuklagen. Erst viel zu spät wurde deren “Beteiligung” eingeräumt – zu einem Zeitpunkt wo die Rechten die dominierende Kraft innerhalb des Maidanprotestes stellten. Von Angriffen auf Mitglieder der Kommunistischen Partei, sowie auf deren Parteizentrale oder von der Schändung jüdischer Einrichtungen gab es nur wenig zu lesen. Was es aber zu lesen gab war Lobhudelei auf den pro-europäischen Kurs dieser musterdemokratischen Bewegung.

Ja, der Ukraine Konflikt war nicht einfach und ist es heute nicht. Dies hat aus unserer Sicht aber zu keinem Zeitpunkt gerechtfertigt, dass sich die Linke in der BRD in ein bleiernes, erdrückendes Schweigen zu diesem Thema hüllt. Frühestens nach den ersten Anzeichen eines faschistischen Takeovers des Maidanprotestes bis zur Annektion der Krim durch Russland wäre es für die Linke hierzulande möglich gewesen Gegenpositionen zu diesem Konflikt zu beziehen, die vertretbar und nachvollziehbar gewesen wären:

– Kein Verschweigen faschistischer Kräfte auf dem Maidan!

– Solidarität mit den angegriffenen Antifaschist*innen und Minderheiten in der Ukraine!

– Gegen NATO und EU-Interessen in der Ukraine!

Mit dem Umkippen der Situation in einen Krieg mit Russland wurde die Lage komplizierter. Aber wir reden von einem Zeitraum von fast einem Jahr, in dem es durchaus möglich gewesen wäre, ohne sich “die Finger zu verbrennen” Position beziehen zu können. Statt eigene Aktionen zu starten, wurde ein originär linkes Thema, nämlich die Auseinandersetzung um “Krieg und Frieden” den rechtsoffenen Friedensmahnwachen auf dem Silbertablett gereicht und kampflos überlassen.

Die Recherche und Dokumentation zu den Mahnwachen war aus einer antifaschistischen Sicht notwendig. Aber eine linke Perspektive auf den Ukraine-Konflikt ließ sich in den Dokumentationen zu den Mahnwachen nicht finden. In der Regel betrachten Recherchekollektive dies auch nicht als ihre Aufgabe. Leider. So wie es die Aufgabe sozialer Bewegungen sein sollte gegen rechte Vereinnahmungen vorzugehen, so sollten sich die Verfasser*innen von Antifa-Publikationen wenigstens die Mühe geben, Ansätze einer linken Perspektive anzureißen, die auch mit dem Thema zu tun hat, dass die Rechten gerade für sich vereinnahmen. Im Fall der “Mahnwachen für den Frieden” zeigte sich, dass der Rückzug linker Kräfte aus dem Antimilitarismus dafür gesorgt hatte, dass für Linke, die ihre Schwerpunkte anderswo setzen, kein Argumentations- und Interpretationsrahmen mehr geboten wurde, an dem sich hätte vielleicht orientiert werden können. Dementsprechend belief sich auch die Auseinandersetzung bürgerlicher und linksliberaler Medien mit den Mahnwachen vor allem auf das Monitoring antisemitischer und verschwörungsideologischer Positionen der Mahnwachen-Akteure. Durch die Abwesenheit einer wahrnehmbaren linken Kraft in der öffentlichen Debatte sowie auf der Straße gelang den Springer-Knechten der Kunstgriff, Kritik an einer NATO- und EU-Expansion als rechte Position einzuordnen. Medien wie dem Tagesspiegel kam die linke Grabesstille zu diesem Thema nur recht, da sie den Anti-Russland-Kurs der Bundesregierung und deren EU-Interessenpolitik stützen, und logischerweise keine Lust haben eine linke Position dazu abbilden zu müssen, geschweige denn diese zu formulieren. Warum sollten auch gerade sie das tun?

Recherche zu den Mahnwachen existierte quasi parallel zur Berichterstattung über den Ukrainekonflikt, welche sich zum Großteil in der Jungen Welt, dem Lower Class Magazine und dem ND abspielte. Die rechtsoffene Querfront konnte sich somit als einzige politische Kraft inszenieren, die zu diesem sich anbahnenden Krieg Stellung bezog und all ihre Kritiker*innen als Vasallen des BRD- und EU-Imperialismus darstellen.

Wiederaneignung unserer Themen
Der Grund für eine Abkehr der Linken von antimilitaristischen Themen ist eng verbunden mit dem erneuten Hochkochen des Nahostkonfliktes zu Beginn der 00er Jahre. Die Diskurse dieser Zeit führten unter anderem zu einer Delegitimierung antimilitaristischer Politik. Gerade im Bereich geopolitischer Konflikte wurde die Linke in Deutschland dadurch vorsichtiger und zunehmend stiller. Der Kampf gegen hohe Mieten, Neonaziaktivitäten oder die Räumung linker Projekte, also Dinge die vor der eigenen Haustür passieren, wurden zu bestimmenden Themenfeldern. Es ist richtig genau da aktiv zu werden wo wir leben, wir praktizieren selbst diesen Ansatz. Im Falle globalerer Konflikte oder geplanter Gesetzesverschärfung auf Bundesebene wird uns linke Kiezarbeit allein allerdings nicht weiterhelfen.

Mit dem flächendeckenden Ausbau des 5G-Mobilfunknetzes steht ein weiterer Vorstoß im Bereich der alltäglichen, digitalen Überwachung im Raum. Sich diesem Problem mit einer linken Techkritik anzunähern macht Sinn, weil es einfach alle Menschen betrifft, aber auch weil die Verschwörungsgläubigen bereits eifrig dabei sind ihre 5G-Verschwöhrungsmythen zu spinnen.

Aus unserer eigenen Erfahrung als Gruppe wissen wir selbst, dass es nicht immer einfach ist neben dem laufenden Alltagsbetrieb im Bereich Antifaschismus noch andere Themenfelder wirklich dauerhaft zu bespielen, ohne wieder andere Projekte auf Eis legen zu müssen. Das ganze ist darum nicht unbedingt eine Frage von Desinteresse, sondern vor allem eine der Organisation. Es bedarf darum Gruppen, die in der Lage sind langfristig an unterschiedlichen politischen Kampffeldern dran zu bleiben, die auch beim “Aufploppen” gesellschaftlicher Ereignisse in der Lage sind zu reagieren. Dies setzt wiederum voraus, dass unsere Strukturen thematische Arbeitsgruppen bilden, die politische Kontakte aufbauen und halten, sowie Analysen und Aktionsfähigkeit entwickeln. Alternativ oder auch zusätzlich dazu müssen Bündnisse aufgebaut werden, die konstant an Themen arbeiten. Im Bereich Antimilitarismus stimmen Kampagnen wie beispielsweise “Rheinmetall entwaffnen” sehr zuversichtlich.

Wir können nicht alle retten

In der Struktur und in ihrer Entwicklung gleichen die Proteste der Corona-Querfront in vielerlei Hinsicht den “Mahnwachen für den Frieden”. So wie wir oben ausführlich dargelegt haben, dass Antimilitarismus Teil eines linken Selbstverständnisses und einer linken Praxis zu sein hat, so können wir an dieser Stelle kurz und knapp sagen, dass uns der ganze Zirkus den die Impfgegner veranstalten inhaltlich null interessiert. Das gleiche gilt für die Pseudorebellion gegen das Tragen von Masken und das Einhalten von Mindestabständen. Was uns höchstens daran interessiert ist, dass sich diese Positionen nicht weiter verbreiten. Es sind nicht unsere Themen. Und genau deswegen ist jedes “man muss ja die Sorgen der Leute ernst nehmen” in diesem Zusammenhang bloßer Opportunismus gegenüber Personen, die wissenschaftsfeindlich, faktenresistent und egoistisch agieren. Nur weil Menschen in großer Masse auf die Straße gehen, heißt dies nicht, dass deren Anliegen fortschrittlich sind.

Auch bei Themenfeldern die unsere sind, müssen wir uns vor Augen halten, dass wir mit guten Texten und aussagekräftigen Demos nicht jede*n einfach so auf unsere Seite ziehen können. Es gilt anzuerkennen, dass es immer Menschen geben wird, die genau auf das politische Angebot, was die “Friedensmahnwachen” oder die “Corona Rebellen” stellen 100% Bock haben und auch nichts anderes wollen.

Inhaltliches Fazit: What to say

Eine antifaschistische Linke sollte sich intensiv mit dem Phänomen der verschwörungsmytischen Anti-Corona-Mobilisierungen auseinandersetzen und diese nicht als politischen Nebenwiderspruch behandeln. Den Antifaschismus links liegenlassen und sich auf soziale Kämpfe in den Kiezen zu konzentrieren, wie von einigen postantifaschistischen Akteuren postuliert, wird die Wirkungsmächtigkeit verschwörungsideologischer Inhalte in der Mehrheitsgesellschaft nicht neutralisieren. Zwar ist der Ansatz klassenkämpferisch in den eigenen Kiezen im Rahmen der Krise zu agieren durchaus richtig, doch rennt uns in Anbetracht des horrenden Mobilisierungspotenzials der verschwörungsideologischen Szene auf der Straße und in den sozialen Media schlichtweg die Zeit davon. Denn eins ist sicher, das durch die reformistischen Gewerkschaften und die Kulturindustrie suspendierte Klassenbewusstsein der Arbeiter*innen in Deutschland zu reanimieren, wird seine Zeit brauchen. Hier ist eine klare antifaschistische Expertise vonnöten, welche mit guten Recherchen, Analysen und Gegenmobilisierungen brilliert und mit klaren sozialen Forderungen politisch agiert. Aus einer historisch-antifaschistischen Perspektive waren verschwörungsideologische Inhalte, in Kombination mit der sich verschlechterten wirtschaftlichen Situation der Arbeiter*innen und des Kleinbürgertums, ein wesentlicher Teil der deutschnationalen und nationalsozialistischen Mobilisierung in der Weimarer Republik und führten letztendlich zur Machtübergabe an die DNVP und NSDAP. Die offensichtlichen Widersprüche des modernen Kapitalismus werden von den Verschwörungsgläubigen im Gegensatz zur analytischen Kritik einer modernen Linken, nicht auf das kapitalistische System als solches zurückgeführt, sondern auf vermeintlich böse Mächte, die dieses System beherrschen sollen, die in Folge dessen für alle Schändlichkeiten des Kapitalismus verantwortlich gemacht werden. Demzufolge sollten wir klare soziale Forderungen zur Bewältigung der Auswirkungen sozialer Schieflagen im Rahmen der sich anbahnenden Wirtschaftskrise stellen. Begrifflichkeiten wie die „Herrschenden“ und die „Eliten“ welche auch von Verschwörungsgläubigen verwendet werden, sollten wenn sie von uns verwende werden, klar ausdifferenziert werden. Dabei sollten die Fragmentierungen des Kapitals und der bürgerlichen Parteien im Rahmen der Krisenbewältigung berücksichtig und analysiert werden. Das heißt konkret, welche Fraktionen des Kapitals profitieren von der Krise und können für die entsprechenden sozialen Einschnitte, im Rahmen der sich anbahnenden Wirtschaftskrise, verantwortlich gemacht werden. Des Weiteren sollte sich eine antifaschistische Linke in der Kritik an den Anti-Corona-Maßnahmen, eine wissenschaftliche Betrachtungsweise aneignen. Gibt es eine seriöse wissenschaftliche Alternative zu den momentanen Kontaktbeschränkungen oder wären wir als linke Akteure, in einer wie auch immer sozialistisch, anarchistisch oder kommunistisch strukturierten Gesellschaft zu analogen Regelungen in der Bekämpfung einer gefährlichen Pandemie gezwungen.

Praktisches Fazit: What to do
Die Teilnehmer*innenzahlen der sogenannten Corona-Proteste haben in den ersten Wintermonaten 2020 kontinuierlich abgenommen. Das Mobilisierungspotential der rechtsoffenen Akteure von KDW bis Querdenken scheint seinen Gipfel überschritten zu haben. Sicherlich spielen die winterlichen Temperaturen und zunehmende staatliche Repression auch eine Rolle, dennoch darf attestiert werden, dass kontinuierliche antifaschistische Recherchen einen wichtigen Teil dazu beigetragen haben, den verschwörungsideologischen Wanderzirkus in der öffentlichen Wahrnehmung als das zu entlarven was er von Anfang an war: Eine brandgefährliche rechte Querfrontmobilisierung, eine Mimikry die geschickt eine Bürgerrechtsbewegung imitiert, hinter deren Maske sich aber rechte, neoliberale, nationalistische und völkische Erzählungen verbergen. Auch darf nicht vergessen werden, dass es zwar deutlich zu lange gedauert hatte, bis bundesweit breite Gegenmobilisierungen organisiert waren, dass aber dennoch speziell in Berlin fast vom ersten Tag an kleine Gruppen hartnäckigen Widerstand gegen die rechte Raumnahme leisteten. Dies konnte zwar nicht verhindern, dass die Bewegung bundesweit auf ein erschreckendes Ausmaß anwuchs, führte über das Jahr hinweg aber doch zu deutlichen Einbrüchen in der Wirkung der Bewegung in die Gesellschaft. Vieles ist falsch gelaufen, alles aber nicht. Aus beidem, dem was falsch gelaufen ist, wie aus dem was funktioniert hat, können und müssen wir als Linke und Antifaschist*innen lernen, um zukünftig besser, schneller und schlagkräftiger auf diese und kommende rechte Querfront-Bewegungen reagieren zu können.

Den ersten und wohl wichtigsten Punkt haben wir oben bereits herausgearbeitet. Es gilt, neu entstehende gesellschaftliche und politische Themenfelder nicht leerstehen zu lassen und somit rechten Kräften die Möglichkeit zu bieten, diese zu besetzen. Es ist unsere Aufgabe als radikale Linke neuen Themen, so komplex, brisant oder schmerzhaft sie auch seien nicht zu umgehen, sondern zu bearbeiten, um emanzipatorische, antikapitalistische und antifaschistische Antworten auf Krisen des Systems zu finden.

Der zweite Punkt ist so alt wie wahr: Never let the fascists have the streets. Rechten und reaktionären Mobilisierungen dürfen wir, egal unter welchen Umständen, egal zu welchen Zeiten, egal zu welchen Themen und egal wie heterogen sie auch auftreten, niemals die Straßen überlassen. Antifaschismus muss, gerade in Zeiten weltweiter autoritärer Formierungen, oberstes Gebot radikal linker Politik und Praxis sein. Rechten Querfront-Versuchen muss die Maske vom Gesicht gerissen und laut widersprochen werden. Ganz praktisch heißt das, nicht erst in breiten Bündnissen auf die Straße zu gehen, wenn altbekannte Nazikader mit Trommeln und Fahnen aufmarschieren, sondern auch dem scheinbar bürgerlichen Schweigemarsch rechtsoffener Impfgegner*innen oder angeblich besorgter Eltern im Kiez entschlossen entgegenzutreten.

Den dritten Punkt hatten wir in diesem Absatz bereits erwähnt, und er zählt ohne Frage zu dem, was im Kontext der rechten Corona-Mobilisierung 2020 am schnellsten und gerade in den ersten Monaten noch am besten funktioniert hat: Konsequente antifaschistische Recherchen. Es ist von immenser Bedeutung, gerade naturgemäß heterogene Mobilisierungen wie die schon erwähnten Friedensmahnwachen oder in diesem Fall die Anfänge der sogenannten „Hygiene-Demonstrationen“ unablässig und akribisch zu beobachten um frühzeitig erkennen zu können, welche Netzwerke und Akteure sich hinter den scheinbar „spontanen Bürgerprotesten“ verbergen. An dieser Stelle sei den Genoss*innen, die diese zeitaufwändige und nicht ungefährliche Arbeit leisten, ein großer Dank ausgesprochen.

Direkt verbunden mit der Recherche ist der vierte Punkt, da er diese meist zur Grundlage nimmt: Das Offenlegen und Bekanntmachen der beteiligten Akteure und Netzwerke sowie deren Verbindungen und Geldquellen ist elementar im Kampf gegen die neue Corona-Rechte, sowie gegen jede andere rechte Querfront-Bewegung. Es ist immens wichtig, Recherche-Ergebnisse früher als bei Recherchen zu klassischen Neonazi-Strukturen zu veröffentlichen, um die Mobilisierungs- und Anschlussfähigkeiten der rechten Erzählung von Beginn an zu schwächen. Im Fall der sogenannten Corona-Proteste hat die bürgerliche Presse erschreckend lange noch von „Protesten gegen die Corona-Maßnahmen“ geschrieben, obwohl zu diesem Zeitpunkt bereits hätte klar sein können, mit welchen Akteuren mensch es hier zu tun hat. Mit Bekanntwerden der Strukturen hinter Querdenken und vor allem auch der Geldflüsse der zahlreichen Spenden- und Schenkungs-Aufrufe, konnte die Bewegung nach außen wie im Inneren deutlich geschwächt werden.

Verbunden mit den finanziellen Konstrukten und Interessen der verschiedenen Medienplattformen, Youtube- und Telegram-Influencerinnen, Veranstaltungs-Teams, Spendenkampagnen, Anwaltszusammenschlüssen sowie Reise- und Busunternehmen zeigt sich eine weitere wichtige Säule dieser neuen Bewegung, die es anzugreifen gilt. Fünfter und letzter Punkt unserer Analyse ist der konsequente Angriff auf die Infrastruktur der Bewegung. Denn so wichtig dieser neu entstandenen rechten Massenmobilisierung ihre kleine Industrie aus Unternehmen, Kanzleien und Dienstleisterinnen ist, so angreifbar ist sie dort auch. Denn für alle Beteiligten wird und muss es eine Zeit nach Corona und eine Zeit nach Querdenken geben. Die Medienportale und Influencer der Szene werden noch am einfachsten weiterziehen können, da die meisten unter ihnen schon vor der großen „Coronaverschwörung“ ihr Geld mit ständig wechselnden „Wahrheiten“ und der Radikalisierung ihrer Anhängerinnenschaft verdienten. Doch für viele Unternehmen, Dienstleisterinnen oder Kanzleien, kann es später überlebenswichtig sein, den Fleck auf dem Firmenimage schnell verschwinden zu lassen. Hier gilt es jetzt schon anzusetzen und beteiligte Unternehmen und Dienstleister*innen zu benennen und konsequent so zu behandeln, wie es für Firmen angemessen ist, die rechte und rechtsradikale Mobilisierungen unterstützen.